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Andreas Kümmert: "Ich bin doch nur ein kleiner Sänger."

© dpa

Andreas Kümmert beim ESC: Ein einfaches Nein

„Unser Song für Österreich“ wurde gesucht. Andreas Kümmert sang ihn. Dann das Nein. Weder wurde es besonders kämpferisch vorgetragen, noch lässt es sich besonders heroisch deuten. Einfach Nein. Nicht mit ihm. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Das Leben besteht aus Kompromissen. Kanten schleifen sich ab, Spitzen werden gebrochen. Man arrangiert sich. Es gibt nun mal gewisse Regeln, Zwänge, Notwendigkeiten. Und wer sich nicht arrangiert, kämpft allein gegen dunkle Mächte – das Schicksal, das System, die Konvention. Am Ende wird er verlieren, ist doch klar. Bis dann plötzlich einer dasteht und Nein sagt. Einfach so, ohne Warnung, ohne missionarischen Ehrgeiz. Das verstört.
Andreas Kümmert hat Nein gesagt. Gerade hatte der 28-Jährige die Vorentscheidung zum Eurovision Song Contest 2015 gewonnen und hätte als Vertreter Deutschlands zum Finale nach Wien reisen dürfen, als er – ja was? – die Wahl nicht annahm, sich verweigerte, aufgab. Schon an der Beschreibung des Vorgangs scheiden sich die Geister. Kümmert habe Angst vor der „medialen Gewalt“, vor dem Showbusiness, der Öffentlichkeit, dem Scheinwerferlicht, der permanenten Einflussnahme auf sein Leben. Das meinen die einen. Er sei sehr sensibel, habe sein Herz sprechen lassen, sei krank gewesen, meinen die anderen. Die Erklärungen schließen einander nicht aus. Durch seine Lieder, seine Stimme, seinen Gesang hatte Kümmert Millionen Zuschauer begeistert, jetzt quittierte das Publikum seine Entscheidung mit Buhrufen.
„Wer sich selbst treu bleiben will, kann nicht immer anderen treu bleiben“, heißt es bei Christian Morgenstern. Doch was heißt „sich selbst treu bleiben“? Wolf Biermann singt: „Nur wer sich ändert, bleibt sich treu.“ Ja, was denn nun? Auf jeden Fall gehört ein Ich zum Sichtreubleiben, das Gefühl eigener Identität. Dieses Gefühl mag sich aus Erinnerungen zusammensetzen, aus Hoffnungen, Ängsten, Werten, Idealen oder Beziehungsnetzen. Es hat statische und sich wandelnde Elemente. Aber Festes und Flexibles müssen ein Gleichgewicht finden.

Oft ist das Nein, das der Außenwelt mitgeteilt wird, ein Ja an die Innenwelt

Ein Ich, das in Bewegung gesetzt wird, will zwischendurch zur Ruhe kommen. Wer verreist, nimmt sich mit, wer wiederkommt, findet sich immer schon vor: In dieser Beobachtung steckt die Prägungsfähigkeit des Ichs, sein Wachscharakter, ebenso wie die Konfrontation des Ichs durch Fremdwahrnehmung.
Es geschieht nicht oft, dass einer Nein sagt. Aber oft ist das Nein, das der Außenwelt mitgeteilt wird, ein Ja an die Innenwelt. Andreas Kümmert, der vor zwei Jahren die Castingshow „The Voice of Germany“ gewonnen hatte, war in kurzer Zeit ein Star geworden. Auf eigenen Wunsch hatte er nun am Vorentscheid für den Eurovision Song Contest teilgenommen. „Unser Song für Österreich“ wurde gesucht. Er sang ihn. Vielleicht hat ihm der eigene Erfolg diesen weiteren Schritt nahegelegt. Muss es nicht immer irgendwie weitergehen auf der Leiter?
Dann das Nein. Weder wurde es besonders kämpferisch vorgetragen, noch lässt es sich besonders heroisch deuten. Einfach Nein. Nicht mit ihm. Seine Musik bedarf des Schutzes. Denn seine Musik ist jener Teil seines Ichs, der den äußeren Wirkmächten nicht als freie Masse zur prägenden Verfügung steht. Es soll Menschen geben, die den Druck, der zu einem solchen Nein führt, nie empfunden haben. Aber das sind die anderen.

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