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Zwei Journalisten zertrümmern aus Recherchezwecken die Einrichtung eines Wutraums im München mit Baseballschlägern.

© dpa

München: Im Wutraum mit dem Hammer den Stress besiegen

Hemmungslos den Ärger rauslassen: Ein Wutraum macht's möglich. Wer ein komplett eingerichtetes Zimmer bucht, darf alles darin kurz und klein schlagen.

Ein schmuckloses Hinterhofgebäude im Münchner Westen. Darin ein Büroraum. Grau, ungemütlich, spartanisch. Wohlfühlen soll sich hier niemand - das karge Zimmer ist ein Wutraum. Die Aufgabe: alles in 30 Minuten kurz und klein schlagen. Die Mittel: Baseball-Schläger und ein Vorschlaghammer. Das Ziel: Stressabbau, Entspannung und Spaß - behauptet der Veranstalter. Das Gefühl: durchwachsen und neugierig. „Sie kommen auf jeden Fall mit einem lachenden Gesicht raus, mit einem Glücksgefühl“, verspricht Hartmut Mersch, der den Wutraum Anfang März eröffnet hat.

1. DIE HEMMSCHWELLE: Wer gelernt hat, Gefühle im Zaum zu halten, macht nichts mutwillig kaputt. Nicht Computer, Telefone und Fernseher. Auch Tassen, Regale und Sofas schlägt man eigentlich nicht kurz und klein, weil man gerade Lust dazu hat. Der Baseballschläger liegt schwer in der Hand. „Die Hemmschwelle fällt nach ein paar Schlägen“, erklärt Mersch. Also durchatmen, ausholen und Bäng! Eine Tasse zersplittert. Bäng! Der zweite Becher in Scherben. Die Schläge auf die Computertastatur sind schon sicherer. Schwarze Tastenteile wirbeln durch die Luft, wenig später hat der Schreibtisch eine Delle. Das macht Spaß - und doch wieder nicht. „Die Hemmschwelle bedeutet, dass man soziale Kompetenzen hat, dass man gelernt hat, Sachen wertzuschätzen“, sagt der Lübecker Psychologe Laszlo A. Pota. „Eine Überwindung und Zerstörung von Sachen, die andere geschaffen haben, ist eine Grenzüberschreitung sich selbst, aber auch anderen gegenüber.“

2. DIE MÖBEL: Trotzdem weiter - wer will schon aufgeben? Mit einem ohrenbetäubenden Rumms saust der Hammer auf den Schreibtisch, immer wieder. Das Holz splittert, es ächzt und kracht, bis das schwarze Möbelstück zusammenbricht. Der Hammer wiegt schwer, in den Armen zieht es schon ein bisschen. Und da ist ein Gedanke: Sicher gibt es Menschen, die sich über die ausrangierten Möbel freuen würden, die vor allem aus Wohnungsauflösungen stammen. Doch Martina Kreis von der Inneren Mission München beruhigt: „Es herrscht ein unglaubliches Angebot“, sagt die Leiterin der Gesellschaft Diakonia Secondhand in München. „Eiche rustikal kann ruhig zerschlagen werden, das bringen wir auch zur Entsorgung.“ Alten Trödel braucht keiner mehr. „Auch Menschen mit kleinem Geldbeutel sollten sich bei uns ein Möbelstück kaufen können, das wirklich schön ist.“ Allerdings: Da sind diese Sammeltassen. Kitschig. Aber vielleicht Lieblingsstücke eines alten Ehepaares, das daraus immer seinen Morgenkaffee trank? Und die nun, nachdem beide tot sind, als Ramsch der Zerstörung preisgegeben sind. Respekt oder übertriebene Sentimentalität?

So sieht ein Wutraum vor der Demolierung aus.
So sieht ein Wutraum vor der Demolierung aus.

