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Multimilliardär und Abenteurer Richard Branson: „Raumschiffe sind mein liebstes Transportmittel“

Virgin-Gründer Richard Branson ist schon um die Welt geflogen, plant Passagierflüge ins All gründet eine Firma nach nach der anderen. Warum er wie verrückt Rekorde jagt hat er in einem Interview erzählt.

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Mehrere Monate dauerte es, bis Branson, viertreichster Mann Großbritanniens, Zeit für ein Gespräch hatte. Ein paar Mal verschob er den Termin, der mal am Matterhorn sein sollte, mal in New York... Jetzt aber: Konzernzentrale in London, Kensington. Eine junge Frau mit violetten Haaren und Leopardenkleid führt Branson herein. Der, schwarzes Sakko, setzt sich auf einen pinken Plastikstuhl. Beide kleinen Finger sind in dicke Pflaster gewickelt, eine breite Schürfwunde schaut unterm weißen Hemd hervor. Zur Begrüßung streckt er einem den rechten Zeigefinger hin.

Sir Richard, Sie haben ...

Nennen Sie mich Richard, das reicht völlig.

Richard, was ist denn mit Ihnen passiert?

Mein Sohn Sam und ich wollten den Ärmelkanal mit einem Kitesurfbrett überqueren...

... statt eines Segels hat man dabei einen Drachen.

Wir wollten den Geschwindigkeitsrekord brechen. Es herrschte Windstärke acht, die Wellen waren manchmal elf Meter hoch. Für die Boote, die uns begleiteten, war es richtig gefährlich. Eines musste zwischendurch nach England zurückkehren. Ich selbst wurde ungefähr 70 Mal ins Wasser geworfen. Dabei sollte man sich nicht den Kopf am Surfboard anschlagen. Aber ich bin ja ein routinierter Surfer. Doch dann ging auf der Hälfte der Strecke mein Drachen kaputt.

Sie sind gescheitert?

Mein Sohn Sam, er ist 24, hat es geschafft, er hat den Rekord gebrochen. Das konnte ich nicht auf mir sitzen lassen. Ich habe es am nächsten Tag noch mal versucht: drei Stunden, 45 Minuten. Damit bin ich mit meinen 62 Jahren immerhin der Älteste, der diese Strecke je auf einem Kiteboard zurückgelegt hat. Allerdings wäre ich fast verhaftet worden.

Fanden die französischen Behörden Ihren Familienwettstreit nicht so lustig?

Sie haben uns die Polizei an den Strand geschickt. Angeblich haben wir den Schiffsverkehr gestört. Durch den Kanal müssen ja regelmäßig die ganz großen Tanker fahren. So stand ich schließlich in meinem Neoprenanzug am Strand und zitterte. Ich joggte um die Polizisten herum, damit mir wärmer würde. Irgendwann hätte ich sie fast gebeten, mich einzusperren. In der Zelle wäre es nicht so kalt gewesen. Am Ende ließen sie uns mit einer Verwarnung davonkommen. Und ein netter Franzose, der beobachtet hatte, dass wir wegen des Sturmes nicht mehr zurück auf die Boote kamen und an Land gefangen waren, lud uns spontan ein, bei ihm zu übernachten.

Ein typisches Branson-Abenteuer. Wie fühlten Sie sich, nachdem Sie schon wieder einen Rekord gebrochen hatten?

Erleichtert, dass es vorbei war. Am Strand musste ich mich erst mal von den anderen entfernen, weil ich spürte, wie mir die Tränen hochkamen. Ja, ich weiß, ein erwachsener Mann sollte nicht weinen. Kann aber auch nur die Erschöpfung gewesen sein.

Sie haben sich selbst einmal als Heuler bezeichnet.

Gut, ich gebe es zu. Meine Kinder haben immer schon eine Packung Taschentücher dabei, wenn sie mit mir ins Kino gehen. Lustige Geschichten, traurige Geschichten, ich weine immer.

Apropos Humor! Wer erzählt die besseren Witze: Kate Middleton oder Prince Charles? Mit beiden sind Sie befreundet.

