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Kleidung für die Krise: Mode für den Herbst

Schon lange hat man nicht mehr so viel Leder gesehen.

Leder ist ein Krisenmaterial. Durch das Tragen vermindert sich nicht etwa der Wert, denn man darf ruhig merken, dass Träger und Jacke einiges zusammen durchgemacht haben. Schon lange hat man nicht mehr so viel Leder gesehen – in den Läden, auf der Straße und auf den Laufstegen. Es scheint, als habe Lederbekleidung die riesige Tasche auf dem Laufsteg als Statussymbol abgelöst. Die Accessoireschwemme von New York bis Paris ist auf jeden Fall vorbei, stattdessen steckt Stefano Pilati für Yves Saint Laurent seine Models nicht nur in die obligatorische Fliegerjacke aus schwarzem Nappaleder, sondern auch in Overalls aus dem gleichen Material. Seine Kollegen, Jean Paul Gaultier oder Alber Elbaz für Lanvin, wollen starke Frauen und schwanken zwischen Edeldomina und Motorradbraut.

Schon im Juli 1974 während der Ölkrise stellte die Modejournalistin Marietta Riederer in der „Zeit“ fest: „Leder, das ist eine Wonne-Welle für alle in sparsamen Zeiten.“ Und weiter: „Im Moment gilt Qualität als wertbeständig, sie hebt das Ansehen, verrät Wohlhabenheit oder täuscht sie vor.“

Auch Carl Tillessen trägt eine Lederjacke, wie sie klassischer nicht sein könnte, aus schwarzem Nappaleder, mit Strickbündchen und seitlichen Reißverschlusstaschen. Leder spielt im Leben von Carl Tillessen und seiner Geschäftspartnerin Daniela Biesenbach eine große Rolle: Zusammen führen sie das Berliner Modelabel Firma; Leder ist ein wichtiger Bestandteil in jeder ihrer Kollektionen. Sie gründeten Firma vor zehn Jahren in Berlin, um Kleidung für Männer zu machen, die weder wie italienische Gockel noch wie brave Bankangestellte daherkommen und trotzdem in richtigen Anzügen, Mänteln und Jacken, Jeans und T-Shirt gut aussehen wollen. Seit drei Jahren macht Firma auch Kleidung für neidische Ehefrauen. Daniela Biesenbach hat lange gepiekst, sie wollte endlich ihre eigene Mode tragen können.

Inzwischen hat die Damen-, die Männerkollektion in Umfang und Umsatz weit hinter sich gelassen. Trotz maskuliner Schnitte und Stoffe in zurückhaltenden Farben und Mustern ist die Damenkollektion sehr eigenständig geworden; mit Leder sind die Designer hier viel experimentierfreudiger als bei den Männern. Zartes Nubukleder haben sie für ein Kleid in viele feine Streifen geschnitten, so dass das Material wie ein Wasserfall in diagonalen Bögen fällt. „Das geht mit Leder, weil man es mit offenen Kanten verarbeiten kann“, erklärt Daniela Biesenbach.

Leder wird oft klassisch verarbeitet, man findet meist wenig außergewöhnliche Farben und Formen in den Läden. Das liegt nicht nur daran, dass eine Lederjacke weniger als modische Ergänzung für eine Saison denn als Basisteil für die nächsten Jahre gedacht ist. Viele Modefirmen kaufen Kleidungsstücke aus Leder direkt von den Lederherstellern fertig dazu. Carl Tillessen stellt immer wieder fest, dass solche Lederjacken zwar gut aussehen, aber verschnitten sind: „Den Lederfirmen geht es mehr um das Material, mit der Passform kennen sie sich anscheinend nicht aus.“ Bei Firma dagegen passt die Lederkleidung, die etwa 15 Prozent der Kollektion ausmacht, genauso gut wie die Anzüge aus Jersey und Popeline. Und sie hat, wie im Fall des engen Etuikleides aus weichem Stretchleder, eine subtil erotische Ausstrahlung.

Ihren eigenen Stil weiterzuentwickeln, war in den zehn Jahren immer ein Antrieb: „Wir können uns jetzt nicht nur in jedem einzelnen Stück ausdrücken, sondern auch im Ladendesign, den Verpackungen und bald mit unserer ersten Herrenpflege.“

„Heute kann man mit Leder viel näher an den Körper heran und es mit anderen Materialien kombinieren, weil es waschbar ist.“ Tillessen kann stundenlang über die Eigenschaften und Vorzüge berichten: „Leder ist atmungsaktiv, passt sich dem Körper an, leitet Feuchtigkeit weiter, ist windfest.“ Ein Blouson für die Herbstkollektion, über und über mit winzigen Löchern perforiert und dadurch weich und leicht, kann als eleganter Strickjackenersatz dienen. Er sieht gleichzeitig angezogen und lässig aus.

Inzwischen haben Tillessen und Biesenbach genug Erfahrung gesammelt, um die Scheu vor dem Leder zu verlieren. Denn Leder ist ein teures Luxusprodukt. Billig bekommt man kein gutes, pflanzlich gegerbtes Leder aus Europa. Es ist ein tierisches Produkt, dessen Verarbeitung sehr umweltschädlich sein kann. Beispielsweise, wenn man die Häute mit Chromsalzen gerbt und beim Färben giftige Chemikalien einsetzt. „Unsere Leder werden fast alle in Europa hergestellt. Wir verwenden nur chromfreies Leder, das hat die schönere Oberfläche, es sieht nicht so zugespachtelt und lackiert aus“, sagt Carl Tillessen.

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