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Luxusmarken: Skater ohne Board

Auch wenn sie nicht mehr auf Rollen unterwegs sind, wollen sie ihren Stil beibehalten. Für älter werdende Skater gibt es inzwischen einige Luxusmarken.

Sie sind mit Narben übersät, haben mit 17 Jahren bereits etliche künstliche Zähne, und ein Großteil ihres Körpers wird nur noch durch Nägel zusammengehalten. Ihre Schulnoten lassen meist genauso zu wünschen übrig wie ihre Körperpflege, aber sie sind die Coolen, die Mädchenschwärme, die Marktplatz-Anarchisten. Sie sind: Skater.

Skater sind wie Rock’n’Roll, nur lässiger. Sie haben eine starke Affinität zu Mode und Style, einschlägige Marken definieren ihren sozialen Code. Brands wie Supra, Volcom, DC, Burton oder Stüssy und Zoo York sind es, die einen jungen Menschen erst vom Rollbrettfahrer zum Skater machen. Dieses Prinzip bestimmt auch dann noch das Stilbewusstsein dieser Spezies, wenn sie ihre Skateboards längst von den Rollen befreit und als Kunstobjekte an die Wand gehängt hat.

Folglich gibt es wohl kaum modebewusstere Menschen abseits der High-fashion-Welt, als ehemalige Skater. Sie haben meist gut bezahlte Jobs in der Kreativwirtschaft, fahren gerne teure Autos und kaufen sich Eigentumswohnungen in beliebten Szene-Bezirken. Sie lieben Marken, die ihnen einen individuellen, exklusiven Style versprechen und sind durchaus bereit, dafür viel Geld auszugeben. Mit den klassischen Designern aus Mailand oder Paris wissen sie nichts anzufangen, ihre T-Shirts, Jeans und Jacken kosten jedoch meist genauso viel wie ein Armani-Outfit.

Marken wie Supreme, A Bathing Ape, Original Fake oder Alive sind die Welt, in der sich der modebewusste Ex-Skater mit Vorliebe bewegt. Labels, die ihre Exklusivität durch inszenierten Mangel zelebrieren, die es nur in wenigen Stores auf der Welt zu kaufen gibt und die für ein einfaches T-Shirt gerne 80 Euro und mehr verlangen. Doch so klein der exklusive Streetwear-Mikrokosmos auch sein mag, sein Einfluss auf die popkulturelle Relevanz der Mode ist beträchtlich. Schließlich war es die Streetwear, die ganzen Generationen von Männern erst einen Zugang zum Thema Mode und Stil ermöglichte.

Wesentlichen Anteil an dem sagenhaften Aufstieg der legeren, slicken Alltagskleidung hat der japanische Designer Nigo, der mit der Gründung des Lables „A Bathing Ape“ Mitte der 90er Jahre ein neues Zeitalter der sportlichen Straßenkleidung einläutete. „Bape“, wie die Marke von ihren Fans genannt wird, setzte von Beginn an auf Exklusivität, Qualität und unverwechselbare Stilmerkmale. Ein Konzept, das ankam: Schon bald wurden die zügellos-schnoddrigen Aufdrucke, mit denen Nigo seine T-Shirts versah, zum sozialen Code einer neuen Generation modebewusster Männer, die mit dem androgynen Schick der Pariser Haute Couture ebenso wenig anzufangen wusste wie mit der steifen Kleiderordnung der älteren Generation, die eher der Unterordnung unter das harte japanische Wirtschafts- und Karrieresystem Ausdruck verlieh als dem immer stärker werdenden Bedürfnis der Jugend nach Individualität.

Genau darum ging es Nigo jedoch – die Befreiung von alten Konventionen durch stilistischen Ausbruch, modische Übertreibung und schamlose Verkitschung des Alltags. Er suchte seine Inspirationen immer in einer Zwischenwelt von medialem Kult und künstlerischem Anspruch, zwischen Ungehorsam und Bequemlichkeit. Sein Haus in Tokio sieht daher aus wie ein überdimensionaler Spielzeugladen, vollgestopft mit teurem Nippes, Design-Unikaten und einem recht großspurigen Fuhrpark. Es ist, wie sich männliche „Alice“-Leser immer das Wunderland vorgestellt haben – bunt und durcheinander, ein Wohndokument des durchdesignten, anarchischen Überflusses. Ob Sofas mit waghalsigen Printmustern, Plastik-Spielzeug, das aussieht wie Überbleibsel eines atomaren Super-GAUs aus einer anderen Galaxie oder diverse Wohnaccessoires mit dem Prädikat: besonders wertfrei – Nigos Welt ist eine, die der Rest der Menschheit noch gar nicht entdeckt zu haben scheint. In ihr darf auch nach 20 Uhr noch gespielt werden, hier herrscht das geordnete Chaos und weht der Duft von toxisch-buntem PVC. Um Geschmack geht es hier schon lange nicht mehr. Es geht darum, ein Statement abzugeben, das die Jugendsünde zum Lebensstil erhebt und so ein wenig Diaspora-Feeling in die Trägheit des Alters mischt.

Nigo ist für Japans Modemänner Stilikone, Popstar und Abbild ihrer Träume in einem und verkörpert den erfolgreichen Karrieristen traditioneller japanischer Prägung ebenso wie den modernen Anarchisten und ungezogenen Bengel, der nie sein Zimmer aufräumt.

Genau hier positioniert sich auch die Generation der Ex-Skater, und das weltweit. Beruflich auf den Pfaden der Elterngeneration wandelnd, muss der aus der Jugend konservierte Anspruch des gelebten Nonkonformismus in der Freizeit ausgelebt, ja, manchmal sogar pervertiert werden.

Verglichen mit Japan oder den USA hat das Markenfieber in diesem Segment hierzulande zwar gerade mal eine leicht erhöhte Temperatur erreicht. Es gibt nur sehr wenige Läden, die sich auf diese Ansprüche spezialisiert haben. Trotzdem ist die Haute Couture der Streetwear-Szene auf dem Vormarsch. Sie gilt vielen mittlerweile als Alternative zu den alteingesessenen Luxushäusern, deren Mode auch die härtesten Fußballspieler zu Muttersöhnchen werden lassen. So rollt bei der Generation Ex-Skater 30 plus zwar immer seltener das Board, dafür aber immer öfter der Rubel. In wenigen Jahren dürften sie so zu einer der wichtigsten Zielgruppen der Bekleidungsindustrie werden.

In Berlin sind die exklusiven After-Skatemarken vor allem im „Firmament“ in der Linienstraße in Mitte, ebenso wie bei „Civilist“ in der Brunnenstraße oder „Solebox“ in Charlottenburg erhältlich. Hier werden T-Shirts mit Graffiti-Motiven in Seidenpapier verpackt, hier wird mit goldenen Kreditkarten bezahlt und Produktkataloge gehen zum Preis von einem guten Herrenhemd über den Ladentisch.

Reinhold Köhler

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