Es kommt jetzt eines von vielen langen „Ähms“ im Gespräch. Branson schaut seinen Pressesprecher an. „Nicht antworten“, sagt der. Branson starrt auf die Tischplatte. Er schaut überhaupt selten auf. Er ist kein mutiger Redner. In der Schule wurde er gehänselt, weil er Legastheniker ist. Heute gehören mehr als 300 Firmen zu seinem Imperium. Seine Hände umklammern eine Tasse Tee mit Milch. Dann spricht er wieder, leise:

Prince Charles erzählt die besseren Geschichten. Dafür sieht er längst nicht so gut aus wie Kate.

Sie treffen häufig Berühmtheiten. Soeben kommen Sie von einem Mittagessen mit Desmond Tutu.

Der Mann ist wie eine Flamme, die alles erleuchtet. Ein bisschen wie Nelson Mandela. Obwohl er so lange im Gefängnis saß, hat Mandela sich seinen Sinn für Humor bewahrt. Und die Lebensfreude: Ich habe ihn auf dem Tisch tanzen sehen. Ich fühle mich ziemlich privilegiert, dass ich all diese Menschen treffen darf. Der ehemalige amerikanische Präsident Jimmy Carter war heute auch dabei.

Was reden Sie mit solchen Menschen?

Gerade haben wir gefeiert. Das fünfjährige Bestehen der Elders...

... einer Art Ältestenrat, den Sie mit dem Künstler Peter Gabriel gründeten, um Konflikte auf der Welt zu lösen. Wie wollen Sie das denn anstellen?

Die Elders haben moralische Autorität – sie reden mit Konfliktparteien in Zypern oder Simbabwe. In Kenia konnten die Elders dazu beitragen, den Bürgerkrieg zu stoppen, sie haben eine Koalition zwischen vorher verfeindeten Parteien angeregt. Kofi Annan versucht es gerade in Syrien.

1991 haben Sie zusammen mit dem jordanischen König Hussein erreicht, dass Saddam 260 britische Geiseln aus dem Irak freilässt. 60 davon haben Sie sogar persönlich mit einem Virgin-Flugzeug ausfliegen lassen. 2003 haben Sie versucht, die Invasion im Irak zu verhindern. Sie wollten, dass Saddam zurücktritt.

Und in meiner Jugend habe ich in London gegen den Vietnamkrieg demonstriert. Vor der US-Botschaft wäre ich fast verhaftet worden, bin aber schnell genug weggerannt. Wir haben 17-jährige Reporter nach Vietnam geschickt, damit sie für unser Magazin „Student“ berichten. Bitte, könnten Sie sich so umsetzen, dass ich der jungen Dame gegenübersitze? Ist doch ein angenehmerer Anblick.

Wenn Sie mögen. Dann müssen Sie beim London-Test mitspielen. Also: East End oder West End?

East End. Die Leute dort sind ehrlicher.

British Museum oder Tate Modern?

British Museum.

Die beste Aussicht auf die Stadt: vom Riesenrad London Eye oder von Primrose Hill?

London Eye. Da habe ich eine kleine Geschichte.

Wieder ein Rekordversuch?

Nein. British Airways, unser größter Rivale im Fluggeschäft, hatte das Riesenrad gesponsert. Im Jahr 2000 lag es noch flach auf dem Boden, da bekam ich früh morgens einen Anruf. Das Rad sollte aufgestellt werden, die Presse war schon eingeladen, nur die Bauleitung hatte ein Problem mit den Hubschraubern: Sie konnten das Rad nicht heben. Wir hatten damals eine Zeppelinfirma, kein Problem für uns. Als die Presse noch auf die British-Airways-Helikopter wartete, flog plötzlich unser Luftschiff heran, mit dem riesigen Slogan: „British Airways can’t get it up.“

British Airways kriegt keinen hoch. Sie lieben es politisch inkorrekt?

1977 bin ich mit den Sex Pistols auf einem Ausflugsdampfer die Themse hinaufgefahren. Es war der Tag des silbernen Kronjubiläums der Queen. Auf der Höhe des Buckingham Palace holten die Jungs ihre Instrumente hervor und begannen „God Save the Queen“ zu spielen. In ihrer Version allerdings heißt es ja, dass die Queen kein menschliches Wesen ist und wir in einem faschistischen Regime leben. Die Polizei hat uns verfolgt und zurück an Land begleitet. Malcom McLaren...

