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Die Wohnungen von Millionen Menschen in Nepal sind zerstört.

© Mast Irham/dpa

Nach dem Erdbeben in Nepal: Leben in Trümmern

Auch zwei Wochen nach dem starken Erdbeben in Nepal ist noch nicht überall Hilfe angekommen. Während sich die Regierung weiterhin rar macht, ist die Solidarität unter den Menschen groß. Ein Bericht aus Kathmandu.

Der 25. April begann für Ujali Thakuri wie jeder andere Tag. Am Morgen baute die 43-Jährige aus Kathmandu ihren Verkaufsstand mit Handarbeiten zwischen den Tempeln des Durbar Square in Nepals Hauptstadt auf und wartete auf die ersten Käufer. Am Wochenende füllt sich der Platz nicht nur mit hunderten Touristen. Auch die Nepali nutzen ihre freien Tage gern für einen Besuch ihrer Weltkulturerbestätte und zum Einkaufen in der Altstadt rund um den Platz.

Sechs Minuten lang bebte die Erde in Kathmandu

Plötzlich begann die Erde zu beben, sechs Minuten lang mit einer Stärke von 7,8 auf der Richterskala. Die Tempel rings um Ujali Thakuri schwankten, als stünden sie auf einem Schiff in rauer See. Der Platz füllte sich mit Menschen, die in Panik aus ihren baufälligen Altstadthäusern hinaus ins Freie liefen. Dann fielen Steine, Tempel stürzten in sich zusammen, eine dichte Staubwolke hüllte den Platz ein. Als der Staub sich legte, war von vielen Häusern und Tempeln nur noch Schutt übrig.

Ujali Thakuri lebt nun mit ihrer Familie in einem Zelt.
Ujali Thakuri lebt nun mit ihrer Familie in einem Zelt.

© Nicole Graaf

Ujali Thakuri hatte Glück im Unglück. Sie überlebte. Viele andere nicht. Die Behörden registrierten bis Sonntag 8019 Todesopfer, darunter 68 Ausländer, und mehr als 17 000 Verletzte. Immer noch haben die Angaben über Tote und Verletzte aus sehr entlegenen Orten die Behörden nicht erreicht. Sie fürchten deshalb, dass die Zahlen weiter steigen.

Ujali Thakuri lebt jetzt mit ihrer Familie in einem Zelt

An der Stelle, wo Ujali Thakuri ihren Verkaufsstand hatte, stehen jetzt weiße Zelte aus Lkw-Planen, gespendet von der Regierung Bahrains. In einem davon lebt Thakuri nun. Mit ihrer 80-jährigen Mutter, ihrem Sohn, zwei Töchtern sowie ihrem Bruder und dessen vierköpfiger Familie teilt sie sich zehn Quadratmeter, die mit Holzpaletten ausgekleidet sind. Den zweiten Teil des Zeltes, nur durch eine Plane getrennt, bewohnt eine andere Familie. Ihre kleine Wohnung in der angrenzenden Altstadt existiert nicht mehr.

Besonders betroffen ist der Distrikt Sinduphalchowk. Dort sind fast alle Häuser zerstört.
Besonders betroffen ist der Distrikt Sinduphalchowk. Dort sind fast alle Häuser zerstört.

© Nicole Graaf

Das Haus, in dem sie sich befand, ist in sich zusammengefallen. "Wir haben nichts mehr", sagt Thakuri. "Nicht einmal unsere Sachen haben wir aus den Trümmern holen können." Ihren Verkaufsstand musste sie aufgeben. Seit dem Erdbeben kommen kaum noch Touristen. Die Armee hat die Tempelanlage abgesperrt. Ansonsten macht sich die Regierung auch zwei Wochen nach dem Beben rar.

Bisher hat die Regierung keine Wiederaufbauhilfen gezahlt

Die meisten sagen, von staatlicher Seite bislang keine oder kaum Hilfe bekommen zu haben. Unklar ist auch noch, wie viel Wiederaufbauhilfe Betroffene bekommen sollen; die Parteien streiten über Summen zwischen 300.000 und 500.000 Rupien (umgerechnet 3000 bis 5000 Euro). Gezahlt wurde den Nepali, die im Monat durchschnittlich 50 Euro verdienen, bisher nichts.

