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Gesellschaft: Jenseits des Sinns

Ist über Sprache ein Zugang zu Mode zu finden? Bei der Bread & Butter fällt das schwer – Worte gibt es viele, die Bedeutung des Ganzen bleibt aber verborgen.

Vielleicht geht es ja genau darum: Modeneulingen die Schwellenangst zu nehmen, ihnen ein gutes Gefühl geben – die Sicherheit, dass selbst bei der Jeansmesse Bread & Butter immer irgendjemand schlechter Gekleidetes in der Nähe ist. Vielleicht ist das ja der Grund, warum die allgegenwärtigen Messemitarbeiter in unförmigen Kartoffelsäcken durch den Tempelhofer Flughafen wuseln – merkwürdigen, auf halber Wadenhöhe festgeschnürten Jeanspumphosen in einem undefiniert-unverwaschenen Blau mit allerhand Bändeln dran – im Meer der farbigen Röhrenjeans versprüht das einen Hauch von Wühltisch weit draußen in der Vorstadt.

Vielleicht ist es aber auch irgendein völlig verrücktes modisches Statement, das der Laie nicht versteht – die Insassen der Kartoffelsäcke vermögen das allesamt nicht zu sagen. Am Ende ist das alles eher verunsichernd als beruhigend, ebenso verunsichernd wie der auf dem Gepäckband in der alten Flughafenhalle beim Messe-„Check-In“ in unendlicher Zahl umeinanderfahrende „Tradeshow Guide“: „Für viele Modemacher, so scheint es, zahlt es sich manchmal aus, einige Moderegeln zu brechen“, steht da zu lesen, und der unbedarfte Leser ist spätestens hier bereits der Verzweiflung nahe: Wann ist „manchmal“? Was genau ist „einige“? Und was gibt es außer „Keine weißen Socken in Sandalen“ eigentlich noch so an festen „Moderegeln“?

Vielleicht lässt sich über Sprache auch schlicht kein Zugang zur Mode finden – auch, weil eine Sprache, die derart offen lässt, welche Abweichung von der Norm nun besonders toll und welche total daneben ist, einem denkbar wenig weiterhilft, Kriterien für irgendwas zu entwickeln. Beim Gang durch die Messesektionen unter dem Flughafendach drängt sich zumindest der Verdacht auf, dass verbale Kommunikation hier generell nicht der Schaffung von Sinn, sondern allein dem Herausstechen aus dem Meer der Andersseinwollenden dient.

Sinnfrei brüllen die Slogans – am meisten auf den Punkt bringt diese Sprachlogik der Anziehpuppenhersteller Hans Boodt: „We are young, innovative, creative, dutch, rebellious, customized, personal, experimental“, steht an dessen Stand zu lesen – und während sich der Leser noch fragt, warum er nun eigentlich grinsen muss, hat er sich bereits wieder zur Ordnung gerufen: In einen Schwall stereotyper Selbstzuschreibungen die Information unterzubringen, man sei nicht nur „kreativ“ und „rebellisch“, sondern auch „holländisch“, das ist – mit Verlaub – dann doch zu billig. Ertappt bemerkt der Besucher, dass er auf der Suche nach Sinn Aufmerksamkeit verschwendet hat – für eine wohlkalkulierte Abweichung von einer Ordnung, deren einziger Sinn die Hervorbringung dieser Aufmerksamkeit ist.

Während sich der Neuling so in Schleifen der Introspektion verliert, wirken die anderen Messebesucher und -mitarbeiter recht versiert in der Beantwortung der Frage nach dem Sinn von alledem hier: Vom pragmatischen „Verkaufen“ über das nebulöse „Schönheit“ bis zum treffsicheren „Mode“ ist alles dabei, das nach viel klingt und wenig bedeutet. Längst ist da klar, dass man es bei einer Modemesse – mehr noch als bei anderen Messen – mit einem archetypisch unterdefinierten Raum zu tun hat. Einen ausgesprochenen tieferen Sinn hat hier nichts – wohl auch deshalb, weil ja bekanntlich alle Regeln, die ihn konturieren könnten, sich auch wieder komplett ändern können (sogar dahingehend, dass es sich irgendwann eben nicht mehr auszahlt, sie zu brechen).

Und doch gibt es da etwas, worin zumindest der Sinn dieser spezifischen Bread & Butter zu liegen scheint – und was, so wenig es zwischen den Ständen verbalisiert wird, doch ein interessantes Anliegen verwirklicht: Man will hier augenscheinlich ein Stück Ewigkeit. Viele der Aussteller suchen, indem sie an ein (natürlich idealisiertes) Gestern erinnern, das Überzeitliche im Jetzt – und das ausgerechnet hier, wo nichts für die Ewigkeit gemacht ist. 60er-Jahre-Rhythm’n’Blues tropft von der Hallendecke, der Standwandstandard bei so einer Jeansmesse ist wohl ohnehin die an vergangene Unmittelbarkeit erinnernde Brandmauer- oder Holzverschlagsoptik. Außerdem sind alte Sanitäreinrichtungen beliebtes Dekorationsobjekt. Schiesser spielt in seinem an einen Salon der Jahrhundertwende gemahnenden Stand beinahe penetrant mit seinem Retro-Image. Und nicht nur hier, auch an vielen anderen Stellen werden Hemden feilgeboten, die frisch der Kleiderkammer eines Hochseedampfers von 1910 entwendet scheinen. Wer heute Jeans trägt, muss wohl obenrum aussehen wie Joachim Ringelnatz in seiner Leibwäsche – das zumindest ist eine der Botschaften, die, lenkt man den Blick auf das Unausgesprochene, bei dieser Bread & Butter rüberkommen.

Jenseits des Geredes vom Regelbruch und der Lebenslüge von verkaufsfertiger Einzigartigkeit hat das alles also doch sehr wohl einen Sinn: Das Gestern im Heute der Messe aufscheinen lassen und damit ein Lebensgefühl für die Straßenmode von Morgen prägen. Das alles hat bestimmt einiges mit der Krise und der Sehnsucht nach alten Zeiten und noch mehr mit einem Innovationsstau gerade in der Jeansmode zu tun. Das allerdings sollen die beurteilen, die auch erklären können, was es mit den Kartoffelsäcken der Messemitarbeiter auf sich hat. Johannes Schneider

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