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1987 in ihrem Pariser Studio: Marie-Louise Carven war eine der wichtigsten Modeschöpferinnen der Nachkriegszeit.

© AFP / Guillaud

Mode: Abschied von Marie-Louise Carven: Eine große kleine Frau

Mit nur 1,55 Meter Größe gehörte Carmen de Tommaso doch zu den ganz Großen: Als "Marie-Louise Carven" wurde die Pariserin als eine der wenigen weiblichen Modeschöpferinnen ihrer Zeit berühmt. Doch auch über die Mode hinaus wurde ihr viel Anerkennung zu Teil. Ein Nachruf.

Eigentlich sind die Zeiten im Hause Carven rosig. Trotz einer 60-jährigen Geschichte konnte sich das Label in den vergangenen Jahren mit modernen Linien zu humanen Preisen auch innerhalb der Riege der “contemporary brands” etablieren, zu der junge Marken wie die New Yorker 3.1 Phillip Lim und Rebecca Minkoff oder günstigere Unterlinien bekannter Modegrößen wie See by Chloé und T by Alexander Wang gehören. Mit Alexis Martial und Adrien Caillaudaud, die zuvor bei Häusern wie Iceberg oder Givenchy beschäftigt waren, hatte Carven gerade im März zwei neue Kreativdirektoren als Nachfolger von Guillaume Henry bekannt gegeben, der nun die Linien von Nina Ricci verantwortet. Jetzt meldet das Label eine traurige Nachricht: Am Montag verstarb Markengründerin Marie-Louise Carven im Alter von 105 Jahren in ihrem Pariser Stadthaus.

Eine Männerdomäne: Carven war eine der ersten berühmten Modeschöpferinnen

Blickt einer großen Zukunft entgegen: Marie-Louise Carven zu Beginn ihrer Modekarriere in den 1940er Jahren.
Blickt einer großen Zukunft entgegen: Marie-Louise Carven zu Beginn ihrer Modekarriere in den 1940er Jahren.

© AFP

Geboren 1909 als Carmen de Tommaso, gelangte "Madame Carven" über Umwege zur Mode: Nach einem Studium der Architektur an der École des Beaux-Arts in Paris, hatte sie aus Eigennutz zu den Kleidern gefunden. Nach ihnen sehnte sie sich, den schönen Kleidern, die es in ihrer Größe in ganz Paris kaum zu geben schien: Carmen de Tommaso maß nur 1,55 Meter. 1941 gründete sie ihr erstes Modegeschäft, 1945 ihre eigene Marke, arbeitete fortan unter dem Künstlernamen "Marie-Louise Carven". Neben Coco Chanel oder Elsa Schiaparelli schaffte sie als eine der wenigen weiblichen Modeschöpferinnen den Durchbruch und wurde zu einer der wichtigsten Designerinnen der Nachkriegszeit. Eine wahre Vorreiterin war sie allerdings weniger im Entwurf, als im großen Drumherum, das heute längst als Grundstein jeder erfolgreichen Modemarke gilt: dem Marketing.

Flacons segeln auf Paris herab

Spätestens in den 60er Jahren hatte sie es geschafft: Als Marie-Louise Carven oder "Madame Carven" wurde Carmen de Tomasso zum Darling der Pariser Szene.
Spätestens in den 60er Jahren hatte sie es geschafft: Als Marie-Louise Carven oder "Madame Carven" wurde Carmen de Tomasso zum Darling der Pariser Szene.

© AFP

1954 etwa segelten zum Jahrestag der Befreiung von Paris Flacons ihres Duftes "Ma Griffe" an kleinen Fallschirmen auf die französische Hauptstadt nieder. Als eine der Ersten erkannte Carven die fruchtbare Verbindung aus Mode und Film und entwickelte eine "Vom Winde verweht" inspirierte Linie, die sie zur französischen Premiere in Kinos vorführen ließ. 1955 entwarf sie die Kostüme für den Film "Die Teuflischen". Seit den 1960er Jahren entwickelte sie auch die Uniformen von mehr als 20 Fluggesellschaften. Doch auch fern der Häubchen und Halstücher trug sie als Pionierin ihre Mode weit über die Pariser Stadtgrenzen hinaus: Präsentiert Chanel seine "Cruise Collections" heute jedes Jahr an einem anderen Ort wie Bombay, Salzburg oder zuletzt Seoul, hat Fendi sogar schon auf der chinesischen Mauer gezeigt, so führte Carven ihre Mode weit früher international vor: In Marokko, Kuba, Ägypten, Thailand, Brasilien, Singapur und Mexiko.

Eine große Modeschöpferin, ein großer Mensch

Marie-Louise Carven auf ihrem hundertsten Geburtstag im Juli 2009: Die Feier wurde von der renommierten "Fédération française de la couture" ausgerichtet.
Marie-Louise Carven auf ihrem hundertsten Geburtstag im Juli 2009: Die Feier wurde von der renommierten "Fédération française de la couture" ausgerichtet.

© AFP / Boris Horvat

Auch außerhalb der Mode fand Marie-Louise Carven Anerkennung: 1978 wurde sie mit dem Verdienstorden der französischen Ehrenlegion ausgezeichnet und zum  "Commandeur" ernannt. Vom Yad Vashem, der "Gedenkstätte der Märtyrer und Helden des Staates Israel im Holocaust", wurde sie 2000 als "Gerechte unter den Völkern" geehrt: Nach der 1940 anerkannten französischen Niederlage gegen das Dritte Reich und der einhergehenden "Arisierung", hatte sie während des Vichy-Regimes den jüdischen Modemacher Henry Bricianer und dessen Familie versteckt. Mit dem Tod Marie-Louise Carvens ging eine große Modeschöpferin ‒ mit Carmen de Tommaso ein großer Mensch.

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