Außerhalb Kathmandus, in den unwegsamen Regionen nah am Epizentrum, ist noch immer nicht überall Hilfe angekommen. Im Bezirk Jalbire, einer bergigen Gegend des am stärksten zerstörten Distrikts Sinduphalchowk, sind immerhin zahlreiche internationale Organisationen und lokale Initiativen mit Ärzten präsent. "Mit der medizinischen Versorgung haben wir keine Probleme", sagt die leitende Ärztin der Gesundheitsstation von Jalbire. "Was die Leute jetzt aber dringend brauchen, sind Lebensmittel und Zelte."

Kaum eines der Häuser dort ist noch bewohnbar. Anwohner einiger Dörfer in dem stark zersiedelten Gebiet klagen, dass sie noch keine Nahrungsmittel erhalten haben. Andere sagen, dass selbst wenn Hilfsgüter geliefert werden, die Schwächeren im Gerangel um die Reissäcke häufig leer ausgehen.

Dass ihre Regierung sich nicht um sie kümmert, sind die Nepali gewohnt. Statt auf den Staat zu warten, helfen sie sich selbst. Schulklassen, Klöster, Vereine, Ärzte, Berufsvereinigungen oder Privatleute: Alle sammeln Spenden und helfen, wo sie können. Die Bewohner der Zeltsiedlung auf dem Durbar Square von Kathmandu werden von einem kleinen Verein versorgt, der sich normalerweise um soziale Belange und die Pflege der religiösen Stätten in der historischen Königsstadt kümmert.

Die Menschen helfen sich, so gut sie können

Vereinspräsident Ninam Shrestha steht vor einem kleinen Lagerraum des Vereins am Rand des Platzes und organisiert die Essensausgabe. "Es bricht mir das Herz zu sehen, dass unser kulturelles Erbe in Trümmern liegt", sagt er. Die alten Königsstädte im Kathmandutal sind nicht nur Attraktion für Touristen, sondern machen für viele Nepali den Kern ihrer kulturellen Identität aus. Vor dem Lagerraum hat der Verein große Töpfe mit Reis, Gemüsecurry und Linsen aufgebaut. All das stammt von privaten Spendern. In den vergangenen Tagen haben zwei australische Touristinnen spontan den Nachschub von Reis aus eigener Tasche bezahlt.

Auch viele öffentliche Einrichtungen sind zerstört

Gleich neben dem Lager beginnt die Altstadt von Kathmandu mit ihren schmalen verwinkelten Gassen und windschiefen Innenhofhäusern. Rikhi Kadhka und sein Kollege Samir Pradhan von der nepalesischen Ingenieursvereinigung inspizieren die Häuser und stellen fest, ob sie noch bewohnbar sind. Auch sie sind mit rund 4800 Kollegen ihrer Berufsvereinigung ehrenamtlich und ohne staatlichen Auftrag unterwegs. Kadhka und Pradhan studieren eigentlich noch, aber auch viele Universitäten, Schulen und andere öffentliche Einrichtungen müssen momentan geschlossen bleiben, weil die Gebäude nicht sicher sind – auch wegen Pfuschs am Bau.

Für etwas Geld drücken die Kontrolleure die Augen zu

"Wir haben zwar Standards und Gesetze für den Häuserbau", sagt Khadka. "Das Problem ist nur, niemand hält sich daran." Für etwas Geld drücken die Kontrolleure fast immer ein Auge zu. Vermutlich wäre ohne die allgegenwärtige Korruption zumindest in Kathmandu weniger Schaden entstanden. Denn neben den alten, baufälligen Häusern sind vor allem jene eingestürzt, die in minderer Qualität gebaut wurden.

Nur wenige Häuser der Altstadt, die meist in der traditionellen Bauweise mit Backsteinen errichtet wurden und nur von wenig Mörtel zusammengehalten werden, wird man wieder bewohnbar machen können, prognostiziert Khadka. Für die meisten bleibe nur der Abriss.

Millionen suchen neue Wohnungen - das treibt die Mieten hoch

Das historische Herz der Hauptstadt wird also neuen Gebäuden weichen. Mehrere Millionen Nepali sind obdachlos, allein in Kathmandu sind es tausende Familien, die jetzt eine neue Wohnung brauchen. Das treibt die Preise hoch.

Manche Familien haben Glück. Sie können wieder in ihre Häuser zurück. Ujali Thakuri und ihre Mutter werden nicht so schnell wieder ein festes Dach über dem Kopf haben. "Wir haben uns nach einer neuen Wohnung umgeschaut", sagt sie. Aber die Mieten lägen bei umgerechnet 150 bis 200 Euro, sagt sie. "So viel Geld können wir nicht aufbringen."

Nicole Graaf

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