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Panorama: Namen: Wer ist schon Holger Mischwitzky?

Es gibt Menschen, die sammeln Briefmarken, edle Rotweine oder teure Kunst. Markus Ramseier sammelt Namen.

Es gibt Menschen, die sammeln Briefmarken, edle Rotweine oder teure Kunst. Markus Ramseier sammelt Namen. Wann immer er einen hört, der ihm gefällt - mit möglichst vielen "I"s und wenig "U"s, ohne Zischlaute, aber voller "m"s -, dann schreibt er ihn auf, um ihn später zu benutzen. Denn der Schweizer Sprachwissenschaftler ist nicht nur hauptamtlich Flurnamensforscher, der Wiesen, Wälder und Flüssen auf den Grund geht - er ist auch Schriftsteller. Und damit darf er das, was manche nie, und andere bestenfalls ein paar Mal im Leben tun dürfen: Menschen benennen. Ihnen eine Identität geben - oder auch nehmen: indem er sie in der unpersönlichen Anonymität belässt.

Denn das weiß jeder Schriftsteller: Sobald eine Figur einen Namen hat, beginnt sie zu leben. Ganz wie im richtigen Leben, wo das Baby sofort einen Namen bekommt, wo das christliche Leben mit der Taufe beginnt. Wo selbst Schränke zu Freunden werden, wenn sie Billy heißen.

Dabei sind Namen selbst mausetot. "Fossilien der Sprache" nennen die Linguisten sie, weshalb gerade Historiker sie so lieben. Ganze Völkerwanderungen kann man mit ihrer Hilfe nachvollziehen. Denn während die Sprache sich beständig wandelt, wird ein Name von Generation zu Generation unverändert weitergegeben. Rechtschreibreform hin oder her - Roß bleibt Roß, wenn sich ein Mensch dahinter verbirgt; das Pferd dagegen wird fortan "Ross" geschrieben.

Als Worte haben die Fossilien ihre Bedeutung, die sie alle mal hatten, längst verloren. Früher wusste jedes Kind, dass der Nonnenmacher Tiere kastrierte und der Wackernagel ein Halodri war, der wacker nagelte, und wenn das Kind griechisch war, wusste es sogar, dass Athanasius der Unsterbliche war. Heute muss uns das der Sprachwissenschaftler erklären. Was er gerne tut: Jeden Mittag knackt Jürgen Udolph, Deutschlands einziger Professor für Onomastik, mit Begeisterung auf Radio Eins das Rätsel, woher der Name eines Hörers kommt.

Frech wie Oskar

Echte Bedeutung hat diese Bedeutung nicht. Auch Maria und Sebastian sind nicht wegen ihrer christlichen Herkunft so populär, sondern wegen ihres Klangs. Der ist heute entscheidend, hat Wilfried Seibicke beobachtet, der alljährlich die beliebtesten Vornamen Deutschlands ermittelt und eine immer größere Vielfalt registriert. "Der Trieb, sein Kind durch einen wohlklingenden Namen zu adeln", allerdings ist alt, den hat schon Goethe gelobt: "Diese Verknüpfung einer eingebildeten Welt mit der Wirklichkeit verbreitet über das ganze Leben der Person einen anmutigen Schimmer."

Allerdings, glaubt Seibicke, denken die Eltern heute oft mehr an sich als die Kinder, nutzen den Namen als Instrument der Selbstdarstellung. Deswegen reden Vornamensbücher, die Bibel und Familienstammbücher als Ratgeber ersetzt haben, ihnen auch ins Gewissen: "Sie müssen sich darüber im Klaren sein, dass Ihr Kind ihn als unverwechselbares Charakteristikum sein Leben lang behalten wird; er prägt das Selbstverständnis und Selbstwertgefühl ebenso wie sein Ansehen bei den Menschen." Namen sind Emotionen - wie die heftigen Proteste gegen die Umbenennungen nach der Bezirksreform in Berlin zeigen.

