zum Hauptinhalt

Rena Lange: Tradition und Moderne

Das Münchener Modehaus Rena Lange zeigt, wie man absolut auf der Höhe der Zeit sein kann, ohne die eigenen Wurzeln zu verlieren.

Tradition kann eine Bürde sein – gerade in der schnelllebigen Welt der Mode, in der es meist tödlich ist, zu lange am Altbewährten festzuhalten. Tradition kann aber auch ein starkes Fundament sein. Dann nämlich, wenn ein Modehaus es schafft, sich von Saison zu Saison weiterzuentwickeln, ohne dabei beliebig zu werden. Das ist eine schwierige Gratwanderung. Das Münchener Modehaus Rena Lange zeigt, wie man sie meistern kann. Als es im Januar vergangenen Jahres sein Debüt auf der Mercedes-Benz Fashion Week in Berlin gab, waren die Erwartungen eher gedämpft: Wie sollte diese Firma, die wie kaum eine zweite für den etwas angestaubten Glanz der bayerischen Hauptstadt zu stehen schien, ausgerechnet im vermeintlich so jungen, frischen Berlin überzeugen? Doch die Vorbehalte erwiesen sich als Vorurteile. Die Show öffnete den Skeptikern die Augen, die gezeigte Kollektion stieß allgemein auf Begeisterung. Denn sie war einerseits unverkennbar Rena Lange, andererseits aber absolut zeitgemäß. Zu sehen gab es sowohl die ganz schlichten, schmalen schwarzen Kleider mit weißem Bubikragen, die seit langem zu den Ikonen der Marke gehören, als auch Entwürfe, die man von Rena Lange so nicht erwartet hätte. Da gab es zum Beispiel ein Kleid aus diagonal zusammengesetzten, roh vernähten Stoffstücken in zwei verschiedenen Grautönen, das in seiner kühlen, herben Modernität so gar nicht nach einem routinierten Glamour-Lieferanten aussah, für den viele Rena Lange gehalten hatten. Doch selbst dieses Kleid brach keineswegs mit der Tradition des Hauses. Der Anknüpfungspunkt war allerdings subtiler gewählt: Nicht das Erscheinungsbild, sondern das Material - Flanell - stand hier für Kontinuität. Das verwendet Rena Lange nämlich auch schon seit Jahrzehnten. Chefdesigner Julian Neale zeigte, wie man aus dem alten Stoff etwas komplett Zeitgemäßes machen konnte. So überzeugend bringt derzeit kaum jemand seine klassischen Werte auf den modisch neuesten Stand.

Damit haben die Münchener eine Aufgabe souverän bewältigt, die sich den zahlreichen Berliner Modelabels noch gar nicht stellt: Selbst die etablierteren unter ihnen existieren erst seit ein paar Jahren und sind somit noch so jung, dass sie einfach nicht über eine starke Tradition verfügen können, der sie sich Saison für Saison neu stellen müssten. Marken, die mittlerweile dem Stadium des Newcomers entwachsen sind - etwa Lala Berlin oder Kaviar Gauche - beginnen aber inzwischen, ihre eigene unverwechselbare Identität von Saison zu Saison zu bestätigen.

Tradition hat Rena Lange wahrlich genug: 1916 wurde das Unternehmen von Martha Lange – deren Vermächtnis im Namen der Marke weiterlebt - gegründet. Seinerzeit produzierte es Dessous. Im selben Jahr übernahm Henriette Günthert die Geschäfte. Seither herrscht Kontinuität: Bis heute ist Rena Lange im Besitz der Familie. 1953 machte das vormalige Wäschehaus den Schritt zum Modeunternehmen: Peter Günthert trat die Nachfolge seiner Tante Henriette an und erweiterte das Repertoire um maßgefertigte Abendkleider. Später bestimmte er zusammen mit seiner Ehefrau Renate den kreativen Kurs. In der Folge wuchs das Münchener Traditionsunternehmen zum internationalen Luxusanbieter: 1970 eröffnete es den ersten Shop im Ausland, seit 1982 gibt es Prêt-à-Porter-Kollektionen. Inzwischen erzielt Rena Lange etwa 70 Prozent der Umsätze außerhalb Deutschlands. Vor allem Japan und die USA sind wichtige Märkte. Hier bekam auch Rena Lange die Folgen der Finanzkrise in den vergangenen Jahren zu spüren. Mittlerweile geht es aber wieder aufwärts. In diesem Jahr soll das Vorkrisenniveau erreicht werden. Der deutsche Heimatmarkt erwies sich hingegen als robust: Selbst als es der Wirtschaft schlecht ging, stiegen die Erlöse. In den kommenden Jahren sollen nun vor allem in Osteuropa und Asien Wachstumschancen genutzt werden.

2001 folgte die nächste Zäsur: Daniel Günthert, ein studierter Betriebswirt, übernahm das Geschäft von seinen Eltern. Als erstes musste er neue Strukturen aufbauen: „Meine Eltern hatten das Unternehmen geprägt. Mit diesen beiden sehr starken Personen ist die Firma gewachsen. Aber ich bin ja kein Designer.“ Daher stellte er Teamarbeit in den Vordergrund. Statt von zwei dominierenden Einzelpersonen werden die Entscheidungen nun im Dialog zwischen den verschiedenen Abteilungen getroffen.

