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Die Bürgerinitiativen aus Attaching und Berglern wollen ein Zeichen gegen die Pläne für die 3. Startbahn am Flughafen München setzen.

© Andrea Kern/BI Fahrenzhausen/dpa

Neue Startbahn in München: Attaching wehrt sich gegen die Flughafenerweiterung

Eine dritte Startbahn des Münchner Flughafens läge nur 500 Meter von der Ortschaft entfernt. Trotzdem will die Politik das Projekt.

Am Tor 030 des Flughafens München zeigt Helga Stieglmeier, was der Bau einer neuen Startbahn bedeuten würde. Ein hoher Drahtzaun versperrt den Airport, die Maschine donnert im Landeanflug in 80 Meter Höhe darüber. Es dröhnt und knallt ohrenbetäubend. „So wird das in Attaching sein“, sagt Stieglmeier, Sprecherin des Aktionsbündnisses „AufgeMUCkt“. „Leben wäre dort nicht mehr möglich.“

Das MUC im Namen des Bündnisses steht für den Flughafen München. Seit 15 Jahren wollen die Aktivisten hier die geplante dritte Start- und Landebahn verhindern. Seit Ende August kämpft dafür auch die neugegründete Bürgerinitiative Attaching. Das Dorf mit seinen 1000 Einwohnern rund 35 Kilometer nördlich von München ist zum Symbol für den Widerstand gegen die Erweiterung des Flughafens geworden. Es ist der Ort, der mit knapp 500 Metern am nächsten an einer künftigen dritten Startbahn liegt. Deshalb will Attaching kämpfen. Gleich am Ortseingang stößt man an einem Bolzplatz auf ein Transparent: „Papa, wo spielen wir, wenn die dritte Startbahn kommt?“ Es folgen viele weitere, alle mit der gleichen Botschaft.

Im Biergarten der Sportgaststätte Attaching sitzt Franz Spitzenberger, 64 Jahre alt, Vorsteher der Bürgerinitiative. „Die Dritte vernichtet uns“, sagt er. Schon jetzt muss er beim Gespräch immer wieder innehalten, weil die Flieger über dem Dorf dröhnen. Mit der „Dritten“ würde es täglich 400 Überflüge in 80 Metern Höhe geben. Im bayerischen Dialekt erzählt Spitzenberger von der Tradition des im Jahr 790 erstmals erwähnten Ortes. Dass es hier neben Sport- und Gesangverein auch die Schützen gibt, den König-Ludwig-, sowie den Krieger- und Soldatenverein. Und eben die Bürgerinitiative. All das ist in Gefahr.

Die Hälfte des Dorfes lebt im "Übernahmegebiet"

Die eine Hälfte des Dorfes – 400 Menschen in 100 Häusern – lebt im „Übernahmegebiet“. Sollte die Piste kommen, halten die Behörden es für unzumutbar, dort zu bleiben. Die Leute können Haus und Grund dann zu einem festgesetzten Preis an die Flughafen München GmbH, die den Airport betreibt, verkaufen. Es gilt der Bodenrichtwert von 2014. Die Menschen in der anderen Hälfte Attachings, die als nicht ganz so schwer belastet gilt, haben kein Angebot. Sie können bleiben, vermieten oder verkaufen. Aber wer will schon in der lautesten Einflugschneise wohnen? Nachdem der Flughafen München 1992 mit seinen zwei Start- und Landebahnen in Betrieb gegangen war, schnellte die Zahl der Passagiere und der Flüge nach oben. Schon bald wurde nach einer dritten Piste gerufen. 2016 hatte der Airport rund 42 Millionen Passagiere, es gab knapp 400.000 Starts und Landungen. Während die Zahl der Fluggäste immer weiter steigt, hat sich bei den Flugbewegungen seit 2005 kaum etwas geändert. Die CSU und Teile der Wirtschaft sprechen sich für eine dritte Startbahn aus. „Wir erweitern den Flughafen für die Zukunft Bayerns“, sagt etwa Erwin Huber, Vorsitzender des Landtags-Wirtschaftsausschusses und ehemaliger CSU-Chef.

„Mir geht es um den Klimaschutz“, sagt hingegen „AufgeMUCkt“-Sprecherin Helga Stieglmeier. Wegen des schädlichen CO-Ausstoßes „darf es kein weiteres Wachstum beim Flugverkehr geben“. Ähnlich sieht das Christine Margraf vom Bund Naturschutz (BN): „Es reicht uns mit dem Wachstum, gerade im boomenden Großraum München. Wie soll das denn weitergehen?“ Margraf hat die Gerichtsprozesse und Genehmigungsverfahren über Jahre hinweg begleitet. Das vorläufige Ende ist der trockene Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes: Die dritte Startbahn darf gebaut werden, im Genehmigungsverfahren ist alles korrekt abgelaufen. Das sah auch das Bundesverwaltungsgericht so. „Das Gericht lehnt es schlichtweg ab, auch über Klima- und Naturschutz zu verhandeln“, sagt Margraf.

Eventuell zweiter Bürgerentschied geplant

Ein Urgestein des Widerstands ist Hartmut Binner aus Freising, 79 Jahre alt, bis Juli 2016 Sprecher von „AufgeMUCkt“. 50 sonntägliche Schweigemärsche durch Freising hat er organisiert. 50 Mal startete der Protest an der evangelischen Christi-Himmelfahrtskirche. Und einmal, sagt er, da hatten sie tatsächlich große Hoffnung, dass sie etwas bewirken können. Nach seinem Besuch in Attaching Ende Oktober 2015 stellte sich Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) an den Sportplatz, wo sich 2500 Menschen drängten. „Eure Argumente sind stark“, hatte er gesagt. Die Notwendigkeit einer dritten Startbahn ergebe sich nicht. Zwei Jahre später scheint das vergessen. „Wir wollen die dritte Startbahn“, sagte Seehofer Ende Mai dieses Jahres vor Wirtschaftsvertretern.

Der Bürgerentscheid in München im Juni 2012, bei dem 54,4 Prozent der Bevölkerung die Startbahn ablehnten, war nur ein Jahr lang gültig. Die Landeshauptstadt ist mit 23 Prozent am Flughafen beteiligt, 51 Prozent gehören dem Freistaat Bayern, 26 Prozent dem Bund. Nun herrscht eine Art Patt: Flughafen-Befürworter drängen die Stadt München, vom Ergebnis des Bürgerentscheids abzuweichen. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) erwägt ein neues Votum im Frühjahr 2018. Auf Tricksereien, etwa dass die Stadt ihre Anteile abgibt, will er sich nicht einlassen.

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