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Nach Papst-Rücktritt: Was macht Benedikt jetzt?

Die Entscheidung von Benedikt XVI. hat die katholische Kirche erschüttert. Wird das Ereignis einen Wandel auslösen?

Der Campo Santo Teutonico ist ein ruhiges Fleckchen, eine Insel innerhalb des Vatikans. Hier finden fromme deutsche Rombewohner ihre letzte Ruhestätte. In eine von den Säulen des uralten Kreuzgangs ist neuerdings das Wappen Benedikts XVI. gemeißelt – und darunter hat jemand am Tag des päpstlichen Rücktritts einen Blumentopf gerückt, ein weißes Alpenveilchen von den Gräbern daneben. So als wäre der Papst schon tot.

Wie ist die Stimmung in Rom?

Die deutschen Touristen, die man am Tag danach im Campo Santo antrifft, die finden Benedikts Entscheidung durchweg „mutig“. Der Papst habe „einen vernünftigen Zeitpunkt“ gewählt, sagt ein Würzburger: „Wenn einer sieht, dass er nicht mehr kann...“ Gut so, sagt auch eine Frau aus Ulm: „Wir haben beim vorigen Papst das Sterben über so viele Jahre miterlebt, das mussten wir jetzt nicht nochmal haben.“ Wenn man diese Leute fragt, wie es nun weitergehen soll mit der katholischen Kirche, dann will nur einer „Kurs halten“. Alle anderen hätten jetzt gerne einen jüngeren Papst, „einen aus der so genannten Dritten Welt“, „einen offeneren“, „einen mit frischen Ideen“, einen Schwarzen, warum nicht: „Die Welt sieht ja immer nur weiß aus, in Wirklichkeit lebt die Mehrheit der Katholiken in ganz anderen Weltgegenden.“

Gibt es jetzt einen Kurswechsel?

Die Kardinäle werden sich von nächster Woche an zu Beratungen in Rom und von Mitte März an – wenigstens die 118 unter ihnen, die noch keine 80 Jahre alt sind – im Konklave zur Wahl des neuen Papstes zusammenfinden. Von den Wahlberechtigten verdankt die Mehrheit ihre Ernennung dem heutigen Papst; es ist nicht damit zu rechnen, dass sie von vornherein eine Kurskorrektur wählen.

Der Neue übernimmt außerdem eine durchweg von Benedikt XVI. zusammengesetzte Kurie. Er ist zwar frei, sämtliche Ämter neu zu besetzen – sie erlöschen ja mit dem Tod oder dem Rücktritt eines Papstes –, aber wer würde sich den Affront antun, beispielsweise den Chef der Glaubenskongregation, Gerhard Ludwig Müller, abzulösen? Da dieser als Herausgeber auch das gesamte theologische Werk Joseph Ratzingers verwaltet, käme seine Versetzung einem Schlag ins Gesicht des früheren Papstes gleich. Insofern hat Benedikt XVI. schon mit der Ernennung des früheren Regensburger Bischofs zum obersten Glaubenshüter im vergangenen Jahr die Kontinuität vorgegeben.

Es ist auch nicht auszuschließen, dass die katholischen „Rechten“ noch stärker werden. Gerade in der Auseinandersetzung mit den ultrakonservativen Pius-Brüdern gab es eine starke Polarisierung unter Kardinälen und Bischöfen. Und gerade die Konservativen in Kurie und Kardinalsgremium haben Benedikt seinen Rücktritt sehr übel genommen. „Man steigt nicht herab vom Kreuz“, rief Kardinal Stanislaw Dziwisz, der Privatsekretär Johannes Pauls II., aus Krakau nach Rom. Und wer in der Umgebung des erzkonservativen römischen Kardinals Dario Castrillon Hoyos nachfragt, bekommt zu hören, der „weichliche“ Benedikt XVI. habe mit seinem Rücktritt der Autorität des Papstamts geschadet.

Wer könnte Benedikts Nachfolger werden?

