zum Hauptinhalt

Panorama: Mordslust auf Rucksäcke

Mit blutrünstigen Motiven animierte „Eastpak“ zum Taschenkauf – bis sich Bundestagspräsident Thierse einschaltete

Von Frank Jansen

Sie sind im Visier. In dem Werbe-Flyer stehen ältere Lehrer an einer Tafel und schreiben mathematische Formeln. Wie bei einer Schießscheibe kommen die immer kleiner werdenden Kreise auf das Gesicht eines Mannes zu. Darunter steht: „Aim at the right spot“, ziele auf die richtige Stelle. Ein paar Seiten weiter. Eine junge Frau hält in ihrer linken Hand ein Messer. Von der langen, dünnen Klinge tropft Blut. Vor der Frau liegt ein Mann, zu sehen sind seine schwarzen Schuhe und schwarzen Hosenbeine. An der Wand hinter der Frau hängt neben Hirschköpfen ein Rucksack. Willkommen bei „Eastpak“, dem US–Hersteller trendiger Taschen, gern gekauft von Jugendlichen. Und die sollen offenbar mit Mordfantasien gelockt werden.

Sollten, muss man jetzt wahrscheinlich sagen, denn der zweite Mann im Staat hat persönlich interveniert. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse bekam das Werbe-Heftchen im Format eines CD-Booklets im März von einer empörten Mutter in die Hand gedrückt. Der SPD-Politiker hatte in einem Gymnasium in Rödermark, einer Kleinstadt nahe Frankfurt/Main, mit Eltern, Lehrern und Schülern über den Irak-Krieg diskutiert. Die Mutter kam zu Thierse und beschwerte sich: Die Eastpak-Werbung für Schulranzen und andere Taschen sei gewaltverherrlichend, Thierse möge etwas tun. Der Bundestagspräsident, bekannt für sein Engagement gegen Rassismus, Rechtsextremismus und generell gegen die mentale Verwahrlosung in Teilen der Gesellschaft, schrieb einen Brief. An eine Institution, die anstößige Werbung rügt: Den Deutschen Werberat, das „Selbstkontrollorgan“ der Werbewirtschaft, das keine Fehden mit Unternehmen scheut. Höhepunkt war der Kleinkrieg mit Benetton. Die Textilfirma hatte in den neunziger Jahren Aids-Kranke und Kriegsopfer auf grellen Plakaten abgebildet. Und gab nur zögernd den Protesten des Werberats und einer entrüsteten Öffentlichkeit nach.

In seinem Brief schrieb Thierse, „gerade nach so entsetzlichen Taten wie dem Amoklauf in Erfurt sollten Gewaltdarstellungen mit besonderer Vorsicht, und schon gar nicht zum Freizeitvergnügen, eingesetzt werden“. Der Werberat reagierte rasch. Die Firma Eastpak wurde um eine Stellungnahme gebeten. Sie sagte zu, dass in dem nächsten Flyer, ab Mai im Handel, die beiden Gewaltmotive nicht mehr auftauchen. Das neue Heftchen, das der Tagesspiegel jetzt über den Werberat bekam, sieht auch anders aus als das alte. Ein Sieg der Vernunft?

Der für Deutschland, Österreich und die Schweiz zuständige „country manager“ von Eastpak, Thomas Hiemann, gibt sich nicht gerade einsichtig. „Ich bin überrascht, dass sich überhaupt jemand an den Werberat gewandt hat“, sagt er am Mittwoch. Und bezweifelt, dass der auf dem Bild mit der Frau und dem bluttriefenden Messer liegende Mann eine Leiche darstellt. „Ich kann mir vorstellen, dass Herr Thierse das so sieht“, meint Hiemann, „aber es muss nicht so sein“. Da gebe es durchaus „Interpretationsspielraum“. Wie hoch die Auflage der Flyer ist und wie viele von dem alten noch im Umlauf sind, kann oder will Hiemann nicht sagen. Auf die Frage, warum Eastpak überhaupt mit martialischen Motiven werben muss, fragt Hiemann ironisch: „Was ist martialisch?“ Es folgt eine weitere Belehrung zum „Interpretationsspielraum“.

Und den lässt sich Eastpak nicht nehmen. In dem neuen Flyer ist wieder ein Motiv zu sehen, das Thierse vergeblich beim Werberat beanstandet hat. Im alten Heftchen posiert neben Rucksäcken ein tätowierter, grimmig blickender Mann wie ein Häftling, mit einem Buchstaben- und Nummernschild vor der Brust. Der Werberat sah darin allein „noch keine gewaltverherrlichende Aussage“. Prompt findet sich der Tätowierte auch im neuen Flyer, in auffälligem Kontrast zu den dominierenden, harmlosen Sport- und Musikmotiven. Das aggressive Motiv wurde auch noch verschärft. Neben dem „Häftling“ prangen im aktuellen Eastpak-Heftchen ein angewinkelter, tätowierter Oberarm und zwei geballte Fäuste, gefesselt mit einer Handschelle. Darunter ist ein großer Trolley abgebildet. Er heißt „Butcher Jack“. Weiter links steht Rucksack „Bullet Bob“. Wo sich Schlächter-Jack und Kugel-Bob im „Interpretationsspielraum“ aufhalten, sagt Eastpak nicht.

Zur Startseite