Dabei sind Namen, als Begriffe ihrer ursprünglichen Bedeutung beraubt, nichts als leere Hüllen. Gerade das macht sie reizvoll - und gefährlich. Denn je nach Zeit, Ort und eigener Geschichte wird diese Hülle von jedem neu mit Assoziationen, Erinnerungen und Träumen gefüllt. Nehmen Sie Oskar zum Beispiel, Oskar klingt frech und rund, der eine denkt an die Blechtrommel, der andere an Lafontaine, der dritte an seinen blöden Onkel Oskar. Kaum hat die werdende Mutter erklärt, dass sie ihren Sohn Oskar nennen will, schreien die einen "Ih" und "Ah" die anderen.

Wie soll man einen einzigen - bestenfalls zwei, drei - Namen finden für jemanden, den man gar nicht kennt, der zum Nachnamen passt, zum Baby und zum Greis, zum Bäcker wie zum Manager, zum Melancholiker wie zum Clown? Fast alles können wir heutzutage selber (mit-)bestimmen, die Haarfarbe und den Partner, die Wohnung und den Arbeitsplatz. Nur der Name, der klebt ein Leben lang an uns. Ihn zu ändern, macht die Gesetzgebung fast unmöglich, es sei denn, man kann nachweisen, dass man als "Furz" zum Beispiel unerträglichem Spott ausgesetzt ist. Bei Vornamen setzen die Standesämter der Fantasie der Eltern von vornherein einen Riegel vor - zumindest muss es den Namen schon geben auf der Welt, das Geschlecht muss erkennbar sein, und er darf nicht so albern sein wie "Nivea Creme". Es geht immer um "den Widerspruch zwischen dem Wunsch nach Einzigartigkeit und der Sehnsucht nach einer Gemeinschaft", meint Alan Berliner, (dessen hinreißender Film über die Bedeutung von Namen, "The Sweetest Sound", gerade in den Kinos läuft). Die richtige Balance gilt es zu finden zwischen Individualität und Zugehörigkeitsgefühl, die sich schon in der Kombination von Vor- und Nachname ausdrückt, im Nennen nach (Groß-)Eltern und Heiligen. Jeder möchte gern was Besonderes sein, aber niemand ein Außenseiter. Bei Umfragen unter Schülern sind die besonders beliebt, die gängige Namen tragen.

Wer seinen Vornamen nicht mag, kann ihn hinter einem geheimnisvollen Initial verstecken - so wird aus Vidiadhar Surajprasad der Schriftsteller V.S. Naipaul - oder sich Spitznamen zulegen. Bei ungeliebten Nachnamen hilft nur eins: Heiraten, Auswandern oder Künstler werden. Denn denen wird die Freiheit gestattet, sich selbst neu zu erfinden. Während Armin Fick selber zusehen muss, wie er Karriere als Manager macht, kann Holger Mischwitzky sich Rosa von Praunheim nennen, Doris Kappelhoff als Doris Day berühmt werden. Manche Kritiker meinen, der Name Pipilotti Rist sei das beste Werk der erfolgreichen Künstlerin.

Dabei gibt es wohl kaum jemanden, der nicht einmal mit seinem Namen gehadert hätte. Auch Markus Ramseier ist "Markus" eigentlich zu gewöhnlich, die ursprüngliche Bedeutung - "der Kriegerische" - nicht nach seinem Geschmack. Manchmal nennt er sich darum Marco: "Als Marco bin ich mir näher, da bin ich leichter, verspielter, poetischer."

Wer hätte nicht als Teenager mit Fantasie-Namen und dazu passenden Rollen gespielt. Aber irgendwann ist es soweit: Dann verbittet Barbara den Eltern, sie Bärbel zu rufen, will Micki nur noch Michael sein. Sich mit seinem Namen anzufreunden, sagt die Hamburger Psychologin Angelika Faas, "ist Teil des Erwachsenwerdens. Das ist ein Unabhängigkeitsprozess: Die Jugendlichen geben ihrem Namen ein eigenes Gewicht. Das hat dann nichts mehr mit dem zu tun, was die Eltern sich unter dem Namen vorgestellt haben." Wer allerdings als 40-Jähriger noch immer richtig hadert, hat ein ernstes Problem. Der Name, hat Freud erklärt, ist Teil unserer Seele. Und wer will schon mit seiner eigenen Seele auf Kriegsfuß stehen. Bestürzt hat Markus Ramseier bei einem Namens-Seminar erlebt, wie hoch die Emotionen schlugen: "Da haben Leute geschrieen und getobt." Aber irgendwann haben auch sie sich beruhigt: "Man musste den Namen nur liebevoll aussprechen."

