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Angelika Taschen und Alexa von Heyden stehen am Schreibtisch.

© Sandra Semburg/Knesebeck Verlag

Berliner Stil: „Der Jutebeutel steht erst am Anfang“

Angelika Taschen hat ein Buch über den Berliner Stil geschrieben.

Frau Taschen, gemeinsam mit Alexa von Heyden haben Sie das Buch „Der Berliner Stil“ geschrieben. Worum geht es?

Das Buch ist eine Anlehnung an das Buch „Pariser Chic“ von Inès de la Fressange, die versucht hat, den Pariser Stil zusammenzufassen. Wir haben das Ganze auf Berlin übertragen und geschaut, was für die Stadt typisch ist: wie man sich hier kleidet, wie man wohnt, wo man einkauft und essen geht.

Es ist der erste Stilführer für Berlin.

Ein eigener Berliner Stil, der eine eigene Form und Aussagekraft hat, hat sich erst in den letzten Jahren herauskristallisiert.

Woran liegt das?

Die Stadt war nach dem Zweiten Weltkrieg zerstört und musste sich nach dem Mauerfall neu erfinden. Als ich vor neun Jahren von L. A. nach Prenzlauer Berg zog, dachte ich: Ach du Schande, hier ist ja Diaspora! Es gab nicht mal einen guten Bäcker. Aber es kamen immer mehr junge Menschen in die Stadt, die zwar nicht viel Geld hatten, aber Ideen. Der ehemalige Osten von Berlin war wie ein Labor, es gab viel Freiraum für Neues und anderes. Der Stil, den wir beschreiben, konzentriert sich deswegen auch eher auf Mitte, das neue Herz von Berlin.

Was macht ihn denn aus, den Berliner Stil?

Ich finde, das Wort Anti-Chic trifft es ganz gut. Jeder möchte schön aussehen, aber auf eine sehr entspannte Art und Weise. Man trägt einen Parka zu Pumps oder einen Jutebeutel zum Abendkleid. Diese Freiheit findet man fast nirgendwo auf der Welt. Außerdem machen die Frauen hier nicht so sehr auf etabliert und sexy. Sie arbeiten, sind viel unterwegs, deswegen haben sie oft Turnschuhe an und tragen keine engen Kleidchen, mit denen sie nicht Fahrrad fahren könnten. Ich finde, das ist eine Art von Befreiung.

Sie schwärmen von der modischen Freiheit, geben in Ihrem Buch aber gleichzeitig genaue Vorschriften: Parka und Röhrenjeans ja, Polohemden und Flip-Flops nein.

Zunächst soll es einfach Spaß machen, darin zu lesen. Man kann ja auch nur ein paar Ideen daraus herauspicken. Das Kapitel „Outfit-Tuning“ zeigt, wie man Teile, die viele im Schrank haben, kombinieren kann. Einen Norwegerpullover zur Lederleggings, eine Bikerjacke zum Seidenkleid. Polohemden, vor allem mit Perlenketten kombiniert, wirken in Berlin fehl am Platz, finde ich.

Laufen in Berlin bald lauter Klone herum, die sich an Ihre Stilregeln halten?

Da mache ich mir keine Sorgen. Das macht ja Berlin aus: dass Trends hier sehr individuell umgesetzt werden und keiner ein Klon sein möchte.

Sie raten in Ihrem Buch auch zu Acne, Céline, YSL. Dabei sind es gerade hier ansässige Labels, die den Berliner Stil prägen.

Die Berliner Labels stehen im Buch im Mittelpunkt, aber die Frauen hier ergänzen ihre Grundausstattung gern mit einem Designeraccessoire wie einer Sonnenbrille von Céline. Soweit ich weiß, gibt es bisher noch kein eigenes Jeanslabel in der Stadt, und die Berlinerinnen lieben die schlichten, logofreien Acne-Jeans. Man denkt und fühlt hier international, schon deshalb kleidet man sich nicht nur in Berliner Mode.

Wie haben Sie den Berliner Stil überhaupt ausgemacht?

Ich bin Voyeuristin und verfolge schon lange die Entwicklungen in der Stadt. Als Alexa und ich entschieden, dass wir das Buch zusammen schreiben, saßen wir oft in Cafés und haben die Leute beobachtet. Zwei Mal in der Woche haben wir uns dann getroffen und diskutiert: Was finden wir denn nun wirklich typisch für Berlin? Viele unserer Beobachtungen stimmten dabei überein.

Und die Leute in Paris, London, New York? Glauben Sie, die kaufen das Buch und befolgen Ihre Regeln?

Ich weiß, dass es zumindest bei den New Yorkern so sein wird. Die Rechte sind auch schon nach Amerika verkauft. Wenn die New Yorker „Berlin“ hören, braucht man gar nichts weiter zu sagen. Die sind verrückt nach der Stadt!

Warum?

Weil man hier diese Freiheit erlebt. An dem Spruch, Berlin ist wie New York vor 20 Jahren, ist etwas Wahres dran. Wenn ich an SoHo früher denke … Überall haben damals kleine Galerien oder Cafés aufgemacht, in einem noch unterentwickelten Stadtteil. In Berlin passiert etwas Ähnliches.

Haben Sie stilistische Unterschiede zwischen den einzelnen Stadtteilen festgestellt?

Ja klar! Jeder Stadtteil hat seinen eigenen Vibe. Kreuzberg, Neukölln, Charlottenburg, Wilmersdorf ... Das Buch kann es aber nicht leisten, den Stil jedes Stadtteils zu umschreiben. Meiner Meinung nach findet man einen neuen Lebensstil so konzentriert aber vor allem in und um Mitte, auch jenseits der Mode. Hier passiert einfach am meisten. Die Leute machen etwas, und wenn es nicht klappt, dann probieren sie etwas anderes aus. So wie Alexa, die Bücher und einen Blog schreibt und gleichzeitig Armbänder entwirft und einen Laden hat. Berlin ist immer noch relativ günstig, deswegen haben die Leute mehr Chancen, Dinge auszuprobieren.

Und zwischen Urberlinern und Zugezogenen, konnten Sie da auch Unterschiede erkennen?

Berlins große Qualität ist ja, dass nach dem Mauerfall viele Leute aus dem In- und Ausland hergezogen sind und dabei andere Erfahrungshorizonte mitgebracht haben. Die Urberliner wohnen oft eher im ehemaligen Westen der Stadt. Dort passiert gerade auch viel, allerdings sind die Entwicklungen eher mit denen in anderen Großstädten vergleichbar, wo die gleichen Luxusmarken ihre Läden haben. Das heißt, der Berliner Stil, den Sie da beschreiben, ist gar kein echter Berliner Stil?

Der Stil hat ja nichts mit dem Urberliner zu tun, sondern mit der Stadt an sich. Berlin hat eine einmalige Geschichte, unter anderem deswegen konnte hier nur so ein eigener Lebensstil entstehen.

Wie sieht es in zehn Jahren aus?

Ich bin überzeugt, dass wir noch einige Jahre Parka und Röhrenjeans sehen werden. Auch der Jutebeutel steht als Fashion Item erst am Anfang. Vielleicht wird er ja bald auch von Marc Jacobs oder Phoebe Philo entdeckt. Und wie so oft hat die Berlinerin dann schon viel früher sein Potenzial erkannt.

Angelika Taschen, Alexa von Heyden, Der Berliner Stil. Knesebeck, 24,70 Euro.

Das Gespräch führte Lisa Strunz.

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