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Medikamente: Ein Jahr im Koma nach Arzneitest?

Die Familie eines 21-jährigen Patienten berichtete unter Berufung auf Ärzteinformationen, er könne bis zu einem Jahr im Koma liegen. Die Staatsanwaltschaft Würzburg hat ein Vorprüfungsverfahren gegen die Pharmafirma eingeleitet.

London - Nach den verheerenden Folgen eines Wirkstofftests bei sechs Männern in Großbritannien will das zuständige deutsche Bundesinstitut jetzt erste Konsequenzen für kommende Prüfverfahren ziehen. «Zukünftig werden wir klinische Studien mit risikoreichen biologischen Arzneimitteln in Deutschland nur noch genehmigen, wenn die Menschen in der ersten Phase nacheinander getestet werden», sagte die Sprecherin des Paul- Ehrlich-Instituts (PEI) in Langen, Susanne Stöcker. Sie widersprach damit Medienangaben nach denen das PEI dies für alle neuen Wirkstoffe plant. Vier der sechs erkrankten Männer, bei denen der Wirkstoff aus Deutschland getestet wurde, haben am Freitag das Bewusstsein wiederlangt.

Trotzdem müssten die Männer noch eine «ganze Zeit lang» von Spezialisten betreut werden, sagte der behandelnde Arzt, Ganesh Suntharalingam. Zwei der mit dem neuen Wirkstoff behandelten Männer befanden sich am Abend weiter in kritischem Zustand. Es gebe aber erste Anzeichen, dass sie auf die Behandlung ansprechen, erklärte Suntharalingam. Noch sei jedoch unklar, ob sich die sechs Patienten von den Folgen des Medikamententests je wieder vollständig erholen.

Sämtliche inneren Organe geschädigt

Unterdessen hat die Staatsanwaltschaft Würzburg einem Medienbericht zufolge ein Vorprüfungsverfahren gegen die Pharmafirma TeGenero eingeleitet. Dies bestätigte ein Sprecher der in Würzburg erscheinenden «Main Post» (Samstagsausgabe). Zunächst gehe es darum, Informationen zu sammeln. Es gebe aber noch keinen hinreichenden Anfangsverdacht für ein strafrechtlich relevantes Handeln der Verantwortlichen bei TeGenero.

Die Familie eines 21-jährigen Patienten berichtete unter Berufung auf Ärzteinformationen, er könne bis zu einem Jahr im Koma liegen. Sämtliche inneren Organe wie Herz, Niere, Lunge und Leber seien durch den Test geschädigt worden. Die Ärzte rätseln noch immer, was die starke allergische Reaktion bei den 18 bis 40 Jahre alten Männern ausgelöst hat.

An Hasen und Affen getestet

Britische Wissenschaftler versicherten, dass Medikamententests in Großbritannien strikten Vorschriften unterliegen. Es müssten eine Reihe verschiedener Studien nachgewiesen und Dossiers vorgelegt werden, bevor ein Medikament am Menschen getestet werden könne, sagte Roberto Solari vom Rat für medizinische Forschung.

Der Forschungschef des Pharmaunternehmens TeGenero aus Würzburg, Thomas Hanke, bestritt Berichte, wonach es bei Tierversuchen Probleme gegeben habe. Das Mittel TGN 1412, das zur Bekämpfung von Multipler Sklerose, Blutkrebs und Rheuma entwickelt wurde, sei an Hasen und Affen getestet worden. Dabei habe es keine Vorfälle gegeben, die auf das Medikament zurückzuführen seien, sagte Hanke am Donnerstagabend vor dem Krankenhaus im Nordwesten Londons.

Möglichkeit eines Produktionsfehlers

Die Anwältin der Patienten, Ann Alexander, forderte mehr Aufklärung über die Tierversuche. Ihren Mandanten seien dazu widersprüchliche Informationen gegeben worden. Angeblich seien bei den Versuchen Tiere gestorben. Auch die Möglichkeiten eines Produktionsfehlers, einer Verunreinigung oder einer Überdosis müssten geklärt werden. Die Medikamenten-Aufsichtsbehörde MHRA teilte mit, dass die für die Testpersonen vorgesehene Dosis 500 Mal niedriger war als bei den Tierversuchen. Die Behörde und Scotland Yard setzten ihre Ermittlungen fort.

Weitere Spekulationen drehten sich am Freitag um das Unternehmen TeGenero selbst. Nach Zeitungsberichten ist TGN 1412 der erste Wirkstoffkandidat überhaupt, den die Firma an Menschen testet. Das Unternehmen sei mit keinem anderem Produkt auf dem Markt. TeGenero wurde im Jahr 2000 gegründet, hat seinen Firmensitz in Würzburg und beschäftigt nach eigenen Angaben 15 Angestellte. (tso/dpa)

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