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Look: Der große Entwurf

Aus der Kunsthochschule Berlin-Weißensee kommen namhafte Talente der Berliner Mode. Was macht das Studium dort so besonders?

Vom Zentrum der Berliner Mode, den geschäftigen Straßen rund um den Hackeschen Markt, ist die Kunsthochschule Weißensee denkbar weit entfernt. Der Gegensatz zur Hektik von Mitte könnte kaum größer sein als im grünen Innenhof des überschaubaren Hochschulgebäudes im Berliner Nordosten. Dort treffen sich Studierende, um in Ruhe ihre Projekte zu besprechen. In diesem Refugium wuchsen einige der größten Talente heran, die in den vergangenen Jahren das aktuelle Bild der Berliner Mode mitbestimmen.

Auch während der laufenden Fashion Week haben wieder zahlreiche Weißensee-Absolventen ihren ersten großen Auftritt. Bei den Nachwuchswettbewerben sind sie stark vertreten: Gleich vier der fünf Finalisten des hochkarätig besetzten „Start Your Fashion Business“-Preises, den der Berliner Senat erstmals vergibt, studierten an der Kunsthochschule. Darunter ist auch das Label Perret Schaad, das während der letzten Fashion Week im Januar sein gefeiertes Debüt gab, und Michael Sontag, der im vergangenen Sommer für seine erste eigene Show am Bebelplatz großes Lob von höchster Stelle erhielt. Damals zeigte sich Suzy Menkes, international die wichtigste Modekritikerin, von seinen Entwürfen begeistert.

Vier der Finalisten des "Star Your Fashion Business"-Awards wurden in Weißensee ausgebildet

In den vergangenen Jahren hatte die Hochschule bereits namhafte Absolventinnen wie Doreen Schulz und Clara Eskovar, die beiden kreativen Köpfe des Labels C.Neeon, hervorgebracht. Die geben mittlerweile als Gastprofessorinnen im Fachgebiet Modedesign ihr Wissen an die nächste Generation weiter.

Hat die Talentschmiede in Weißensee ein besonderes Erfolgsgeheimnis? In jedem Fall verfügt sie über ein ganz eigenes Profil. Das beruht nicht zuletzt darauf, dass die Hochschule großen Wert auf Tradition legt. Die geht letztlich bis auf die Zeit vor dem Krieg zurück.

Die Lehrprinzipien der Kunsthochschule wurden maßgeblich von Mart Stam geprägt. Der niederländische Architekt und Designer zählt zu den wichtigsten Vertretern der klassischen Moderne; 1927 entwarf er eines der Häuser der berühmten Weißenhofsiedlung in Stuttgart. Nach dem Krieg siedelte er in die DDR über, 1950 wurde er zum Rektor der jungen Hochschule in Weißensee ernannt.

Ganz den Idealen der Vorkriegszeit verpflichtet, führte Mart Stam dort das fächerübergreifende Grundstudium ein. Im ersten Studienjahr lernen die Schüler aller Fachrichtungen gemeinsam die Grundlagen kreativen Gestaltens und erhalten Einblicke verschiedene Techniken, erst danach spezialisieren sie sich in ihren selbst gewählten Fächern. Von vornherein werden sie auf diese Weise auf interdisziplinäres Arbeiten vorbereitet. Deutlich wurde das etwa an den frühen Kollektionen von C.Neeon. Dort spielten grafische Drucke eine gleichberechtigte Rolle neben den Schnitten und Formen der Entwürfe. Die Kleider mit ihren bunten, abstrakten Prints erinnern auch an Vorbilder aus der klassischen Moderne – beispielhaft für die Prinzipien der Hochschule.

Neben dem gemeinsamen Grundstudium ist die Nähe zu den Werkstätten auf dem Campus ein prägendes Element des Studiums in Weißensee. „Unsere Studenten verherrlichen die Werkstätten geradezu,“ sagt Heike Selmers, Professorin für Modedesign. Das hat auch zur Folge, dass viele Weißensee-Zöglinge eine besondere Denkweise entwickeln.

Viele Studierende sind ganz bei sich und ihren Vorstellungen, nicht bei den aktuellen Modetrends

Für sie endet der kreative Prozess nicht mit der Abgabe eines Entwurfs, sondern schließt auch die konkrete Umsetzung in der handwerklichen Fertigung mit ein. „Darin unterscheiden wir uns vor allem von Hochschulen im Ausland,“ bemerkt Selmers' Kollege Patrick Rietz. Diese Verbindung zwischen Entwurf und Handwerk knüpft an die Ideale des Bauhauses an. Weißensee steht in einer langen Traditionslinie der deutschen Moderne.

Doch was bedeutet der tiefe Geschichtsbezug für die Modeschüler von heute? In jedem Fall zieht das Profil der Schule Talente an, die nicht den effizientesten Weg in die Bekleidungsindustrie suchen, sondern eine möglichst umfassende kreative Ausbildung wollen. „Ich glaube, dass unsere Schüler Wert auf ihre künstlerische Freiheit legen,“ erklärt Selmers. Für die bietet das Institut einen Rückzugsraum: „Angewandte Dinge aus dem echten Leben und der Industrie finden eher außerhalb der Schule statt.“

Rietz ergänzt: „Wir haben viele Studenten, bei denen man gar nicht so genau weiß, ob sie sich überhaupt für aktuelle Mode interessieren. Die sind ganz bei sich und ihren Vorstellungen. Das kann auch ein Problem werden, weil sie sich hinterher nur schlecht in einen normalen Designberuf einfügen können. Einen Job in der Industrie wollen sie gar nicht.“ Stattdessen leben sie ihre kreativen Impulse aus: „Die wollen eher skulpturale Konzepte am Körper, frei von Raum und Zeit, entwerfen,“ beschreibt es Selmers.

Das können sie in Weißensee. Dort wird nicht nur Wert auf künstlerische Freiheit, sondern auch auf entsprechende Entwurfstechniken gelegt. Anders als etwa an vielen Fachhochschulen, die direkt für die Industrie ausbilden, wird in Weißensee beispielsweise viel mit Stoffen direkt an den Kleiderpuppen drapiert. Das spiegelt sich später darin wieder, dass Kollektionen von Weißensee-Absolventen oft eine ausgeprochene Sensibilität für besondere Volumina, Faltenwürfe und Materialeigenschaften verraten.

Elemente also, die zuletzt etwa die gefeierte Debütkollektion von Perret Schaad prägten. Deren Reiz bestand gerade darin , dass sie mit ganz unterschiedliche Beziehungen von Kleidungstück und Körper experimentierte. Manchmal unterstrichen die Entwürfe die Figur, manchmal überspielten sie sie aber auch ganz bewusst durch aufwändige Konstruktionen, ohne dabei ins Kubnsthandwerkliche abzudriften. Bemerkenswerterweise wurde sie sogar ausdrücklich dafür gelobt, „tragbar“ zu sein.

Und so darf man sich von dem demonstrativen Beharren der Hochschule auf traditionelle Werte wie künstlerische Freiheit auch nicht täuschen lassen. Die Entwürfe der Absolventen verweigern sich häufig zwar bewusst dem ansonsten in der heutigen Zeit fast allgegenwärtigen Zwang zur größtmöglichen Effizienz, erfahren aber, gerade weil sie sich schnelllebigen Trends entziehen, besondere Wertschätzung.

Die Kunsthochschule Berlin-Weissensee öffnet am 17. und 18. Juli die Türen, auch für Interessierte am Bachelorstudiengang Modedesign. 12-20 Uhr, Bühringstraße 20, Weißensee, www.kh-berlin.de.

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