Rumpelstilzchen und die Juristen

Namen bedeuten Ohnmacht und Macht. Um die schon Rumpelstilzchen wusste - und die Juristen: Durch das deutsche Namensrecht von 1900 wurden Frauen gezwungen, bei der Heirat ihren eigenen Namen aufzugeben und den ihres Mannes anzunehmen. Erst seit 1994 darf jeder Ehepartner seinen Namen behalten.

Nicht, dass das eheliche Machtspiel damit ein Ende hätte. Vor allem Frauen, hat die Paartherapeutin Angelika Faas beobachtet, demonstrieren mit dem Gebrauch von Kosenamen in der Öffentlichkeit gern ihre Besitzansprüche: Der gehört (zu) mir. Aus dem gleichen Grund werden sie auch selber gern vor anderen als "Schatz" angeredet. "Männer haben das nicht so gerne." Auch die Wahl der Liebesworte ist aufschlussreich: Während Männer, so Faas, ihre Gattinnen gern kleiner machen - Rehlein, Mäuschen -, erhöhen Frauen ihre Gatten oft, zum klugen Tiger oder starken Bär. Die intime Anrede für den Hausgebrauch bietet Schutz à la Rumpelstilzchen: Wenn keiner weiß, wie ich ihn nenne, kann er mir nicht genommen werden.

Allerdings: Niemand hat so genau um die Macht der Namen gewusst und sie so perfide ausgespielt wie die Nazis. Sarah und Isaac, diese Namen wurden den Juden, ähnlich dem Stern, wie ein Brandmal verpasst. In den KZs wurden aus Individuen Nummern; mit den Namen wurde den Häftlingen der Anspruch auf Menschlichkeit genommen. Die ihnen heute in Gedenkveranstaltungen zurückgegeben wird: "Jeder Mensch hat einen Namen", hieß die Veranstaltung zum Holocaust-Gedenktag, bei der 30 Stunden lang 55000 Namen deportierter und ermordeter Juden verlesen wurden.

Auch die DDR wusste um die Magie der Namen. In den Stasi-Berichten wird "der K." bespitzelt, das "Element" oder die "Wildsau". Die IMs dagegen genossen künstlerische Freiheiten: In einem Land, in dem so vieles verboten war, durfte sich jeder seinen Decknamen selber aussuchen, da war Mercedes genauso wie Wartburg erlaubt. "Es war der einzige wirklich ideologiefreie Raum," meint Helmut Müller-Enbergs, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Gauckbehörde überspitzt.

Nannten die IMs sich in den 50er Jahren noch gern, stramm auf ideologischer Linie, Wilhelm, Karl und Rosa oder, auch sehr beliebt, einfach "Bleistift", musste die Stasi in den kritischeren 80er Jahren, so Müller-Enbergs, ihre Mitarbeiter pflegen, stärker auf die Persönlichkeit des Einzelnen eingehen, Ängste und Bedenken abbauen. "Für viele war das ein richtiges Lebenselixier: sich neu zu entdecken. So zu sein, wie man schon immer sein wollte." So nannte ein Student sich "Doktor", wurde ein Theologe "Bischof", ein Paar "Sigfried" und "Krimhild". Nur ein einziger Name war wirklich verboten: Judas. "Das hat die Stasi ihren Mitarbeitern ja gerade zu vermitteln versucht, dass sie keine Verräter sind, sondern Schaden abwenden von der Gesellschaft." So wurde der Deckname ein entscheidendes Instrument im schizophrenen Rollenspiel: "Ich ist ein anderer."

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