Von den wählenden Kardinälen stammen 62, also eine absolute Mehrheit, aus Europa, unter ihnen 28 aus Italien. Bei verpflichtender Zweidrittelmehrheit im Konklave würden sie es selbst als Block nicht schaffen, einen der Ihren durchzusetzen. Aber Afrika und Asien zählen jeweils nur elf Wähler. Die Waage neigt sich also in Richtung Europa – auch deswegen, weil die meisten Kardinäle aus Asien und Afrika längst „europäisiert“ sind: Sie haben ihre Theologie in Rom studiert, ihr Kirchenbild dort geformt. Wenn sie nicht auch noch – wie die zwei „papabili“ Robert Sarah (67) aus Guinea oder der Ghanaer Peter Turkson (64) – zu Behördenleitern an der römischen Kurie geworden sind. Wobei Turkson einen vergleichsweise unkurial lockeren Eindruck vermittelt. Als er 2009 unter Verweis auf Barack Obama als erstem schwarzen Präsidenten der USA gefragt wurde, ob die katholische Kirche nicht auch reif sei für einen Schwarzen als Papst, antwortete Turkson: „Warum nicht?“

Die Lateinamerikaner sind etwas freier gegenüber der Kirchenzentrale; seit Johannes Paul II. im Verein mit Joseph Ratzinger aber die Befreiungstheologie gestoppt und vatikanisch-linientreue Bischöfe ernannt hat, ist von lateinamerikanischen Reformanstößen nur mehr wenig zu hören. Aus Lateinamerika werden zwei Kardinäle zu den papabili gezählt: der Erzbischof von Sao Paulo, Odilo Pedro Scherer (63) und der dezidiert konservative Oscar Rodriguez Maradiaga (70) aus Honduras. Dieser hat sich am Dienstag vorsorglich bereits als „ungeeignet“ für das Papstamt bezeichnet: „Das ist eine unerbittliche Arbeit, ohne Ruhe, da hat man keine Zeit für sich selbst, weil alles aufs Wohl der Kirche konzentriert ist.“

Wird das Papstamt reformiert?

Auch diese Frage müssen die Kardinäle im Konklave entscheiden. Dass der „historische“ Rücktritt Benedikts XVI. das Papstamt insgesamt verändert, ist nicht zu erwarten. Der „Neue“ wird im Bedarfsfall eine individuelle Handlungsmöglichkeit in näherer Verfügbarkeit haben, aber die Kirchenverfassung bleibt unberührt: Der Papst ist nur ans auslegungsfähige und -pflichtige Gotteswort gebunden, ansonsten aber absoluter Herrscher und frei in allem, was er macht. Er ist keiner Synode, keinem Konzil rechenschaftspflichtig. Auch sein Rücktritt muss von niemandem angenommen werden. Und umgekehrt: Abwählen und zum Rücktritt drängen kann einen Papst laut Kirchenrecht niemand. Das gehört zur Grundverfassung der katholischen Kirche, das wird mit Sicherheit so bleiben.

Was wird aus Benedikt XVI.?

Im Vatikan ist der Rücktritt eines Papstes etwas derart Ungewöhnliches, dass man noch nicht mal einen Titel für ihn hat: Am Dienstag zeichnete sich ab, dass es auf den Titel „Emeritierter Bischof von Rom“ hinausläuft. Wobei Ratzinger dem Weihegrad nach Bischof bleibt. Ob er auch Kardinal bleibt, ist nach Pressesprecher Federico Lombardi nicht gewiss. Ein Amt wird er nicht mehr ausüben, schon des Alters wegen: Mit 86 Jahren liegt Ratzinger um sechs Jahre über der Pensionsgrenze für Kardinäle.

Bis zum Abend des 28. Februar, den er als Datum für seinen Amtsverzicht festgesetzt hat, wird Benedikt an einigen lang geplanten Terminen festhalten: An der Begegnung mit römischen Priestern und Priesteramtskandidaten diesen Donnerstag sowie an den Generalaudienzen heute und am kommenden Mittwoch. Nur die Aschermittwochsliturgie heute Abend, die bisher mit einer Prozession auf dem Aventinshügel verbunden war, wird der Schwäche des Papstes wegen ins Innere des Peterdoms verlegt.

Wohnen will und wird er weiterhin auf dem Vatikan-Gelände: in einem kleinen Kloster von Nonnen, das Johannes Paul II. 1994 eingerichtet hat und in dem Schwestern verschiedener, strenger Schweigeorden für den Papst beteten. Derzeit steht das Gebäude leer; wenn wieder Nonnen einziehen, so Federico Lombardi, dann nicht in den Gebäudeteil, in dem Ratzinger wohnt.

„Im Gebet“, hat Benedikt angekündigt, wolle er auch künftig „mit ganzem Herzen der Heiligen Kirche Gottes dienen“. Dass er sich in die Amtsgeschäfte seines Nachfolgers einmischt, schließt Lombardi aus: „Wir kennen ihn.“ Und sollte der dann frühere Papst je auf einer Rente bestehen, wird sich die Kurie – trotz Haushaltsdefizits – nicht knausrig zeigen: Mit seinen Büchern ist Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. schließlich zu einer Haupteinnahmequelle des Vatikans geworden.

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