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Saskia de Brauw trägt gern Jackets, für Hedi Slimane auch welche für Männer.

© AFP

Ein Rückblick auf das Modejahr: Schöne neue Kleiderwelt

Giftstoffe und katastrophale Produktionsbedingungen – Firmen arbeiten daran, dass die Lust am Shoppen trotzdem nie vergeht.

Die Deutschen kaufen 5,97 Milliarde Kleidungstücke im Jahr, das sind 70 für jeden. 80 Milliarden Kleidungsstücke sind es weltweit. Das hat Greenpeace mitgeteilt – und gleich dazu, dass viele von ihnen Giftstoffe enthalten. Die giftigen Chemikalien, mit denen sie behandelt wurden, gelangen ins Grundwasser. Es gibt einfach zu viele Kleider auf der Welt, die zu oft gewaschen und zu schnell weggeworfen werden. Also nichts mehr kaufen. Mit diesem Paradox muss auch H&M arbeiten. Die Schweden wollen, dass die Kunden immer mehr immer schneller kaufen, denn nur so wachsen die Umsätze. Aber sie merken auch, dass sie etwas tun müssen. Wer an Kinderarbeit, Chemikalien und verbrannte Fabrikarbeiterinnen denkt, verliert am Ende die Lust am Shoppen. Also tut H&M was für die Umwelt und kauft große Mengen Biobaumwolle. Seit Neuestem nimmt die Firma ihre alte Kleidung zurück zum Recyceln. Dafür bekommt der Kunde eine Gutschrift, um sich neue Sachen zu kaufen. Die Designerin Elisabeth Prantl denkt mit ihrem Projekt „Bis es mir vom Leibe fällt“, zu Ende, was H&M nur im ersten Schritt kann. Sie lässt sich alte Kleider bringen und macht daraus neue. Gerade hat sie dafür einen Preis bekommen.

Provokation Geschlechtertausch
Als Ende November die neue Ausgabe des Interview-Magazins erschien, hatte man sich bestimmt etwas mehr Aufmerksamkeit erhofft. Immerhin sieht man Naomi Campbell und Kate Moss auf dem Titel – nackt! Die beiden sind zwar nur vom Kopf bis zum Bauch abgebildet und ein Großteil von Kates Körper ist durch den von Naomi verdeckt, deren Brüste aber erkennt man deutlich. Sehr rund und sehr glatt sind sie, genauso wie die Gesichter der Models. Dabei ist die eine 38 und die andere 42 Jahre alt.
So richtig aufgeregt hat sich über das Cover allerdings niemand. Brüste und ein bisschen zu viel Photoshop? Och, war doch alles schon da. Hat man sich längst dran gewöhnt. Um in der Mode heute noch Aufmerksamkeit zu erregen, braucht es mehr als das. Etwas nie Gesehenes. Einen Moment der Verwirrung. So wie man ihn in der Brigitte im Januar 2010 erlebte.
Damals hatte die Zeitschrift unter dem Titel „Ohne Models“ versprochen, von nun an nur noch „normale“ Frauen zu zeigen. Mit Falten und Speckrollen und Zahnlücken und all den anderen Makeln, die normalerweise retuschiert werden. Natürlich sahen die abgebildeten Frauen trotzdem sehr hübsch aus, aber die Marketingstrategie funktionierte: Die Auflage der Brigitte stieg. Das Problem war nur, dass sich nach drei Jahren die Leserinnen auch daran gewöhnt hatten. Im Herbst beendete die Zeitschrift das Projekt.
Provoziert wurde in diesem Jahr an anderer Stelle. H&M warb im Mai für seine Bikinikollektion mit einem Model, dessen braungebrannte Haut an die eines Brathähnchens erinnerte. Das britische Kaufhaus Harvey Nichols zeigte im Juni unter dem Slogan „Try to contain your excitement“ Models, die sich wegen ihrer Vorfreude auf den Schlussverkauf einnässten. Und die deutsche Vogue veröffentlichte im Oktober eine Modestrecke, in der das Model mit Plastiktüten als Obdachlose dargestellt wurde.
Nichts scheint jedoch so zu irritieren wie das Spiel mit den Geschlechtern. Nachdem vor zwei Jahren der junge Australier Andrej Pejic mit langen blonden Haaren und vollen Lippen lieber für Haute Couture als für Herrenschauen gebucht wurde und in der Mode wochenlang Thema war, entdeckt man nun Frauen für Männerrollen. Die Holländerin Saskia de Brauw zum Beispiel wirbt für die neue Kollektion von Saint Laurent Homme, und die ehemalige Profischwimmerin Casey Legler wurde gerade als erste Frau in die Männerkartei der Modelagentur Ford aufgenommen.
Auf die Spitze getrieben hat das Ganze Chanel. Für den Damenduft „Chanel N°5“ wirbt keine Frau und auch kein als Frau inszenierter Mann, sondern Brad Pitt. Mit seinem Fünf-Tage-Bart steht der Schauspieler vor einer grauen Wand und haucht weise klingende Sätze. „Jede Reise geht zu Ende, aber wir gehen weiter.“ Oder: „Die Welt dreht sich und wir drehen uns mit ihr.“ Schlau wird man daraus nicht. Die Tatsache, dass Brad Pitt für einen Damenduft wirbt, scheint Marketingeffekt genug zu sein.