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3. DER RAUSCH: Angeblich kommt irgendwann der Rausch - der Drang, alles kurz und klein zu hacken, befeuert von passender Musikdröhnung und vielleicht manchen Gedanken: an Arbeit, Kollegen, untreue Geliebte oder verständnislose Ehepartner. „Man hat auf jeden Fall eine Adrenalinausschüttung. Ich würde es vergleichen mit anderen verrückten Sachen wie Bungee-Jumping oder Fallschirmspringen“, meint Mersch. „Man ist da wirklich in einem Rauschzustand und hat danach ein Glücksgefühl.“ Rauschzustand: ja. Eine Arbeit mit eigentümlichem Reiz, die man zu Ende bringen will. Unter den Schuhen knirschen Glasscherben, Nägel ragen aus den Resten von Brettern, feiner Staub wabert in der Luft. Erschreckend, wie leicht Zerstören geht, auch wenn immer mehr Muskeln zu spüren sind. Mach die Möbel fertig! Stress im Alltag, laut Mersch ein Hauptgrund, warum Kunden für 139 Euro bei ihm buchen. „Jeder kennt's, da hängt der Kopierer wieder, Papierstau. Und dann kann man endlich das Ganze bereinigen, auf andere Art.“ Ganz nach dem Motto: Gib's dem Computer - und denk dabei an die nervige Steuererklärung.

 Eine "Kundin" zerlegt das Inventar eines Wutraums in München.
Eine "Kundin" zerlegt das Inventar eines Wutraums in München.

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4. DER STRESSABBAU: Der Wutraum als Zuflucht für gestresste Manager. Bei Mersch buchen auffällig viele Frauen. Der „Rageroom“ in Budapest hat sogar ein eigenes Paket im Programm: Angry Housewife - wütende Hausfrau. Für knapp 15 Euro Porzellan zerdeppern wie im Film. Oder „Schlechte Party“: ungehemmt austoben zwischen Flaschen und Gläsern. Ob das echt Stress besiegt und friedlicher stimmt? „Die alte Katharsis-Hypothese, die besagt, Menschen könnten Aggression durch Ausleben von Aggression mindern, stimmt schon lange nicht mehr“, meint der Wutforscher Andreas Zick von der Universität Bielefeld. Da ist er sich mit Pota einig, der viel mit aggressiven Jugendlichen gearbeitet hat. „Gewalt ist immer ein Zeichen von Hilflosigkeit“, sagt Pota. „Ärger und Wut machen krank, verursachen Stress.“ Wer zuschlage und sich danach gut fühle, mache das möglicherweise immer wieder - womöglich außerhalb des Wutraums, im normalen Leben. Sein Tipp: Ärger nicht runterschlucken, sondern nach Ursachen suchen und Lösungen finden.

5. DAS GLÜCKSGEFÜHL: Ob zerstören also glücklich macht? Vielleicht die Männer und Frauen, die hier Junggesellenabschied feiern. Zwei schlagen los, die anderen sitzen mit Drinks an der Bar und verfolgen das Spektakel auf zwei Monitoren. Und was ist mit denen, die von der Liebe träumen und das Paket „Erstes Date“ buchen? Romantisches Abendessen bei Kerzenschein und dann: „Sendepause und ihr legt so richtig los“, heißt es auf der Internetseite. Loslegen womit? Nicht mit zarter Annäherung, sondern mit der Keule. Gemeinsames Zerstören verbindet, glaubt Mersch. „In Extremsituationen ist ja bewiesen, dass man sich da eher aneinander ranschmeißt.“ Das sei kreativer, als immer wieder der gleiche Italiener, findet der 35-Jährige aus der Oberpfalz, der sich selbst als friedfertig beschreibt. Doch egal, ob Spaßparty, Liebestreff oder Einzel-Zerstörungsorgie: Für Mersch und seine Mitarbeiter fängt die Arbeit danach erst richtig an: Gut zwei Stunden dauert es, bis sie das Chaos beseitigt und ein Zimmer wieder neu eingeräumt haben.

6. DAS FAZIT: In den USA gibt es das Konzept schon länger, der erste Wutraum in Deutschland ist in Halle/Saale. Das Ziel ist gleich: totale Verwüstung. Doch was bleibt außer einem Haufen Müll? Die Muskeln ziehen, der Mund ist trocken und der Geist völlig erschöpft von dem ungewohnten Gewaltausbruch. Das einzige Sehnsuchtsziel an diesem Abend: das Sofa. Nichts hören, sehen und schon gar keinen Stress.
Bereitschaft, sich aufzuregen: Nullkommanull. Mersch bringt das merkwürdige Erlebnis so auf den Punkt: „Im Schnitt ist das Zimmer in 30 Minuten verwüstet und man selbst auch am Ende.“ (dpa)

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