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Krawalle in Großbritannien: Bilder außer Kontrolle

Der schöne Schein betrügt: Der Aufruhr in Großbritannien zeigt, dass die Modeindustrie über ihre Botschaften nachdenken sollte – erst recht, wenn sie versucht, Ideale zu verkaufen.

Wer eine Jeans bei Levi’s kauft, bekommt die Botschaft mitgeliefert. „Dein Leben ist dein Leben. Lass es nicht in dumpfe Unterwerfung pressen.“ Leider werden mal wieder die britischen Jugendlichen benachteiligt. Sie können sich die Worte, die dazu ermuntern sollen, ihr Leben in die Hand zu nehmen, nicht anhören.

Der am Dienstag weltweit veröffentlichte Werbespot des Jeansherstellers, aus dem diese Zeilen stammen, wird nicht in Großbritannien gezeigt, weder online noch im Kino. Das liegt vor allem an den Bildern. Auf denen sind nicht nur knutschende Pärchen unter Wasser zu sehen, sondern auch junge Menschen, die sich bei den 1.-Mai-Krawallen in Berlin vergnügen. Sie werfen keine Steine und plündern nicht, aber eine gewisse Nervosität geht von den Sequenzen aus, in denen mit Rauchbomben gewedelt wird, Menschen in Kapuzenpullovern über Straßen hetzen und im nächsten Bild ein Feuer zu sehen ist – das sich allerdings als Lagerfeuer entpuppt. Und alle tragen dabei die richtige Jeans.

Levi’s hat seine Konsumenten auf der ganzen Welt gefragt, was sie bewegt, und ist dann zu den Themen „hoffnungsvolles Gefühl für eine bessere Zukunft“ und „jugendlicher Optimismus“ gekommen. Mit ihrem Spot wollten sie Leute zeigen, die sich daranmachen, die Welt zu verändern. Und wie eine Sprecherin von Levi’s gestern vermutete, sind das jetzt all die Menschen, die sich über Twitter nach den Krawallen zum Aufräumen in Clapham und Hackney verabredet haben. Warum diese Botschaft sich ausgerechnet mit Bildern vom 1. Mai in Berlin transportieren lässt, ist auch ohne die Ausschreitungen in Großbritannien nicht wirklich zu verstehen.

Viele Beobachter der Krawalle in Großbritannien wundern sich gerade darüber, dass die Plünderer gut sichtbare Markenkleidung tragen, um dann noch mehr Turnschuhe und Adidas-Sweater zusammenzuraffen. Fassungslos äußern sie sich über die Verwahrlosung dieser mehrheitlich jungen Leute, die Konsum auf ihre ganz eigene Weise interpretieren. Die weder Bildung noch Werte davon abhalten, brandschatzend durch die Einkaufsstraßen zu ziehen. Wie absurd sind die Bilder von Kaufhäusern, die von Spezialeinheiten der Polizei geschützt werden müssen. Der britische Einzelhandelsverband BRC hat ausgerechnet, dass die Plünderungen und die Zerstörungswut die Händler mehr als 40 Millionen Pfund kosten werden. Viele werden ihre Geschäfte nicht mehr öffnen können. Die meisten von ihnen verkaufen Elektronik und Mode. Also eben jene Statussymbole, die am aggressivsten über ein Lebensgefühl beworben werden.

Denn gerade Kleidung hat keine handfeste Funktion, die das Leben leichter machen kann. Aber viele Werbebotschaften suggerieren, wie auch die von Levi’s, dass es mit den richtigen Kleidern leichter wird. Dafür braucht es die richtigen Vorbilder: Mode funktioniert am besten über Nachahmung. Deshalb gibt es Markenbotschafterinnen, die wie die Gossip-Girl-Schauspielerin Blake Lively für viel Geld von Karl Lagerfeld zum Gesicht einer bestimmten Tasche berufen werden. Um Glaubwürdigkeit geht es nicht, es reicht, gut auszusehen. Warum sonst könnte sich der italienische Modemacher Giorgio Armani von Kim Kardashian, einer noch perfekteren Selbstvermarkterin als Paris Hilton, ein Tweet für 25 000 Dollar kaufen, in dem sie eine Armani-Jeans lobt. Danach gab es 40 000 Klicks auf der Homepage von Armani.

Eine kollektive Schuld kann man der Modebranche nicht geben, sie nimmt nur besonders effektiv auf, was sich in der Welt abspielt, und nutzt Stimmungen für einen Zweck, nämlich den Konsum anzukurbeln.

Daher darf man die Aussagen nicht wörtlich nehmen, dass Mode die Welt verbessern könne. Das kann sie nicht, auch wenn Shopping längst für viele zu einer Art Daseinsberechtigung geworden zu sein scheint. Statt sich von der Mode vereinnahmen zu lassen, sollte man sie benutzen, um seine eigene Individualität auszudrücken.

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