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Masern: Kommt die Impfpflicht?

Nach dem starken Anstieg von Masern-Fällen in Deutschland wird wieder über eine Impfpflichtnachgedacht. Wie steht die Politik dazu?

Bis zum 14. Juli wurden 1207 Masernfälle an das Robert-Koch-Institut gemeldet, die meisten aus Bayern (515) und Berlin (440). Damit wurde die Zahl der 2012 insgesamt übermittelten Masernfälle von 166 bereits um ein Mehrfaches übertroffen. Anfang Juli wurde im Rhein-Erft- Kreis sogar aus Sicherheitsgründen eine Waldorfschule geschlossen, nachdem dort viele Masernfälle aufgetreten waren – lediglich ein Viertel der Schüler war vollständig geimpft. „Für Kinder in öffentlichen Einrichtungen wie Kita oder Schule sollte es eine Impfpflicht geben, nicht zuletzt um die Kinder zu schützen, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden dürfen“, fordert deshalb der gesundheitspolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Jens Spahn. Es sei wissenschaftlich erwiesen, dass bei hochansteckenden und gefährlichen Krankheiten wie Masern die Impfung der einzig sinnvolle Schutz sei, um nicht zu erkranken, aber auch um die Ausbreitung zu verhindern. Die Ständige Impfkommission der Ärzteschaft empfiehlt bei Kindern eine erste Masernimpfung vom 9. bis zum 14. Lebensmonat, die zweite vom 15. bis zum 23. Monat. Doch im Bundesschnitt sind nur rund 60 Prozent der Zweijährigen zweimal geimpft, wie der aktuelle Versorgungsatlas der Kassenärztlichen Vereinigungen zeigt. Bei älteren Kindern sind die Quoten höher: Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums haben 92,1 Prozent der Schulanfänger ihre zweite Impfung erhalten. Damit Masern als Krankheit eliminiert werden können, ist jedoch eine Impfquote von 95 Prozent nötig. SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach, selbst Mediziner, warnt davor, die mögliche Schwere einer Erkrankung zu unterschätzen: „Es handelt sich nicht nur um eine Kinderkrankheit.“ Die Impfbereitschaft sei in den letzten Jahren stärker eingebrochen als vermutet. „Wenn das so weitergeht, werden Masern in kurzer Zeit zu einem nennenswerten Problem.“ Bei einer von 1000 bis 5000 Maserninfektionen tritt eine Hirnentzündung auf, die für fast jedes dritte betroffene Kind tödlich endet. Bei einem weiteren Drittel bleiben Gehirnschäden zurück. Während es in der DDR seit 1970 eine Impfpflicht gegen Masern gab, wird die Impfung für Kinder in Westdeutschland erst seit 1973 offiziell empfohlen. Allerdings sind auch die bis 1991 Geborenen nur unvollständig immunisiert, da sie in der Regel nur einmal geimpft wurden. Vielen sei nicht bewusst, dass es sich bei dieser zweiten Impfung keineswegs um eine Auffrischimpfung handelt, sagt Maike Schulz, die an einer Studie über den Impfzustand der Deutschen für die Kassenärztlichen Vereinigungen mitgearbeitet hat. Es gelte auch all die zu erreichen, die auf die erste Impfung nicht ansprachen – immerhin 3 bis 5 Prozent der Geimpften. Bei Erwachsenen wird die Masernimpfung nur für die nach 1970 Geborenen empfohlen. Das Robert-Koch-Institut (RKI) begründet diese Regelung mit wissenschaftlichen Daten, wonach in dieser Altersgruppe bis zu 99 Prozent in ihrer Kindheit eine Masernerkrankung durchgemacht haben und deshalb dagegen immun sind. Laut Schutzimpfungs-Richtlinie haben Ältere deshalb formal auch keinen Anspruch darauf, die Kosten einer Masernimpfung von der Krankenkasse erstattet zu bekommen. Allerdings könne auch eine Masernimpfung für Ältere im Einzelfall sinnvoll sein, sagt RKI-Sprecherin Susanne Glasmacher. Große Krankenkassen wie die BarmerGEK oder die Techniker Krankenkasse (TK) empfehlen dies den bislang Nicht-Immunisierten denn auch – und wollen die Kosten erstatten. Eine gesetzliche Impfpflicht kommt für Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) lediglich als „letztes Mittel“ in Betracht. Sein Ministerium prüft stattdessen andere Maßnahmen. So könnte bereits bei der Aufnahme in einen Kindergarten der Impfstatus von Kindern erhoben werden, bislang ist dies erst bei der Aufnahme in die Schule erforderlich. Außerdem sollten die Gesundheitsbehörden befugt werden, nichtgeimpfte Kinder bei einem Masernausbruch vorübergehend von der Schule oder vom Kindergarten auszuschließen. SPD-Politiker Lauterbach regt zudem eine bundesweite Impfkampagne an. Wenn es aber nicht im Guten gehe, müsse man über eine Impfpflicht nachdenken. Eine Impfpflicht gab es bisher in Deutschland nur bei den Pocken, bis 1983. Dabei habe es sich allerdings um eine extrem oft tödlich verlaufende Erkrankung gehandelt, sagt RKI- Sprecherin Glasmacher. Und die Impfung dagegen sei vergleichsweise nebenwirkungsreich gewesen. Noch heute rührten die meisten der anerkannten Impfschäden von der Pockenimpfung her. Linken-Gesundheitsexpertin Kathrin Vogler gibt zu bedenken, dass eine Impfpflicht auch Kontrollen erfordern würde. „Wenn Ärzte zu staatlichen Kontrolleuren gemacht werden, wird das Vertrauen der Patienten in die Ärzte unterhöhlt“, sagt sie. Mit einer besseren Studienlage müsse mehr Transparenz hergestellt werden über die Risiken der Erkrankung, aber auch über Gefahren bei Impfungen. Die Gesundheitsexpertin der Grünen im Bundestag, Biggi Bender, hält eine allgemeine Impfpflicht gar für nicht vereinbar mit dem Grundgesetz. Die Zahl der Impfgegner würde dadurch nur erhöht, meint sie.

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