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Spitze! Die haben sich die Designer selbst ausgedacht.

© Sabrina Theissen

Berliner Design: Zu erwachsen um prätentiös zu sein

Was Neues aus Kreuzberg: Thomas Bentz und Oliver Lühr bringen mit ihrem Label Achtland europäische Eleganz nach Berlin.

Die Wände sind wieder weiß. Die Moodboards mit Stoffproben, Zeichnungen und Farbkarten, mit Bildern aus Zeitschriften, die so wichtig waren auf dem Weg zur Kollektion, haben Thomas Bentz und Oliver Lühr abgehängt. „Das ist der schönste Moment der Saison, wenn alles von vorne beginnt“, seufzt Thomas Bentz. Fast wähnt man sich in einer Doku-Soap über zwei junge Designer, die ihr Glück in Berlin suchen. Aber die zwei von Achtland sind echt und sie verbreiten so gar nicht die Goldgräberstimmung, die bei vielen Kreativen herrscht, wenn sie nach Berlin ziehen. Dabei ist das Verhältnis immer noch klar: Die Modestadt Berlin kann es als Kompliment auffassen, dass Oliver Lühr, 31, und Thomas Bentz, 32, jetzt in ihrem Kreuzberger Atelier sitzen und sagen: „Es fühlt sich gut an, hier zu sein.“ Beide haben vorher nicht nur in London gearbeitet, sondern dort auch studiert. Oliver Lühr hat sich am weltbekannten Central-Saint-Martins-College zum Designer ausbilden lassen und arbeitete danach für Marken wie Philip Treacy, Chloé und Balenciaga. Thomas Bentz, der Management und Politikwissenschaften studierte, beschäftigte sich danach für eine Beratungsfirma mit dem Mittleren Osten. Ein spontaner Einfall war es nicht, dass die beiden nun zusammen in Berlin leben und arbeiten. Sie strahlen die Sicherheit aus, genau das Richtige zu tun, und das sieht man auch schon ihrer ersten Kollektion an. Im Mittelpunkt stehen eine Lederjacke und Hemdblusen. Die sind einem klassischen viktorianischen Herrenhemd entlehnt, aber mit so vielen Details versehen, dass davon nur die Erinnerung an die Herkunft bleibt. Passen aus zarten Biesen, die zwar in einzelne Falten gelegt sind, aber nicht wie sonst üblich, platt gebügelt wurden. Dadurch bekommt der Stoff fast etwas Lebendiges, wenn die Falten bei jeder Bewegung der Trägerin ins Zittern geraten. Thomas Bentz und Oliver Lühr nehmen ernst, dass sie jetzt Berliner Designer sind. Sie haben lange gesucht, bis sie hier eine Produktionsstätte gefunden haben, die ihre Kleidung tadellos nähen kann. Ihre Stoffe haben sie auf einer hiesigen Messe bestellt: dreidimensionale Spitze aus Norditalien, Tweed aus bunten Bouclébändern von der Pariser Weberei, die die Stoffe für Chanel herstellt. Die naturfarbene Spitze liegt aufgerollt auf dem Zuschneidetisch, sie wurde extra für Achtland angefertigt. Für ihre Entwürfe färbten sie die Blüten ein und schickten den Stoff nach Bombay, wo er mit korallfarbenen Stabperlen durchbrochen wurde. Hier lässt auch das britische Modehaus Alexander McQueen sticken. Das klingt fast ein wenig prätentiös für ein Label, das gerade an seiner dritten Kollektion arbeitet. „Aber deshalb machen wir das ja, um etwas auszuprobieren“, sagt Oliver Lühr. An vielen Stellen greift die zweite Kollektion für Frühjahr/Sommer 2013 wie Teile eines Puzzles in die erste ein. An einer Jacke aus Tweedgewebe sind die Ärmel mit genau dem grauen Leder abgesetzt, aus dem das Prunkstück der ersten Kollektion war – einer Lederjacke, die immer noch auf einer Büste in ihrem Atelier hängt. Plastisch heben sich die geflochtenen Kabel ab, die sich unter dem Leder abzeichnen. Für dieses Muster wurde das Material abgesteppt. „Das war sehr aufwendig – und sehr teuer“, sagt Thomas Bentz. Aber es sei unverzichtbar gewesen, um zu zeigen, wofür das Label Achtland steht: für einen klar definierten Luxus, für eine neue Romantik. „Wir sind hochpreisig“, sagt Thomas Bentz. Deshalb haben sie ihre erste Kollektion auch in einem Zimmer des Hotel de Rome am Bebelplatz gezeigt. Da auch Christiane Arp, Chefin der deutschen „Vogue“, gerade da war, hat sie die beiden gleich in ihren Salon mitgenommen. Dort stellt sie deutsche Designtalente Einkäufern und Journalisten vor. Während der Fashion Week im Juli waren Achtland dann fester Bestandteil des Salons. Man kann die beiden alles zu ihren Kleidern fragen. Wenn der eine etwas über die Kollektion sagt, nickt der andere eifrig. Sie erzählen auch gern von der Meeresforscherin Sylvia Earle, die ihre Inspiration für die aktuelle Kollektion war. Aber jetzt, wo die Bilder abgehängt sind, können ihre Kleider gut ohne ihre Entstehungsgeschichte auskommen. Vor allem für Thomas Bentz scheint es ein besonderes Vergnügen zu sein, zu sehen, wie sich die Geschichten am Anfang der Saison entwickeln, wenn sie Ausschnitte aus Zeitschriften an die Wand hängen, zusammen auf Stoffmessen nach den richtigen Stoffen suchen. So symbiotisch wie sie wirken, wenn sie über ihre Kollektion sprechen, arbeiten sie gar nicht. Jeder hat seine Aufgaben. Oliver Lühr, ist für das Design zuständig, und Thomas Bentz für den Vertrieb und die Presse. Aber so wie sie einander zugewandt sind, verschwimmen diese Bereiche oft. Gemeinsam sprechen sie mit den Einzelhändlern. Sie wissen, was für ein sensibles Geschäft das ist. „Die beobachten einen genau und das ist auch gut so“, Oliver Lühr muss kichern als er das sagt. Der Satz, den Klaus Wowereit prägte, scheint ihm als Neuberliner zu gefallen. Thomas Bentz ergänzt: „Es geht halt alles nicht so schnell und wir wollen uns ja auch noch entwickeln.“ Erstaunlich ist, wie viel man davon schon in der zweiten Kollektion entdecken kann. Es gibt Hemden aus weichem Kaschmirjersey, vorne mit einer Passe aus Waffelpikee und geschwungenen Nähten. Die Passe und die Nähte gab es schon. Jetzt ist die Bandbreite noch einmal größer geworden, vom schlichten schwarzen Hemd bis hin zu einer Bluse mit Ärmeln aus dem eigenen Spitzenstoff. Nur dieses Mal schimmern die Stiftperlen wie das Innere einer Miesmuschel. Mit dieser Art der Eleganz schrammt Achtland sehr charmant-knapp am madamigen vorbei. „Das ist europäische Eleganz“, erklärt Oliver Lühr. Schön, wenn die mitten aus Kreuzberg kommt.

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