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Der schöne Philippe. Mario Testino sieht nicht Männer oder Frauen - für ihn zählen nur die Menschen

© Mario Testino

Mario Testino über die Illusion von perfekter Schönheit: Bitte kein Drama

Mario Testino fotografiert die schönsten Models der Welt. Aber eigentlich findet er, sind wir doch alle Menschen und sollten zufriedener sein.

Der Peruaner Mario Testino, 62, ist einer der erfolgreichsten Modefotografen der Welt. Am Rande der Eröffnung seiner Ausstellung "Undressed" in der Berliner Helmut Newton Stiftung spricht er über falsche Vorstellungen von körperlicher Perfektion, seine Faszination für Nacktheit und schmutzige Gedanken beim Betrachten seiner Fotos.

Sie sind in Peru in einem konservativen Haushalt aufgewachsen, Ihnen war der Anblick von Nacktheit fremd. Heute scheinen Sie geradezu besessen davon.

Erst gestern habe ich mich mit jemandem über das Foto für die Gucci-Kampagne unterhalten, das ich in den 90ern geschossen habe. Ein Mann rasiert einer Frau die Schamhaare. Manche Menschen haben sich sehr darüber aufgeregt. Ich fand das übertrieben, es ging doch nur ums Rasieren. Manchmal kommen die sexuellen Gedanken eher vom Betrachter, nicht so sehr vom Bild an sich. Vor ein paar Jahren habe ich eine Ausgabe für die deutsche Vogue mit dem Titel "Sex" gemacht. Über all die nackten Frauen im Heft hat sich niemand aufgeregt, aber es gab eine einzige Frontalaufnahme von einem nackten Mann und alle sind ausgeflippt. Warum? Es war anscheinend das größte Tabu der Welt. Dabei ist nichts Falsches an Nacktheit oder an unseren Körpern. Männer haben nun mal Penisse, Frauen haben Brüste. Ich sehe nicht Frau oder Mann, ich sehe nur Menschen. Wenn wir kein solches Drama daraus machen würden, dann wären wir vielleicht zufriedener.

Im Zusammenhang mit Schönheit sprechen Sie oft von Perfektion. Muss jemand einen perfekten Körper haben, um für Sie interessant zu sein?

Meine Vorstellung von Schönheit verändert sich ständig. Zum Beispiel habe ich vor Kurzem mit der Kosmetikmarke Dove gearbeitet. Wir haben Frauen in allen Altersstufen, Körperformen, Hauttönen gezeigt. Alle waren schön auf ihre Art. Ich habe viele Frauen mit kräftigen Oberschenkeln fotografiert, die sahen toll aus, aufgrund ihrer Persönlichkeit, ihrer Haltung. Schönheit hat viel mit Perspektive zu tun. In meiner Arbeit geht es nie um die gleiche Art von Schönheit.

Aber in Ihrer Ausstellung "Undressed" zeigen Sie eine sehr klassische Auffassung von Schönheit.

Es ging mir gar nicht so sehr um Schönheit, ich wollte offenlegen, wie ich auf Menschen schaue. Ich mag Punkrock, ich mag Striptease. Ich mag komplett tätowierte Körper oder kurvige lateinamerikanische oder androgyne. Klassische Schönheit ist etwas, womit ich mich in meiner kommerziellen Auftragsarbeit beschäftige. In den Fotos, die ich privat mache, spielt sie keine so große Rolle. Die Fotos, die wir hier in der Ausstellung sehen, repräsentieren nur einen kleinen Abschnitt meines Lebens, die 90er. Da befand mich im Übergang vom klassischen Modefotografen, der sich an die gängigen Normen hält, zu Mario Testino als eigenständige Person mit eigenem Stil.

Sind die Menschen vor Ihrer Kamera selbstbewusster, je hübscher sie sind?

Überhaupt nicht, ich habe viele schöne Menschen getroffen, die total unsicher waren. Der selbstbewussteste Mensch, der jemals vor meiner Kamera stand, ist Kate Moss. Sie hat die komplette Kontrolle über die Kamera. Auch Gisèle Bündchen. Oder Madonna. Sie alle sind eins mit ihrem Körper. Aber es stimmt natürlich, dass wir im Modegeschäft nach bestimmten Proportionen suchen. Die Designer stellen für ihre Schauen jedes Outfit in nur in einer einzigen, sehr kleinen Größe her, weil die Designer mit Mädchen arbeiten, die gerade mal 17 sind. Die Magazine wollen dieselben Kleider und Models zeigen. Wir alle müssen mit den Entscheidungen der Designer arbeiten.

"Selbst ich könnte die Sachen vom Laufsteg nicht tragen, weil ich zu dick bin."
"Selbst ich könnte die Sachen vom Laufsteg nicht tragen, weil ich zu dick bin."

© Lukas Schulze/ dpa

Spüren Sie eine Verantwortung, dass Menschen sich an dem unrealistischen Schönheitsideal, das die Modebranche zeigt, abarbeiten und daran verzweifeln?

Es ist unmöglich, es jedem recht zu machen. Aber natürlich ist die Modebranche sehr homogen. Wir wollen mit diesen Models keine Richtlinie geben und sagen, dass jeder zwangsweise immer so aussehen muss. Ihre Körper dienen einfach nur dazu, ein Kleidungsstück zu präsentieren. Es ist schade, dass alles gleich so persönlich genommen wird. Manchmal gibt es Models, die ein wenig stärker gebaut sind als der Durchschnitt. Wenn wir sie fotografieren, müssen wir das Kleid hinten aufschneiden. Die Leute interpretieren mehr hinein, als da ist. Bei einer Show oder einem Shooting ist es einfach praktischer, wenn alle denselben Körpertyp haben. Aber in den Geschäften hängen dann verschiedene Sachen. Selbst ich könnte die Sachen vom Laufsteg nicht tragen, weil ich zu dick bin.

Fühlen Sie sich wie eine rare Fotografenspezies, weil Sie Menschen gerne von ihrer schönen Seite zeigen und nicht – wie die meisten Fotografen heute – auf Andersartigkeit, Makel und Schwächen abzielen?

Wie würden Sie gerne auf einem Foto gezeigt werden? Hässlich oder schön? Oft werde ich dafür angegangen, dass ich gerne Komplimente verteile. Aber ich mache sie, weil ich weiß, dass sich die Person danach besser fühlt. Sie geht aus dem Raum und fühlt sich toll.

Die Ausstellung "Mario Testino. Undressed" ist in der Berliner Helmut Newton Stiftung zu sehen. Mehr Infos hier.

Wir haben bereits hier über Mario Testino berichtet.

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