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Panorama: Nachbarschaftsstreitigkeiten galten schon lange als typisch deutsch - nun folgt ihre mediale Aufblähung zum Event

Manchmal, in lichten Momenten, zeigt das Fernsehen die Realität unseres Alltags in ihrer ganzen Grausamkeit - als Ergebnis dokumentarischer Präzision, oder auch nur aus purem Zufall. Und Zufall war es sicherlich, dass eine gewisse Regina Zindler aus dem sächsischen Auerbach den Weg vor die SAT-1-Fernsehrichterin fand und dort mit regionaltypischem Dialekt die legendären Worte "Maschendrahtzaun" und "Knallerbsenstrauch" aussprechen durfte.

Manchmal, in lichten Momenten, zeigt das Fernsehen die Realität unseres Alltags in ihrer ganzen Grausamkeit - als Ergebnis dokumentarischer Präzision, oder auch nur aus purem Zufall. Und Zufall war es sicherlich, dass eine gewisse Regina Zindler aus dem sächsischen Auerbach den Weg vor die SAT-1-Fernsehrichterin fand und dort mit regionaltypischem Dialekt die legendären Worte "Maschendrahtzaun" und "Knallerbsenstrauch" aussprechen durfte. Der Zaun gehörte ihr, der Strauch dem Nachbarn, und damit waren alle Zutaten versammelt, die hierzulande notwendig sind, um zwei rechtsschutzversicherte Betonköpfe in einen schwachsinnigen Streit taumeln zu lassen, den ein Gericht zwar rechtlich einwandfrei abwickeln, aber niemals wirklich schlichten kann. Derlei Auseinandersetzungen gelten in aller Welt nicht ohne Grund als typisch deutsch.

Diese Sendung bot schon an sich einen Grad real existierenden Horrors, gegen den viele Filmmonster blass aussehen. Es war nur noch eine Initialzündung nötig, um daraus ein Massenphänomen entstehen zu lassen: Der notorische Fernseh-Leichtfuß Stefan Raab lieferte sie, unabsichtlich, mit seinem Country-Song, den er flugs und aus purer Albernheit um Regina Zindlers Originaltöne herum dichtete - und inzwischen etwa eine Million Mal verkaufte. Seither wird das beschauliche Auerbach von grölenden Schaulustigen geflutet, die längst nicht nur den ursprünglichen Zaun, sondern auch den eilig aufgerichteten Ersatz zerschnippelt haben; die Drahtflicken werden im Internet versteigert, und die Protagonisten marschieren durch Frühstücksfernsehen und Talk-Shows, sofern sie nicht, wie Regina Zindler, von der Fernseh-Konkurrenz RTL scheinheilig auf Erholungsurlaub verschickt werden.

Was ist los da unten in Sachsen? Ach: Nichts, was nicht auch in Auerbach in der Oberpfalz oder in ungezählten Städtchen anderen Namens möglich gewesen wäre. Jeder Amtsrichter dieser Republik schlägt sich den ganzen Tag mit vergleichbaren Streitigkeiten herum. Dass ausgerechnet diese hier Karriere machte, hat mit dem Zusammentreffen mehrerer wichtiger Faktoren zu tun: Eine spezifisch komische Oberfläche, ein populärer Star, der den Fall bekannt macht, die harte Konkurrenz der Boulevardjournalisten aller Medien, die nicht mehr anders können, als gleichermaßen Auslöser und Resonanzboden zu sein für alles, was Quote verspricht. Das ist nicht einmal neu.

Neu aber ist die Tendenz, dass immer banalere Anlässe immer massivere Reaktionen in der Öffentlichkeit auslösen. Brisante Zusammenballungen unserer Mitmenschen ereignen sich, ohne dass es überhaupt noch eines gedanklich nachvollziehbaren Grundes bedürfte, einfach aus zielloser Schaulust und Langeweile, und weil Journalisten - und inzwischen wohl auch schon das noch weniger kontrollierbare Internet - ihnen die Wichtigkeit ihrer Anwesenheit suggerieren. Da sein zu wollen, wo alle anderen schon sind, reicht als Legitimation völlig aus, und der Kreislauf beginnt.

So spannt sich der Bogen der Massenphänomene von der tausendfach weggesendeten Sauf-Folklore à la "Ballermann 6" über jene Autofahrer, die, angeheizt von einer Wut-Kampagne, wegen billigen Benzins einen halben Tag auf der Straße herum stehen, bis eben zu jenen, die stundenlange Wege auf sich nehmen, nur um in einem Ort in der Nähe von Plauen mit Tausenden von bierseligen Gleichgesinnten einen Zaun und einen Strauch zu betrachten. Anderntags erhalten sie aus dem Fernseher die Bestätigung, Teilnehmer einer bedeutenden Veranstaltung gewesen zu sein, denn sonst würde ja niemand über sie berichten, nicht wahr? Man ist schon froh, wenn wieder einmal nur die Zeit tot geschlagen wurde.

Ja: Die Zeiten ändern sich, und die Medien tun es mit ihnen. Gleichwohl haben wir es hier mit Symptomen gesellschaftlicher Verwahrlosung zu tun, die ebensowenig unumkehrbar sind wie, beispielsweise, die Arbeitslosigkeit, die vielen erst die notwendigen sinn- und zeitleeren Räume eröffnet. Für Regina Zindler, so hört man, ist eine ABM-Stelle gefunden. Vielleicht hilft das wenigstens ihr dabei, den heillosen Kampf um Maschendrahtzaun und Knallerbsenstrauch aufzugeben.

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