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Panorama: Mehmets zweite Chance

Von Jost Müller-Neuhof Ein Auftrieb wie zu seinen besten Zeiten. Zuschauer, Reporter, Kameraleute drängen sich im größten Saal des Bundesverwaltungsgerichts in Berlin.

Von Jost Müller-Neuhof

Ein Auftrieb wie zu seinen besten Zeiten. Zuschauer, Reporter, Kameraleute drängen sich im größten Saal des Bundesverwaltungsgerichts in Berlin. Es geht um Deutschlands bekanntesten Jugendstraftäter Muhlis Ari aus München, aus der Presse besser bekannt als „Mehmet“. Seit Dienstag steht fest: der heute 18-jährige Muhlis, der in die Türkei abgeschoben worden war, darf wieder nach Deutschland zurückkehren.

Die Diskussion um Muhlis liegt schon vier, fünf Jahre zurück. Er war zu dieser Zeit ein Ausnahmefall, in jeder Hinsicht: als straffälliges Kind, als Magnet öffentlichen Interesses, als ausländerrechtliches Spezialthema. Muhlis Vater kam 1968 nach Deutschland. Seine Familie holte er zwei Jahre später nach, einschließlich der älteren Brüder. Muhlis selbst wurde in München geboren. Als die Richter jetzt seine schulische Laufbahn und die Serie seiner kriminellen Taten schildern, fühlt man sich an ein Strafgericht versetzt: Schon in der Grundschule brach Muhlis einem Mitschüler das Nasenbein. Später verwüstete er einen Kindergarten, stiehlt, raubt, prügelt.

Aber der Junge war noch nicht 14 Jahre alt, also konnte ihm nicht der Prozess gemacht werden. Rund 60 Straftaten gingen auf sein Konto, ehe er auch nur für eine von ihnen hätte belangt werden können. „Mehmet“ beherrschte die Schlagzeilen, nicht nur der Münchner Boulevardpresse. Es wurde heiß diskutiert, ob die Grenze der Strafmündigkeit herabgesetzt gehört.

1997 wurde das Ausländerrecht geändert. Muhlis, der bislang als Sohn seiner aufenthaltsberechtigten Eltern in Deutschland lebte, brauchte nun selbst eine Genehmigung dafür. Man gab sie ihm, zunächst jedoch auf ein Jahr befristet. Und machte zur Bedingung, dass er sich künftig rechtstreu verhält. Muhlis bekam einen eigenen Lehrer und einen Betreuer vom Jugendamt. Doch nichts half. Ein paar Monate später, Muhlis war gerade 14 Jahre alt geworden, schlug er wieder einen Jugendlichen zusammen.

München kochte, und ganz Bayern kochte mit, auch weil im September 1998 ein neuer Landtag zu wählen war. Der als liberal geltende Münchner Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) sprach sich dafür aus, Muhlis auszuweisen. Auch Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) schaltete sich ein.

Kurz zuvor hatten die Behörden zu einem Trick gegriffen. Sie hatten Muhlis Eltern ausgewiesen, weil die ihre Erziehungspflicht verletzt hätten. Muhlis sollte sich nicht mehr darauf berufen können, dass seine Eltern rechtmäßig in Deutschland lebten. Daraufhin bekam der Junge, der zwischenzeitlich in U-Haft saß, den Ausweisungsbescheid.

Im Oktober wurde Muhlis dann noch zu einem Jahr Jugendstrafe wegen Raub und Diebstahl verurteilt. Im November schoben ihn die Behörden nach Istanbul ab. Ungewöhnlich war daran nicht, dass ein hier geborener Türke ausreisen musste – ungewöhnlich, ja bis dahin wohl einzigartig war, dass es einen Minderjährigen traf. „Es war ein Extremfall, und da haben wir eben zu extremen Mitteln gegriffen“, sagt der Münchner Verwaltungsreferent Wilfried Blume-Beyerle vor Gericht.

Mehmet lebte fortan in der Türkei. Drei Jahre später dann die Überraschung: Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof erlaubte Muhlis die Rückkehr. Zur Begründung hieß es, der Junge hätte ein Aufenthaltsrecht nach dem Deutsch-Türkischen Assoziationsabkommen. Denn darin sei geregelt, dass ein junger Türke, dessen Eltern in Deutschland lebten, Anspruch darauf habe, hier arbeiten zu dürfen.

Das Bundesverwaltungsgericht kümmert sich am Dienstag nicht weiter darum. Es sieht bereits eine Fehlentscheidung der Behörden nach einfachem deutschem Recht. Das Ausländergesetz messe dem Schutz der Familie und ganz besonders dem Schutz Minderjähriger einen hohen Stellenwert bei. Jugendliche dürften nur ausgewiesen werden, wenn sie wegen „serienmäßiger Begehung nicht unerheblicher vorsätzlicher Straftaten, wegen schwerer Straftaten oder einer besonders schweren Straftat rechtskräftig verurteilt worden sind“. Zum einen ist das Urteil gegen Muhlis noch nicht rechtskräftig, zum anderen weist die ihm zugrunde liegende Tat „nicht die erforderliche Schwere auf“, argumentieren die Richter.

Mehmets strafunmündiges Vorleben durfte dabei nicht berücksichtigt werden. Er, der mit seiner Brutalität zweifelhafte Berühmtheit errang, steht nun vor seinem Comeback – vermutlich aber nicht vor seinem Comeback als notorischer Krimineller. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hatte extra ein Gutachten über ihn anfertigen lassen. Es bescheinigt Muhlis, sich in der türkischen Verbannung gut entwickelt zu haben. Nur änderte das alles nichts an seinem Wunsch, in das Land, in dem er geboren worden war, zurückzukehren. „Es ist sein Ziel, hier zu leben und zu arbeiten“, erklärt sein Anwalt in der Verhandlung.

In München wird man ihn nicht willkommen heißen, zumal ihm jetzt wegen seiner zurückliegenden Tat in der zweiten Instanz eine Verurteilung zu Jugendhaft droht. Aber das will Muhlis Ari in Kauf nehmen. Denn glücklich ist er in der Türkei nicht geworden. Er habe einen Luftsprung gemacht, als er von dem Urteil gehört habe, erzählt später sein Anwalt. Muhlis hätte übrigens zum Prozess nach Deutschland kommen dürfen – sein Reisepass war aber ungültig, berichteten türkische Medien.

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