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Fashion Week Berlin: Immer mehr Designer setzen auf Slow Fashion

Berliner Designer zeigen ihre Kollektionen zunehmend außerhalb des üblichen Saisonrhythmus. Damit wollen sie sich gegen die Beschleunigung der Modewelt zur Wehr setzen - und ihre Arbeit aufwerten.

Übernächtigt sehen sie aus, die Designer, wenn sie am Ende der Show kurz auf dem Laufsteg erscheinen und ins Publikum winken. Kein Wunder – es liegen Wochen mit wenig Schlaf, viel Kaffee und eilig verschlungener Pizza hinter ihnen.

Eine Modenschau auf die Beine zu stellen, bedeutet enorm viel Arbeit. Und es ist ja nicht nur die Show. Die Kollektion muss rechtzeitig fertiggestellt sein, Lookbooks müssen fotografiert und verschickt, Showrooms und Messen bespielt werden. Jungdesigner ohne Investor oder ererbtes Vermögen – also die meisten Berliner Designer – machen all das mit einem Mini-Team unbezahlter Praktikanten, da sie keine Löhne zahlen können.

„Für einen kleinen Designer ist das halsbrecherisch“, sagt Ettina Berrios-Negrón. Nach einer Phase intensiven Nachdenkens hat sie, die ihr Label Thone Negrón 2008 gegründet hat, im vergangenen Sommer beschlossen, den im Modegeschäft üblichen Kollektions-Rhythmus nicht mehr mitzumachen.

Berrios-Negrón setzt jetzt auf den eigenen Laden, mit dem sie gerade aus der versteckten Schröderstraße in die Torstraße umgezogen ist. Mit plüschigem Teppich und bequemem Sofa hat der Raum das Flair eines Modesalons, wie es sie eigentlich nicht mehr gibt. Hier kann die Designerin ihre edel-schlichten und dennoch eigenwilligen Abend- und Tageskleider, Seidenblusen und Jäckchen präsentieren.

Im angeschlossenen Atelier wandelt sie ihre Modelle nach Kundenwünschen ab, macht gelegentlich auch Einzelanfertigungen, entwirft Neues im eigenen Tempo. Die Entscheidung ist ihr schwer- gefallen. „Eine Kollektion zu erarbeiten, zu einem Thema, zu einer Jahreszeit macht mir großen Spaß. Ich hätte das gerne weitergemacht, aber ohne große Firma in Hintergrund ist das technisch und finanziell nicht zu schaffen.“

Irgendwann ging es nicht mehr weiter

Jaqueline Huste hadert nicht mehr, sie ist überzeugt, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, als sie vor fünf Jahren beschloss, nur noch für ihren Laden in der Auguststraße zu produzieren. Gestartet hatte die gelernte Architektin, die ihr Label Wolfen 2001 gegründete, zunächst ganz klassisch: zwei Kollektionen im Jahr, Präsenz auf Messen, Verkauf an Einzelhändler.

Es lief gut, die Presse feierte Hustes Entwürfe mit der bodenständig-spröden Aura, die knielangen Kleider und Röcke, die schlichten Blusen und Strickjacken, handgefertigt in ihrer sachsen-anhaltinischen Heimatstadt Wolfen. Sie verkaufte nach Tokio, Mailand und New York. Leben konnte sie von ihrer Mode allerdings auch nach jahrelanger Arbeit nicht. „Es hat immer nur gerade so gereicht, um die nächste Kollektion zu machen“, sagt sie.

Irgendwann kam der Punkt, an dem ihr klar wurde, dass es so nicht weitergehen kann. „Entweder hätte ich größer werden müssen, das heißt einen Investor suchen, oder eben wieder kleiner.“ Sie entschied sich für kleiner. „Intuitiv“, sagt sie. „Es fühlte sich einfach besser an.“ Jetzt gibt es Wolfen nur noch im Wolfen-Laden, und Huste hat die Freiheit, genau so zu arbeiten wie sie will. Sie liebt es, in Stoffgeschäften und Lagern zu stöbern. Wenn sie jetzt ein schönes Stück Stoff findet, das genau für fünf Blusen reicht, macht sie eben fünf Blusen.

Immer neues bieten ist nicht ihr Ehrgeiz

Ständig Neues zu bieten, ist ohnehin nicht ihr Ehrgeiz. „Ich mache im Grunde immer das Gleiche. Daher spreche ich auch lieber von Bekleidung als von Mode.“ Es läuft gut, 2013 war ihr erfolgreichstes Jahr. Die Kundinnen des kleinen Ladens mit dem altmodischen Ladentisch kommen großenteils aus Berlin oder haben vor dem Besuch schon irgendwo von Wolfen gelesen. Sie sind nicht auf der Suche nach den aktuellen It-Pieces, sondern nach einem Kleidungsstück, das man lange behält. Sie schätzen Qualität.

Die kann Huste zu vergleichsweise günstigem Preis anbieten, da es ja keine Zwischenhändler gibt. Auch das hat zu ihrer Entscheidung beigetragen. „Eines Tages habe ich in Köln vor einer Bluse von mir gestanden und festgestellt, dass ich sie mir selbst nicht mehr leisten könnte“, erzählt sie. „Das hat mir zu denken gegeben.“

Auch die Designerin Wibke Deertz produziert Männermode für ihr Label A.D.Deertz nicht mehr im Saisonrhythmus. Sie ist überzeugt, dass es Zeit braucht, bis etwas wirklich gut ist. Außerdem hat sie festgestellt, dass ihre Kunden es schätzen, wenn ein Hemd aussieht, als hätte man es schon immer gehabt. Und sie hat jetzt mehr Zeit für ihre zweite Leidenschaft, das Reisen. „Ich bin sehr zufrieden. Früher bin ich wie eine Gestörte durch die Gegend gehetzt, jetzt ist das Leben eindeutig besser.“

Die Schnelligkeit der Modewelt ist entwertend

Angesichts einer Modeindustrie, die immer schneller wird, in der Labels zusätzlich zu Sommer- und Winterkollektion Cruise- und Pre-Fall-Kollektionen anbieten müssen, um den unersättlichen Appetit nach Neuem zu stillen, von dem rasenden Wechsel an den Kleiderstangen von H&M und Zara ganz zu schweigen, liegt in der Entscheidung für die Langsamkeit mehr als das Streben nach einer ausgeglicheneren Work-Life-Balance.

Wibke Deertz nimmt das sehr ernst: „Es geht nicht nur darum, nachhaltiger mit der eigenen Zeit umzugehen, sondern auch um nachhaltigere Produkte. Wenn man Kollektionen macht, heißt das auch: In drei Monaten muss der Preis für ein Teil schon um die Hälfte reduziert werden. Das finde ich für meine Arbeit total entwertend.“

Bettina Homann

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