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Nach dem Beben: Haiti wartet auf die Hilfe der Welt

Retter kommen nur langsam in die vom Beben zerstörten Regionen Haitis. Überlebende sind zunehmend verzweifelt – es fehlt an allem. In der Hauptstadt verwesen die Leichen in den Straßen.

Von Lutz Haverkamp

Berlin/Port-au-Prince - Drei Tage nach dem Erdbeben in dem Karibikstaat Haiti wird das Ausmaß der Katastrophe sichtbar. Die weltweiten Bemühungen, den mehr als drei Millionen betroffenen Menschen zu helfen, kommen indes nur schleppend voran. Insbesondere der Flughafen mit seinen begrenzten Entlade- und Lagermöglichkeiten bildet ein Nadelöhr. Bis zu zwei Stunden mussten die Flugzeuge mit Hilfsgütern und Suchtrupps über dem Land kreisen, bevor sie landen konnten. In der zu 70 Prozent zerstörten Hauptstadt Port-au-Prince befürchten Helfer angesichts ausbleibender Hilfe, dass Wut und Verzweiflung in Gewalt umschlagen könnten. Immer wieder waren auch Schüsse zu hören. Augenzeugen berichteten von Plünderungen. Tausende Leichen stapeln sich in den Straßen. Verzweifelte Haitianer errichteten Straßensperren aus Leichen, um auf ihre Lage aufmerksam zu machen.

Viele Verletzte verbrachten die dritte Nacht in Folge auf der Straße. Bei ihnen wächst die Wut darüber, dass die Hilfe nicht bei ihnen ankommt. „Wir warten seit drei Tagen und drei Nächten, aber nichts wurde für uns getan“, klagte ein Mann, der Mutter und Schwester mit gebrochenen Beinen versorgte. Die Verzweiflung richtete sich auch gegen die Regierung: „Wir haben keinerlei Führung“, rief eine Frau. Diese ist wegen der Zerstörungen nahezu regierungsunfähig. Jean Robert Saget, haitianischer Botschafter in Deutschland, vermutete mehrere Minister unter den Toten. Für viele Verschüttete dürfte die dreitägige Verzögerung bereits den Tod bedeuten. Ein Mensch kann nur etwa drei Tage ohne Trinken überleben. In Haiti herrschen Tagestemperaturen um 30 Grad.

Wie viele Tote und Verletzte die Katastrophe bereits gefordert hat, ist nach wie vor nicht überschaubar. Das Rote Kreuz geht von bis zu 50 000 Toten sowie drei Millionen Verletzten und Obdachlosen aus. Nach Angaben der Regierung kamen sogar bis zu 140 000 Menschen ums Leben. Es fehlt vor allem an Medikamenten, Wasser und Nahrungsmitteln. Auch sind nach Mitteilung des Roten Kreuzes nicht ausreichend Leichensäcke vorhanden. Das Beben der Stärke 7 hat die ohnehin schlechte Infrastruktur Haitis weitgehend zerstört. Es sei mit der Aushebung von Massengräbern begonnen worden, berichteten Helfer und Reporter vor Ort. Teilweise herrsche ein unerträglicher Leichengeruch in den Straßen.

Die USA, die 100 Millionen Dollar Soforthilfe zugesichert haben, schickten den Flugzeugträger „Carl Vinson“. Er sollte am Freitag die Insel erreichen und ein schwimmender Flughafen für seine 19 Helikopter sein, die Verletzte transportieren sollen. Insgesamt entsenden die USA bis Montag 10 000 Soldaten, 300 Ärzte sowie sechs Schiffe. Helfer anderer Nationen schickten Suchhunde, schweres Bergungsgerät, Zelte und Wasseraufbereitungsanlagen in die Region. Das Deutsche Rote Kreuz will am Samstag eine mobile Klinik mitsamt Ärzten und Krankenschwestern in die Region fliegen. Damit sollen bis zu 30 000 Menschen ambulant versorgt werden können.

Kleinere Nachbeben erschütterten unterdessen die Hauptstadt. Mit bloßen Händen und nur mit Hämmern versuchten die Haitianer, Verschüttete noch lebend zu befreien. Teilweise herrscht Anarchie. Immer wieder waren in den Straßen von Port-au-Prince am Freitag auch Schüsse zu hören. Wie in einem AFP-Video zu sehen war, brachen Tumulte aus, als ein Helikopter Nahrungsmittel über der Stadt abwarf. Weil das Hauptgefängnis zerstört wurde, konnten 4000 Gefangene fliehen.

Inzwischen liegen Hilfszusagen in Höhe von mehr als 268 Millionen Dollar (186 Millionen Euro) vor, wie die Vereinten Nationen (UN) in Genf mitteilten. Deutschland hat den UN zunächst 1,5 Millionen Euro zugesagt. Die USA, Frankreich und einige andere Staaten wollen so schnell wie möglich eine internationale Wiederaufbaukonferenz für Haiti organisieren – als möglicher Termin wurde der März genannt. Frankreich setzt sich dafür ein, dem verarmten Karibikstaat möglichst schnell alle Schulden zu erlassen. Die zuständigen Minister der Europäischen Union wollen am Montag bei einer Sondersitzung in Brüssel über eine dauerhafte Unterstützung des Karibikstaates sprechen.

Haitis Ex-Präsident Jean Bertrand Aristide will nach dem schweren Erdbeben in sein Land zurückkehren, um beim Wiederaufbau zu helfen. Er und seine Frau könnten bereits in den kommenden Tagen nach Haiti fliegen, sagte Aristide, der im Exil in Südafrika lebt, am Flughafen in Johannesburg. Er wolle die Trauer des haitianischen Volkes teilen und „helfen, das Land wiederaufzubauen“, fügte er hinzu. Viele seiner Freunde seien bereit, einen Flug mit Hilfsgütern und ihm selbst an Bord zu unterstützen. Aristide war 2004 nach Vorwürfen von Korruption und Machtmissbrauch gestürzt worden. Seitdem ist das Land nicht zur Ruhe gekommen. mit dpa/AFP

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