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Große Roben schützen vor frühem Tod.

© dpa

Mode: Wohin entwickelt sich die Branche?: Bericht vom Sterbebett

Die Mode ist tot, sagt die Trendforscherin Lidewij Edelkoort und dem stimmt der Berliner Designer Michael Michalsky zu. Der macht jetzt Haute Couture.

Die Mode ist also tot, heißt es. Erst starben die Trends, jetzt stirbt das ganze System. Das hat Lidewij Edelkoort gesagt, also muss was dran sein. Die niederländische Trendforscherin hat in den letzten Jahrzehnten die wichtigsten Trends vorausgesehen, half Unternehmen, das richtige Rot für die übernächste Kollektion zu finden und die Stimmung weiterzugeben, in der Konsumenten im nächsten Jahr einkaufen werden.
Der „Spiegel“ hat gleich nachgefragt, ob die Mode auch wirklich tot sei, und Lidewij Edelkoort hat es noch mal wiederholt. Ja, das System Mode sei tot, und wir haben es alle zusammen umgebracht: die Unternehmen, weil sie die Produktion in Billiglohnländer vergaben, um Profit zu machen. Die Marketingleute, die viel Wirbel um eine Marke veranstalten, bei der es nur noch darum geht, Schuhe und Taschen zu verkaufen und den Umsatz zu steigern. Und natürlich die Konsumenten selbst, für die Mode keinen Wert mehr hat. Kein Wunder, wo doch ein Kleidungsstück heute oft weniger koste als ein Sandwich, sagt Edelkoort.
Unser aktuelles Verhältnis zur Mode wurde mehrere Jahrzehnte eingeübt. Es bedürfte einer sehr, sehr strengen Umerziehung, den Menschen beizubringen, dass sie nicht zuerst auf den Preis, sondern auf Qualität bei Fertigung und Material achten und diese wertschätzen sollen.
Wie auch? Es gibt ja kaum noch eine durchgehende Produktionskette für Bekleidung und Schuhe in Europa. Woher kommt die Baumwolle? Wer hat sie gepflückt? Womit wurde sie behandelt? Dieses Fragespiel ließe sich beliebig fortsetzen. Wir haben keine blasse Ahnung, welche Stationen ein Kleidungsstück wirklich durchläuft, bis es im Laden hängt. Und wer will es wirklich wissen? Die Lust am Kaufen würde einem wahrscheinlich gründlich vergehen.

Gründe, seine Modelinien einzustellen gibt es genug

Da ist es fast putzig, wenn Entwicklungsminister Gerd Müller meint, man müsse die Preise für ein T-Shirt erhöhen, damit die Arbeiter in Bangladesch unter besseren Bedingungen arbeiten können – die Konsumenten werden es schon zahlen. „Warum sollten sie?“, fragt Marc Sommer, Chef des Naturmodeversands Hess Natur, im Fachmagazin „Der Handel“. Warum sollten die Leute nicht bei Primark einkaufen, solange Billigmode legal angeboten wird? Auch wenn es dort gesundheitsgefährdend nach Chemikalien riecht und man davon ausgehen muss, dass diese Kleidung unter schlechten bis katastrophalen Arbeitsbedingungen entstanden ist.
Jetzt hat auch jemand aus Berlin reagiert. Michael Michalsky – ausgerechnet der Mann, der hier für die großen Gesten zuständig ist – hat die Worte von Lidewij Edelkoort übernommen, um die Einstellung seiner Modelinien zu verkünden. Es ist nicht lustig, wenn man als Designer merkt, dass man seine Sachen nicht verkaufen kann. Michalsky nennt dafür Gründe: große Modeketten kopierten schneller, als die Designer ihre Sachen überhaupt in die Produktion gäben. Auch das Informationsverhalten der Konsumenten habe sich verändert. Heute werden die Bilder einer Modenschau nur einen Wimpernschlag nach deren Ende im Internet gezeigt und kommentiert, lange bevor die Kleidung in die Läden kommt.

Der Haute Couture gehört laut Edelkoort die Zukunft

Die Schnelligkeit macht die Mode so beliebig. Man kann immer überall alles haben und muss dafür quasi nichts bezahlen. Auch deshalb können sich Trends schon lange nicht mehr durchsetzen. Nur als Beispiel: Schon seit Jahren versucht die Branche die Konsumenten dazu zu bringen, endlich wieder weitere Hosen zu kaufen – von den engen hat jeder inzwischen mehr als genug. Aber die weiten Hosen liegen wie Blei in den Regalen. Wie viele weite Hosen wurden umsonst entworfen und hergestellt, die dann niemand gekauft hat? Es gibt einfach zu viele Möglichkeiten, und das macht die Konsumenten eher träge – so wird die Masse an Kleidung immer größer und austauschbarer. Dass wir an Kleidung ersticken, sieht man auch am Erfolg von Ketten wie TK Max, wo Markenware für einen Spottpreis verschleudert wird – Hauptsache, das Zeug verschwindet aus den Lagern, damit sie mit neuem gefüllt werden können.  Michalsky, der alte Marketingfuchs, macht sich also eine allgemeine Stimmung zunutze, um seine kostenintensive Modelinie aufzugeben und sich jetzt dem zu widmen, dem auch Lidewij Edelkoort eine große Zukunft voraussagt: der Haute Couture, handgearbeiteter Kleidung, die mit viel Liebe und Aufwand angefertigt wird und für die meisten Menschen unbezahlbar ist. Unter dem Namen „Atelier Michalsky“ wird er im Sommer eine Kollektion vorstellen, an der er acht Monate gearbeitet hat. Aber Moment – auch der Haute Couture wird doch schon seit mehr als einem Jahrzehnt der sichere Tod prophezeit. Die alten Kunden sterben weg, neue kommen nicht nach. Weil es immer weniger Meister gibt, die die Handwerkskünste des Stickens, Rollierens, Ausbrennens, Herstellens von Spitze überhaupt noch beherrschen.

Mit der Mode stirbt nicht die Bekleidung

Dass die Mode tot ist, mag mancher Verächter als Erleichterung ansehen, doch Lidewij Edelkoort meint vor allem das System, das Pervertierungen wie „Germany’s next Topmodel“ hervorbringt, in denen es nur um schnelle Verwertung falscher Bilder geht. Denn natürlich stirbt mit der Mode nicht die Bekleidung. Wie Lidewij Edelkoort es in ihrem Manifest „Anti Fashion“ sagt: „Kleidung wird die Trends in der Zukunft dominieren. Also lasst uns die Kleidung feiern.“ Sie meint damit die Konzentration auf das einzelne Kleidungsstück, das über besondere Details, Funktionen verfügt, oder mit großer Sorgfalt hergestellt wurde.

Das ist eine gute Nachricht für all die kleinen Designerfirmen, die es ja gerade in Berlin zahlreich gibt. Wer sich weniger für die Markenwelt und mehr für ein bestimmtes Kleidungsstück interessiert, kann auch wieder wertschätzen, wenn jemand das bestmögliche Material aussucht, die beste Verarbeitung austüftelt und dafür einen angemessenen Preis nimmt. So werden Kollektionen kleiner wie die von Brachmann (siehe rechts), die mit zwölf Outfits auskommen und Kleidung entwerfen, die sich ergänzt und nicht die alte obsolet macht. Dass Michael Michalsky sich jetzt um die hohe Kunst der Schneiderei kümmert, schadet ja überhaupt nicht. Dieses Know-how kann Berlin in der Zukunft gut gebrauchen – wenn es um jedes einzelne Kleidungsstück geht.

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