... der damalige Manager der Band und einer der Vordenker der Punkbewegung...

... haben sie festgenommen, weil er „Faschistenschweine“ rief. Der Song war dann im Radio und Fernsehen verboten, obwohl wir die Nummer eins in den Charts waren. Wir haben großartig verkauft. Etwas Besseres hätte uns nicht passieren können.

Sie waren ein Hippie und trugen bunte Wollpullover. In Ihrem ersten, 1970 gegründeten Plattenladen, durfte man kiffen, Pärchen lagen knutschend auf Kissenbergen. Sie lebten auf einem Hausboot.

Ja, ich habe sogar Virgin Records anfangs von diesem Boot aus geführt. Es lag am Ende der Portobello Road in Notting Hill auf dem Regent’s-Kanal. Ich bin auf dem Land groß geworden, in Surrey. Das Hausboot war meine Chance, dem Landleben so nahe wie möglich zu sein. Ich hatte alle Vorteile einer Großstadt, Bars, Supermarkt, Kinos. Wenn ich nach Hause kam, war ich weit weg davon. Morgens sah ich Schwäne auf dem Wasser, Enten und Gänse, die um das Boot herumflogen. Ich schaute auf viel Grün, was in London eine Ausnahme ist. Ein kleines Dorf inmitten einer riesigen Stadt.

Sie sagten einmal, Sie hätten von Musik keine Ahnung. Wie haben Sie es damals geschafft, jemanden wie Mike Oldfield unter Vertrag zu bekommen?

Mike war total frustriert, er dachte, er finde nie ein Label. Ich saß auf dem Boot und rief ihn an. Er ist dann sofort vorbeigekommen und hat mir eine ganze Liste an Instrumenten diktiert, die ich besorgen sollte. Ein Rohrglockenspiel – ich wusste nicht einmal, was das ist! Den ersten Vertrag, den ich ihm gab, habe ich Wort für Wort bei einer Freundin abgeschrieben, die bei einem etablierten Label war. Gut 25 Euro Wochenlohn gab es für jeden von uns.

Sie haben für London als Olympiaort geworben. Auf welche Wettbewerbe freuen Sie sich nun?

Auf die Läufer. Besonders auf Usain Bolt. Unglaublich, dass so ein kleines Land wie Jamaika so viele Athleten hervorbringt. Besonders gut fand ich, wie er 2008 in Peking verwarnt wurde. Er rannte als Erster ins Ziel und machte irgendein Zeichen ins Publikum. Die Schiedsrichter interpretierten das als Stinkefinger in ihre Richtung.

Der tollste Sportrekord, an den Sie sich erinnern?

Wie meinen Sie? Mein größter Rekord? Das war, als wir um das Blaue Band kämpften. Die schnellste Atlantiküberquerung in einem Boot. 1985 haben wir es versucht und sind gesunken. Ein Jahr später ist es uns geglückt. 1987 haben wir das Gleiche mit einem Heißluftballon versucht. Wir kamen bis Irland – dann stürzten wir ins Meer.

Ein Helikopter der Armee hat Sie gerettet.

Helikopter retten uns zum Glück immer. 1991 haben wir den Pazifik überflogen, aber Los Angeles um fast 5000 Kilometer verfehlt. Wir landeten in der Arktis. Wir waren kurz davor, draufzugehen.

Bildergalerie: Die Rekordversuche von Richard Branson

Sie seilen sich im Superman-Kostüm von Hochhäusern ab, stürzen sich mit Engelsflügeln ins Meer. Sind Sie lebensmüde?

Ich lebe nur einmal. Besser man erinnert sich an solche Momente, als daran, wie man zusammen vor dem Fernseher gesessen hat. Es geht um Adrenalin. Niemand hat diese Dinge je zuvor gemacht. Niemand ist vor uns in einem Strahlstrom geflogen, wo die Winde wahnsinnig stark sind.

Und was, bitte, haben Sie davon?