Computer sag mir, was ich mag
Gerade hat man sich im Onlineshop von Muji einen kleinen Rollkoffer angeschaut und bei Stylebop nach schwarzen Stiefeln gesucht, da tauchen auf anderen Seiten plötzlich Werbeanzeigen auf – mit kleinen Rollkoffern von Muji und schwarzen Stiefeln von Stylebop. „Ach, guck mal, genau, was ich gesucht habe!“, denkt man. Bis man merkt, dass man auf Google Analytics reingefallen ist – eine Software, die jeden Schritt im Internet beobachtet und blitzschnell mit maßgeschneiderter Werbung reagiert.
Für Onlineshops ist das eine feine Sache. Eine Studie fand zwar heraus, dass die wenigsten Leute die angezeigten Banner am Ende auch anklicken, Werbung im Internet aber stärker wahrgenommen wird als in anderen Medien. Gut so. Der Mensch soll kaufen. Viel und zu jeder Uhrzeit. Wie aber bekommt man ihn dazu, das auch in der realen Welt zu tun?
Dass wir offline bisher noch wenig zu durchschauen sind, scheint den Handel ganz verrückt zu machen – und so kommen immer wieder technische Erfindungen auf den Markt, die den Kunden und sein Kaufverhalten analysieren sollen. Die italienische Firma Almax zum Beispiel hat gerade Schaufensterpuppen entwickelt, in deren Augen kleine Kameras eingebaut sind. Alter, Geschlecht und Nationalität des Kunden, all das können die sogenannten EyeSee-Mannequins durch eine spezielle Software erfassen und auswerten. In einem großen Laden – Namen nennt Almax nicht – fand man durch die Puppen etwa heraus, dass immer nachmittags besonders viele Asiaten hereinkommen. Als man daraufhin zwei asiatische Verkäufer im Eingangsbereich platzierte – immer nachmittags –, stiegen die Umsätze um zwölf Prozent.
Bei C&A in São Paulo versucht man den Kunden gar nicht erst zu analysieren, sondern unauffällig zu lenken. Unter dem Titel „Fashion Likes“ hat die Modekette Kleiderbügel eingeführt, die über ein Display anzeigen, wie vielen Leuten bei Facebook das Kleidungsstück darauf gefällt. Vor allem Frauen, so behauptet man hier, würden sich immer eine zweite Meinung wünschen.
2014 kommt „Glass“ auf den Markt, eine von Google entwickelte Brille mit eingebauter Kamera. Die Designerin Diane von Fürstenberg setzte den Models bei ihrer letzten Show bereits ein paar Prototypen auf. Wahrscheinlich weniger, um ein Making-Of ihrer Show zu drehen, als um die Akzeptanz der unschönen Brillen in der Modewelt zu steigern. Würde „Glass“ tatsächlich getragen werden, könnten die Händler sofort sehen, wo der Blick des Kunden wann und wie lange hinfällt und dementsprechend ihre Ware platzieren.
Am Ende fragt sich, ob all die Technik nicht eher vergrault. Möchte man von Schaufensterpuppen beobachtet werden? Tragen, was fremden Facebook-Mitgliedern gefällt? Mit einer Brille herumlaufen, die aussieht wie vom Drogeriemarkt? Das Statistische Bundesamt hat herausgefunden, dass die Hälfte der Deutschen heute im Internet ein kauft. Die andere Hälfte ist nach wie vor lieber offline unterwegs. Das hat bestimmt seinen Grund.

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