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© Youtube

Neue Single: Madonna stößt in neue Marketing-Sphären vor

Früher folgte die Veröffentlichung eines neuen Albums dem Prinzip der Premierenshow. Fans konnten einem festen Termin entgegenfiebern, an dem Künstler und Impresario den Schleier lüfteten. Seit viele Alben schon Wochen vor dem offiziellen Termin im Internet kursieren, setzt sich hingegen das Prinzip der Schnitzeljagd durch.

Im Dschungel aus Blogs und Videoportalen gehen die Fans auf Spurensuche, stöbern unveröffentlichte Songs und Videos auf und machen sie weiter verfügbar. Oft lässt sich nicht entscheiden, ob es nicht die Marketingabteilungen der Plattenfirmen selbst waren, die die Spuren ausgelegt haben. Immer mehr Künstler verstehen, dass es an ihnen ist, das neue Spiel mitzuspielen.

So auch Madonna. Am 25. April erscheint ihr neues Album „Hard Candy“, und die Popdiva bricht schon im Vorfeld alle geltenden Gesetze des Marketing. Am 18. April wird die neue Single „4 Minutes“ in die Läden kommen. Online ist das Stück, das schon im März als illegaler Radiomitschnitt die Runde machte, aber schon seit 17. März zu kaufen. Einzelne Medien kündigen für Montag großspurig die exklusive Premiere des zugehörigen Videos an. Und sehen damit etwas alt aus: Der Online-Shop iTunes bietet den Clip schon seit Donnerstag zum Kauf an; allerdings begrenzt auf 48 Stunden. Prompt landete eine Raubkopie im Videoportal Youtube. Am Freitag um 14 Uhr MESZ war sie allerdings wieder entfernt – aus Urheberrechtsgründen.

Das Internet hat eine globale Gleichzeitigkeit geschaffen, in der es um Minuten geht. Was könnte dafür ein besserer Soundtrack sein als der Song „4 Minutes“ selbst, eine Feier erotisch aufgeladener Hektik. „Got only four minutes“, brummelt Produzent Timbaland zu Beginn zwischen die sich emphatisch aufschwingenden Wogen aus Waldhorn-Synthies+. Im Video zeigt die Frau sich als ewig junges Girlie, das sich mit dem 22 Jahre jüngeren Pop-Liebling Justin Timberlake einen knisternden Flirt liefert. Verblüffend, wie Madonna, die im August 50 wird, dank Yoga und Botox nach wie vor eine derart umwerfende sexuelle Ausstrahlung entfachen kann. Das „Material Girl“, seit einem Vierteljahrhundert im Geschäft, zeigt keine Ermüdungserscheinungen als Göttin der Verführung. Im Gegenteil: Sie macht sich selbst zum Teil einer größeren Verführungskampagne, als sie das Popgeschäft je erlebt hat. Noch bevor „Hard Candy“ erscheint, hat sie bereits Millionen an Werbeeinnahmen eingefahren. So präsentierte die Shampoo-Firma Sunsilk „4 Minutes“ erstmals in einem Werbespot beim Superbowl, der Madonnas Frisuren aus all ihren Stilphasen versammelte. Star und Produkt vergrößern hier wechselseitig ihren Ruhm.

Madonnas Geschäftssinn kennt keine Schamgrenzen. Nicht nur, dass sie mit Timberlake und dem unschlagbaren Hit-Produzenten Timbaland, der mit seinem mythischen Clubsound in den letzten Jahren Künstler von Nelly Furtado bis Björk belieferte, zwei absolute Hipness-Garanten versammelt hat; über die Hälfte der Songs auf „Hard Candy“ hat sie an Firmen verkauft, wie der „Telegraph“ berichtet. Vodafone-Kunden werden eine Woche vor der Veröffentlichung exklusiv sieben Songs hören können. Damit ist Madonna Mitbegründerin eines neuen Trends: der Musikveröffentlichung über das Mobiltelefon. Es ist gerade Timbaland, der schon einen Schritt weiter ist: Im Laufe dieses Jahres veröffentlicht er monatlich einen frisch produzierten Track – direkt aus dem Tourbus auf die Handys der Fans. Das Prinzip Album löst sich auf. Dass Künstler ihre Songs für Werbung verkaufen, ist ein alter Trend. Neu ist allerdings, dass dies noch vor der Veröffentlichung geschieht. Was soll man davon halten – Madonna, deren „Confessions“-Tour 2006 die erfolgreichste einer weiblichen Künstlerin aller Zeiten war und deren Vermögen vom Magazin „Forbes“ auf 325 Millionen Dollar geschätzt wird, begibt sich auf den Gipfel des Ausverkaufs. Hat sie es nötig? Offensichtlich nicht. Und so muss man diese Geste möglicherweise selbst als künstlerische Aussage lesen: Madonna zeigt sich als die allersmarteste Verkäuferin. Sie treibt das Prinzip Kommerz auf die Spitze.

In Online-Foren zeigen viele Fans Befremdung ob des sich offensichtlich anbiedernden „4 Minutes“, in dem es im Grunde egal ist, ob die Stimme von Madonna oder etwa Britney Spears stammt. Dabei entgeht ihnen, dass Entlarvungsakte hier nicht ziehen. Fragen nach Glaubwürdigkeit prallen an dieser brachialen Inszenierung ab. Wie passend, dass es eine Frau namens Madonna ist, die diese Botschaft überbringt: Wenn Kunst und Geschäft eins werden, dann gibt es keine Schuld mehr. Nur noch Überbietung.

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