Sinnbildlich für diesen Neuanfang steht heute das Hauptquartier. Seit Anfang 2008 residiert Rena Lange in einem spektakulären Neubau an der Münchener Peripherie, der vom britischen Stararchitekten David Chipperfield entworfen wurde. Der hatte bereits ein neues Ladenbaukonzept für Rena Lange entwickelt.

Wie ein schwarzer Monolith ragt das Gebäude aus einem ansonsten gesichtslosen Gewerbegebiet heraus. Dabei ist er nicht der einzige architektonische Solitär, der im Münchener Norden zwischen KFZ-Werkstätten, anonymen Industriehallen und Bürogebäuden zu entdecken ist: In der Nähe hatte Helmut Jahn schon einige Jahre zuvor für das Showroomzentrum M,O,C, einen ambitionierten Glaspalast entworfen, und auch die Allianz-Arena des schweizerischen Architektenduos Herzog/de Meuron ist nicht weit entfernt.

In der neuen Zentrale - die im Gegensatz zum düsteren Äußeren innen in strahlendem Weiß gehalten ist – können alle Abteilungen, die zuvor auf verschiedene Standorte in München verteilt waren, unter einem Dach zusammenarbeiten. Für die Teamarbeit ein Vorteil: Durch die neue Nähe sei „ein toller Gedankenaustausch“ möglich, sagt Günthert.

Der Architekt hat für die besonderen Bedürfnisse seines Auftraggebers eine ebenso einfache wie bestechende Lösung gefunden: In den Untergeschossen sind Hallen für Lager und Versand untergebracht, im Obergeschoss wird die Kollektion entwickelt. Wie in einem mittelalterlichen Kloster grenzen die Räume, in denen das Designteam, die Produktentwickler und Schnitttechniker arbeiten, an einen rechteckigen Innenhof - eine grüne Oase für alle Beteiligten. Auch Daniel Günthert hat hier sein Büro, es bildet aber – ganz programmatisch – nicht das Herz des Plans. Das ist der Showroom, in dem die fertigen Kollektionen den Kunden vorgeführt werden. Bleibt man im Bild des Klosters, so steht er an der Stelle der Kirche. Vom Eingang führt eine eindrucksvolle Treppenanlage in typischer Chipperfield-Handschrift direkt hierher. „Das war der einzige Luxus, den wir uns hier geleistet haben“, so Günthert. Die Treppe schluckt sehr viel Platz, spielt aber eine wichtige Rolle. Bei Veranstaltungen dient sie als Laufsteg, außerdem soll sie „den Kunden in den Showroom locken“.

Dass der Showroom im Zentrum liegt, sagt wiederum einiges über die Art, wie bei Rena Lange gedacht und gearbeitet wird. „Der Kunde steht hier im Mittelpunkt“, betont Daniel Günthert, und meint das nicht nur auf die Architektur bezogen. Das große Kapital des Unternehmens ist das über Jahrzehnte aufgebaute Vertrauen der Kundinnen.

„Wir sind eines der wenigen Häuser, die Prêt-à-Porter mit Coutureanspruch machen.“ Um diese Ansprüche zu erfüllen, legt man bei Rena Lange großen Wert auf die Materialien: „Wir entwickeln unsere Rohmaterialien fast ausschließlich selbst. Wir gehen zu den Webern, suchen uns bestimmte Garne aus und entwickeln dann daraus neue Stoffe,“ erklärt Günthert. Das ist ein Weg, Vertrauen zu wahren. Ein anderer ist der, Entwürfe, die für den Stil des Hauses stehen in jeder Saison in neuen Varianten zu präsentieren. So muss das schwarze Kleid mit weißem Kragen immer einen Platz in der Kollektion finden. Denn trotz aller strukturellen Neuerungen: Gestalterisch hat Günthert den Bruch mit der Vergangenheit bewusst vermieden. Die Haustradition soll in den aktuellen Interpretationen immer erkennbar bleiben.

Diese stark von Teamwork, Materialien und Traditionen geprägte Herangehensweise erfordert den passenden Designer. Einen eigensinnigen Überflieger kann man sich bei Rena Lange nicht vorstellen. Funktionieren kann die Fusion von Tradition und Moderne nur mit einem kongenial denkenden Kreativen. Und den hat das Haus in Julian Neale gefunden. Der Brite, der bereits bei Michael Kors und Celine gearbeitet hat, hat kein Problem mit den selbst auferlegten Beschränkungen. Ganz im Gegenteil: Auch ihm geht es um das Vertrauen der Kundinnen und Verlässlichkeit, als Designer dürfe er „nicht in einem Elfenbeinturm sitzen“. Die Denkweise seines Arbeitgebers hat er verinnerlicht: Er sieht es als Herausforderung, Materialien und Schnitte, die für das Bild der Marke stehen, immer wieder subtil neu zu interpretieren. Und darin hat er es zur Meisterschaft gebracht: So souverän wie Rena Lange vereint im Moment kaum ein anderes Modehaus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false