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Nicht zum ersten Mal zerreißt Robert Harting sein Leibchen vor Freude. Hier tut er es nach dem Gewinn einer Goldmedaille.

© dapd

Interview: "Die Beschäftigung mit dem Körper hat etwas Religiöses"

Wer sich die Olympischen Spiele angeschaut hat, musste sich nicht nur mit der Präsentation von Leistung, sondern auch mit der von Körpern auseinandersetzen. Dazu hat Joachim Mrazek, Sportsoziologe an der Sporthochschule Köln einiges zu erzählen.

Hat sich das Verhältnis der Menschen zu ihrem Körper in den vergangenen Jahren verändert?

Es gibt, und das gilt für alle Menschen in den westlichen Industriegesellschaften,  seit einigen  Jahrzehnten zwei parallel ablaufende Tendenzen. Die Menschen wollen Trends folgen und sich gleichzeitig abheben, etwas besonderes sein, ihre Individualität betonen. Dazu gehört natürlich auch der Körper, der früher als wenig beeinflussbar galt. Bis in die 60er Jahren galt noch: Der liebe Gott hat mir einen Körper gegeben, mit dem muss ich leben. Damit geben sich viele nicht mehr zufrieden – sie treiben mehr Sport, pflegen und verändern ihren Körper mehr, das geht hin bis zur Schönheitschirurgie.

Vereinheitlicht man seinen Körper damit nicht auch wieder?

Ja, aber die Arbeit am Körper bedeutet auch seine Individualität herauszuarbeiten. Man lebte früher gruppenorientiert, gottgefällig und arbeitete fleißig. Heute muss Identität auch über den eigenen Körper erzielt werden, Religion ist nicht mehr so wichtig. Die Beschäftigung mit dem Körper hat heute dafür mitunter etwas Quasi-Religiöses. Die Erlösung wird nicht mehr im Jenseits erwartet, sie wird mit einem gesunden und durchtrainierten Körper, den man der Natur abringt, ins Diesseits verlegt.

Was bedeutet das für Spitzensportler?

Der Körperkult, den man im Spitzensport beobachten kann, hängt auch mit diesen allgemeinen Entwicklungen zusammen, aber auch mit der Kommerzialisierung des Sports.  Früher ging es nicht um die schöne Präsentation des Körpers, es ging ausschließlich um Leistung. Sportler waren brav und  uniformiert. Die Männer trugen meistens schwarze Hosen und weiße Hemden und es gab nur wenige verschiedene Schuhe für alle Disziplinen. Heute hat fast jede Sportart ihre eigene Kleidung und eigenen Schuhe, individuell entwickelt von Fachleuten und von Marketingexperten auf den Markt gebracht.

Was hat das mit den Olympischen Spielen zu tun?

Diese Kommerzialisierung hat sehr starke Auswirkungen auf die Olympischen Spiele. Mit und bei keinem anderen Sportevent wir soviel Geld umgesetzt. Dort bekommen die Sportler  Medienaufmerksamkeit, mit der sie direkt und indirekt Geld verdienen können. Es geht für sie also darum, ein positives Image aufzubauen und damit ihren Marktwert zu steigern.

Und wie bekommen die Sportler ein solches Image?

Es geht um die Vermarktung des Körpers. Das klingt ein wenig nach Prostitution, was es irgendwie ja auch ist, aber natürlich nicht auf sexueller Ebene. Heute gibt es Trainer für die verschiedensten Bereiche des Körpers, Masseure, Sportmediziner, Manager, Finanzberater usw., all die muss man ja auch bezahlen können. Man muss heute seine Biografie komplett auf den Spitzensport ausrichten, kann also oft auch keine Berufsausbildung abschließen. Da Bestleistungen in vielen Disziplinen nur bis etwa 30-35 Jahre möglich sind, müssen die Sportler versuchen, aus ihrer Karriere viel Geld in kurzer Zeit herausholen. Bei den Turnern ist es ja oft schon mit Mitte bis Ende Zwanzig vorbei. Und weil alle ihre Experten haben, ist die Leistungsdichte sehr hoch, da muss man sich mit etwas anderem hervorheben.

Zum Beispiel?

Zum ersten Mal gibt es bei den Spielen in London auffällig viele Tattoos. So viele Olympische Ringe habe ich noch nie gesehen und die lassen sich nicht nur Olympiasieger stechen, sondern Sportler, bevor sie nach London gefahren sind. Auch das Tattoo gehört zur Beschäftigung mit dem eigenen Körper. Früher waren Sportler angepasste, brave Leute mit einem strengen Tagesrhythmus, stark reglementierten Privatleben, Tattoos hatten eher Punks. Das ist heute anders. Wer angepasst ist, fällt eben nicht auf.

Da geht es also um Körpereinsatz?

Wir Soziologen unterscheiden Aktions- und Präsentationsleistung. Aktionsleistung ist die sportliche Leistung selbst, Präsentationsleistung bedeutet, sie und sich öffentlichkeitswirksam zu präsentieren. Das kann zusammen passen wie zum Beispiel bei Usain Bolt, kann aber auch auseinander klaffen. Ein Beispiel dafür ist die Tennisspielerin Anna Kournikova, die nie ein großes Turnier gewonnen hat, sich aber sehr gut vermarkten konnte – aber eben eher als Model.

Sehen die Sportler denn so austrainiert aus, um sich besser vermarkten zu können?

Nein, das ist eher ein Nebeneffekt. Es reicht heute nicht mehr, nur bestimmte Körperteile oder Bewegungsabläufe zu trainieren. Und man kann sich nicht auf seine guten biologischen Anlagen verlassen. Dafür ist die Leistungsdichte heute viel zu hoch. Einen gut modellierten  Oberkörper findet man heute in vielen Sportarten.

Den hat ja auch Robert Harting nach seinem Sieg gezeigt.

Dass Männer sich ihre Oberteile vom Körper reißen und einen gut modellierten Oberkörper zeigen, soll natürlich Kraft symbolisieren, und wenn Robert Harting sein Trikot zerreißt, demonstriert er Kraft und Überlegenheit – normale Leute bekommen das nicht so einfach hin.

 

Dass man so viele nackte Oberkörper sieht, ist also eine neuere Tendenz?

Das hat wahrscheinlich mit David Beckham begonnen. Er hatte nicht nur den entsprechenden Körper dafür, er wollte sich auch von einem braven Sportlerimage befreien. Viele Fußballer machen es ja, ob wohl es mit einer gelben Karte geahndet wird, aber es zeigt eben auch: Ich bin stark, aber nicht brav und ich will Respekt und Aufmerksamkeit.

 

Und wie geht es weiter?

Es geht schon längst nicht mehr nur um die Leistung, sondern auch um schöne Körper und ihre Präsentation. Nicht zuletzt um die Verpackung, die immer körperbetonter und spärlicher wird. Man könnte zum Beispiel spekulieren, ob die Sportler irgendwann wie die alten Griechen bei den Olympischen Spielen nackt antreten. So lange die Präsentation wichtig ist, werden sich die Sportler überlegen, wie sie auf sich aufmerksam machen und das wird auch immer mehr außerhalb der Arenen stattfinden. Hauptsache man ist in den Medien. Da gibt es natürlich auch eine Kehrseite: Man muss den Spitzenerwartungen entsprechen. Wenn die Leistung nicht erbracht wird, fallen Fördergelder,  Sponsoren und Werbeeinkünfte ganz schnell weg.

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