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© dpa

Mode: Frau Bundeskanzlerin

Äußerlichkeiten – Angela Merkel geht jetzt auch damit pragmatisch um. Das macht sie souveräner.

Darf Deutschlands mächtigste Frau mit tief ausgeschnittenem Dekolleté in Oslo in die Oper gehen? Der Auftritt der Bundeskanzlerin im betont weiblichen Abendkleid wurde selbst in türkischen Medien diskutiert. Angela Merkel hat es zu einer gewissen Meisterschaft darin gebracht, Erwartungshaltungen nicht zu entsprechen. Das beschränkt sie nicht nur auf die Schlachtfelder der Politik, sie wagt sich neuerdings auch freiwillig in die Schlangengruben der Mode. Und damit auf ein Terrain, auf dem sie im Laufe der Jahre viel Prügel einstecken musste.

Macht braucht Panzer. So kannten wir es bisher. Die Rüstung der modernen Karrierefrau, egal ob im Topmanagement eines großen Konzerns oder an der Spitze einer Bank, verlangt nach Hosenanzug mit hochgeschlossener Bluse. Daran hielt sich auch die junge Physikerin Angela Merkel, als sie nach der Wende eine Politikkarriere startete. Ihre Rüschenblusen waren allerdings nicht ganz so stromlinienförmig, nicht ganz so stehkragenstreng wie die der Managerinnen, und gaben Anlass zu Gelächter. Zur Schau gestellte Weiblichkeit im Job, auch wenn sie hochgeschlossen war, wurde eher als Schwäche interpretiert.

Ob „Kohls Mädchen“ schon als junge Ministerin wusste, dass nichts so stark macht, wie unterschätzt zu werden? Bei Frauen wird immer viel mehr aufs Äußere geguckt als bei Männern. Davon könnten auch Hillary Clinton und ihre Haare viele Lieder singen: „Achten sie auf Ihre Frisur, denn jeder andere wird es auch tun“, gab sie einst Absolventinnen einer Eliteuniversität mit auf den Weg. Das ungerecht zu finden, ändert leider an der Tatsache nichts, dass die Leute und die Kameras bei Frauen viel kritischer hingucken als bei Männern. Auch deshalb kann Kurt Beck mit potenziellen Konkurrenten wie Klaus Wowereit und Frank-Walter Steinmeier vergleichsweise gelassen umgehen, ohne deshalb gleich den Barbier wechseln zu müssen.

Angela Merkel hat viel einstecken müssen in den Jahren des Aufstiegs zur Macht. Jeder Schwitzflecken im hochsommerlichen Bayreuth wurde dokumentiert, jede farbliche Gewagtheit eines Abendkleids zur Diskussion gestellt. Das muss sie oft genervt haben, provozieren ließ sie sich nie. Während Gerhard Schröder als Bundeskanzler den Macker mimte und wegen seiner schwarzen Haarfarbe (gefärbt oder nicht gefärbt?) bis vor Gericht zog, fügte sich Angela Merkel in die bestehenden Verhältnisse. Flexibel, wie sie ist, engagierte sie eine Visagistin, die für optische Souveränität zuständig ist. Was darauf schließen lässt, dass ihr Inhalte wichtiger sind als Äußerlichkeiten. Die Äußerlichkeiten muss man professionell aus dem Wege schaffen. Basta. Angela Merkel lächelt aber lieber fein, als „Basta“ zu sagen.

Die neuesten Fotos beim Besuch der norwegischen Nationaloper in Oslo zeigen eine Kanzlerin, die sich stetig gesteigert hat. Tief dekolletiert stellt sie ihre Weiblichkeit fast spielerisch und jedenfalls viel offensiver zur Schau als damals mit den Rüschen. Sie muss sich nicht mehr verstecken. Sie hat den Panzer geknackt. Sie übt Macht aus mit einem Führungsstil, der Männer oft irritiert, weil er viele weibliche und nicht nach den normalen Gesetzmäßigkeiten kalkulierbare Elemente enthält. Eine Porträtserie der Fotografin Herlinde Koelbl hat vor Jahren gezeigt, was Macht mit Gesichtern machen kann: verhärten, versteinern, verfremden. Macht zieht tiefe Furchen, ganz besonders wenn ein Mann sehr dran hängt. Wenn er sich leicht verbeißt, dann meißelt die Macht das in sein Gesicht wie eine Mahnung.

„Jeder, der wirklich etwas zu sagen hat, braucht kein Make-up“, zitierte die „Leipziger Volkszeitung“ die frühe Angela Merkel. Was kümmert eine Kanzlerin und also Adenauer-Nachfahrin ihr dummes Geschwätz von gestern? Dass sie sich nicht in Schubladen stecken lässt, ist ihr so oft angekreidet worden, dass schon fast ein Markenzeichen dabei herausgekommen ist. Das hält sie aus. Manchmal entsteht der Eindruck, da lacht sie sogar drüber.

Als Physikerin war Angela Merkel früh schon erfolgreich auf einem Terrain, das überwiegend Männern vorbehalten ist. Vielleicht hat ihr diese Erfahrung geholfen, unbefangen mit ihrer Weiblichkeit umzugehen, sie nicht als störend oder bremsend zu empfinden. Sie muss sich nicht verstecken. Die Bilder aus Oslo zeigen eine entspannte Frau, die die Macht nicht hässlicher macht, sondern im Gegensatz schöner. Vielleicht weil sie innerlich nicht davon abhängig ist, sondern pragmatisch damit umgeht.

Beim Anblick dieses Dekolletés dürften Männer ins Grübeln kommen. Da steht ein Rollenmodell für eine junge Generation von Frauen, die alles wollen, ganz Frau und trotzdem frei sein für die Karriere ihrer Wahl. Die Grenzen sind offen. In Deutschland ist nicht nur zum ersten Mal eine Frau Kanzlerin geworden, sondern auch eine Kanzlerin Frau.

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