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CHINA-QUAKE

© AFP

Nach Erdbeben: Halten die Dämme, halten die Atomkraftwerke?

Die größte Plutoniumherstellung Chinas und die Atomwaffenproduktion befinden sich im Bebengebiet. An 17 von etwa 500 Staudämmen wurden bereits Risse festgestellt. Den Städten drohen Überflutungen.

Chengdu - Die Angst geht um: Halten die Dämme? Halten die Atomkraftwerke? Das Bebengebiet in der chinesischen Provinz Sichuan ist von zahlreichen Flüssen durchzogen. 500 kleinere und größere Staudammprojekte gibt es dort, viele sind allerdings noch nicht fertiggestellt. An 17 Dämmen wurden bisher Schäden festgestellt. In Panik waren in den vergangenen Tagen Menschen in höhergelegene Gebiete geflüchtet, aus Angst, ihre Städte könnten überflutet werden. Tausende Menschen rannten um ihr Leben.

Experten hatten schon lange vor den Risiken gewarnt, an einer seismologisch aktiven Erdfalte wie in Sichuan Staudämme zu bauen. In einer internen Anhörung der Regierung über den damals geplanten Bau des Zipingpu-Dammes am Min-Fluss hoben Fachleute der Erdbebenwarte Chinas im Jahr 2000 die Gefahr deutlich hervor, wie die Umweltgruppe International Rivers aus Berkeley in Kalifornien berichtete. Die Warnungen fanden indes kein Gehör. Die Befürchtungen der Seismologen bestätigten sich am vergangenen Montag, als das Erdbeben deutliche Risse in der Betonmauer des 2006 fertiggestellten Zipingpu-Dammes verursachte. In aller Schnelle eilten Soldaten herbei. Das zum Glück ohnehin niedrige Wasser im Reservoir wurde weiter abgelassen, um den Druck von der Staumauer zu nehmen. Eine Flutwelle hätte Zehntausende Menschen in der flussabwärts liegenden Stadt Dujiangyan bedroht, wo gerade die Bergungsarbeiten auf Hochtouren liefen. „Das sind gefährliche Bauten, die hier in einem Erdbebengebiet errichtet worden sind“, kritisierte die Expertin Aviva Imhof von International Rivers in einem Interview mit dem amerikanischen National Public Radio.

Neue Gefahr für die angeschlagenen Dämme droht nun durch die beginnende Regenzeit, die in der Region immer wieder schlimme Überschwemmungen auslöst. Von Mai bis Oktober fallen 80 Prozent des jährlichen Niederschlags am Oberlauf des Min-Flusses. Er ist ein wichtiger Zufluss des Jangtse-Stromes und fließt direkt durch das schwer betroffene Erdbebengebiet. 15 Staudämme sind am Min-Fluss entweder im Bau oder schon im Betrieb, darunter der Tulong-Damm, der nach Behördenangaben ebenfalls beschädigt wurde. Trotz der Bedenken der Seismologen betreibt die Regierung seit Jahren einen massiven Ausbau der Wasserkraft im Südwesten, um der rückständigen Region zu helfen, ihren wachsenden Strombedarf zu decken und zu den wohlhabenden Teilen Chinas aufschließen zu können.

Es gibt eine weitere Gefahrenquelle. Wie steht es um die Sicherheit der Atomkraftwerke und der Produktion von Atomraketen? Alle nuklearen Einrichtungen im Erdbebengebiet sind nach Beteuerungen des chinesischen Militärs gesichert. „Es gibt keinerlei Probleme“, versicherte am Sonntag der Vizedirektor Ma Jian vom Generalstab der Volksbefreiungsarmee vor der Presse in Peking. „Ich kann verantwortlich sagen, dass all diese Einrichtungen sicher sind.“

In dem schwer zerstörten Gebiet von Mianyang und Guangyuan unweit des Epizentrums liegt das wichtigste chinesische Entwicklungszentrum für Atomwaffen. Zu den nuklearen Einrichtungen gehören nach Informationen ausländischer Experten ein Forschungsreaktor, die größte chinesische Plutoniumproduktion und andere Labors. Nach dem Erdbeben hatten Chinas Amt für nukleare Sicherheit und das Umweltministerium sofort Nuklearexperten nach Sichuan entsandt, um die Atomeinrichtungen zu überprüfen.

Das französische Institut für Strahlenschutz und Nuklearsicherheit (IRSN) teilte mit, einem Bericht der chinesischen Atomaufsicht zufolge sei durch das Erdbeben ein Krisenplan für Nuklearsicherheit ausgelöst worden. Es sei aber keine radioaktive Strahlenbelastung gemessen worden. Sämtliche Nuklearanlagen in der Provinz seien vorsichtshalber gestoppt worden, ohne dass Schäden festgestellt worden seien. Leicht beschädigt worden seien indes ältere Nuklearanlagen, die außer Betrieb seien oder abgerissen würden, da während ihres Bau weniger strenge Vorschriften gegolten hätten.

Es sei aber „derzeit nicht auszuschließen“, dass die militärischen Nuklearanlagen Schäden abbekommen haben könnten. Das Zentrum hielt es zugleich für „wahrscheinlich“, dass die vier an der chinesischen Ostküste gelegenen Kernkraftwerke Lingao, Daya Bay, Qinshan und Tianwan keine „erwähnenswerten Schäden“ davongetragen hätten, da sie sich mehr als 1000 Kilometer entfernt befänden.

Das Beben hat eine beispiellose Welle der Hilfsbereitschaft in der chinesischen Bevölkerung ausgelöst. Erstmals bei einer Katastrophe kam es nicht nur zu staatlich gelenkten Aktionen. Verschiedene Organisationen veranstalteten selbständig Spendensammlungen, Menschen in nicht betroffenen Nachbarregionen helfen Überlebenden. Die 29-jährige Polizistin Jiang Xiaojuan, die gerade ein Baby zur Welt gebracht hatte, habe drei Säuglinge von überlebenden Frauen gestillt, die wegen des Schocks keine Milch mehr geben konnten und deren Kinder kein Milchpulver vertrugen. Sie gab nach Angaben einer Lokalzeitung auch fünf Babys die Brust, die aus den Trümmern gerettet wurden und nun in Waisenhäusern leben. (dpa/AFP)

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