Es fordert mich heraus, persönlich und technisch. Man muss dafür einen Ballon bauen, der einer Windstärke von 300 Stundenkilometern standhält. Der groß genug ist, zehn Tonnen Benzin mit sich zu tragen. Im Moment arbeiten wir wieder an zwei Rekorden. Wir wollen eine neue Ära des Reisens einleiten und mit Virgin die Ersten sein, die Privatpersonen ins Weltall fliegen. Die Station dazu steht schon in New Mexiko. Außerdem bauen wir ein Unterwasserboot, mit dem wir den Meeresgrund erforschen können. In etwa sechs Monaten wollen wir bis zum Puerto-Rico-Graben hinunterfahren, das ist mit mehr als 9000 Metern der tiefste Punkt im Atlantik.

Was suchen Sie da unten?

Nick, mein Pressesprecher, wünscht sich, dass wir von dort Elvis zurückbringen. Okay, im Ernst, 80 Prozent aller Meerestierarten sind unentdeckt. Vielleicht finden wir welche. Ein paar spanische Galeeren, die vor Jahrhunderten gesunken sind, könnten da auch noch herumliegen. Da es kaum Strömung gibt, müssten sie gut erhalten sein.

Kommt Ihre Vorliebe für schnelle Fortbewegung eigentlich von Ihrer Mutter? Sie war Stewardess.

Vielleicht. Sie nahm uns auf Reisen mit. Zum ersten Mal bin ich mit acht Jahren geflogen. Nach Menorca, das war damals was Besonderes. Diesen Glamour wollten wir bei Virgin-Airlines zurückbringen. Gerade hat mein ungezogener Neffe ein neues Outfit für die Stewardessen entworfen. Und ins Weltall will doch jeder. Die meisten Menschen würden gern tun, was ich ständig mache. Zum Glück habe ich das Geld, um das alles zu realisieren.

Andere erkaufen sich mit Geld Ruhe und Zurückgezogenheit.

Andere sind eben vernünftiger als ich.

Dann fahren Sie bestimmt auch gern mit schnellen Autos durch die Gegend?

Überhaupt nicht. Wer reich ist, hat auch Verantwortung. Man sollte nicht so viel Geld in Autos stecken. Dieses Geld kann man produktiver ausgeben. Jede Fahrt mit dem Heißluftballon versuchen wir, selbstfinanziert zu gestalten. Selbst die Raumschiffstation soll sich tragen können. Raumschiffe, die sind jetzt schon mein liebstes Transportmittel.

Und wie kommen Sie in London von A nach B?

Da gehe ich oft zu Fuß. Ach, und seit wir diese neuen Fahrradwege überall in der Stadt haben, radele ich manchmal.

Wenn Sie so durch die Stadt fahren, was regt Sie auf an London?

Natürlich der Verkehr.

Stellen Sie sich vor, Sie könnten eine Sache daran ändern. Was wäre es?

Ich würde 60 Prozent aller Straßen Londons sperren und begrünen lassen. Kinder sollen draußen spielen können, alte Menschen im Gras sitzen. Es würde dann erheblich weniger Autos geben. London sollte eine riesige Fußgängerzone mit ein paar kleinen elektrischen Fahrzeugen werden, die herumtuckern.

In letzter Zeit treten Sie häufig als Umweltschutzaktivist in Erscheinung.
Das hat mit der Umwelt gar nicht so viel zu tun. Eine grüne Stadt macht auch die Menschen glücklicher. Sehen Sie sich mal um, Menschen in Städten treffen ihre Nachbarn nicht mehr. Eine Stadt sollte man bauen wie ein Dorf auf dem Land.

Als Bürgermeister von London könnten Sie das anstoßen. Schon mal mit der Idee gespielt, in die Politik zu wechseln?

Ich habe mich entschieden, mich aus Parteipolitik herauszuhalten. Wenn ich einzelne Ideen gut finde, werbe ich dafür.

Heute Abend fliegen Sie nach Madrid, morgen nach Mexiko. Wie sieht ein ruhiger Tag im Leben von Richard Branson aus?

Da bin ich mit der Familie auf Necker, eine der Karibikinseln, die mir gehört. Ich spiele Tennis, gehe Kitesurfen. Ruhe heißt für mich: Sport machen.

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