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Panorama: "Nichts entschuldigen"

Der Mörder der zehnjährigen Kim äußert sich vor GerichtVON HEINRICH THIES OLDENBURG."Ich bin normalerweise ein sehr friedlicher Mensch und kann niemandem etwas zuleide tun - wenn ich nicht gerade in dem Bewußtseinszustand bin, in dem diese schrecklichen Dinge geschehen.

Der Mörder der zehnjährigen Kim äußert sich vor GerichtVON HEINRICH THIES OLDENBURG."Ich bin normalerweise ein sehr friedlicher Mensch und kann niemandem etwas zuleide tun - wenn ich nicht gerade in dem Bewußtseinszustand bin, in dem diese schrecklichen Dinge geschehen." Ein Mann analysiert sich selbst.Die Haare sind adrett zum Mittelscheitel gekämmmt, der Angeklagte in seiner blauen Strickweste wirkt wie der nette Junge von nebenan, schmalgesichtig und smart.Doch die Augen sind voller Scham und Trauer.Immer wieder bricht der Angeklagte in Tränen aus, während er in ruhigem Ton seine Lebensgeschichte erzählt, die den Tod zweier Mädchen einschließt.Auftakt im Mordprozeß gegen Rolf Diesterweg vor dem Landgericht Oldenburg.Der Angeklagte wird beschuldigt, am 9.Januar dieses Jahres die zehn Jahre alte Kim Kerkow aus Varel entführt, mißbraucht und erdrosselt und vorher einen Jungen sexuell mißhandelt und mit Elektroschocks gequält sowie einen weiteren entführt zu haben.Vor dem Landgericht drängen sich die Fernsehteams und Fotografen.Die "Inititiative Kim" aus Varel und andere Gruppen gegen sexuellen Mißbrauch lassen 350 schwarze Luftballons steigen."Täterschutz schafft neue Opfer" steht auf den Transparenten und "Strafe statt Therapie".Daß der Prozeß gegen Diesterweg die Gemüter derart aufwühlt, liegt nicht zuletzt daran, daß der Angeklagte mit 16 Jahren schon einmal ein Mädchen erdrosselt hat, zu einer Jugendstrafe verurteilt wurde und schon nach dreieinhalb Jahren wieder freikam.Die Eltern dieses Mädchens, Hans und Hanna Meyer, sind jetzt nach Oldenburg gekommen, um erstmals zu erfahren, wie es dazu gekommen ist, daß ihr Kind sterben mußte.1981 waren sie dem Prozeß ferngeblieben, der Diesterweg gemacht worden war. Diesterweg beging einen zweiten Mord.In der Pension seiner Eltern erdrosselte er die kleine Kim mit ihrem Schal, nachdem er sie zuvor an Händen und Füßen gefesselt, eingesperrt und sexuell mißbraucht hatte.Wäre es nach seinem Verteidiger Reinhard Nollmann gegangen, hätte das Gericht den Fall unter Ausschluß der Öffentlichkeit verhandelt.Auch der Staatsanwalt und der Vertreter der Nebenklage schlossen sich dem an.Das Gericht entschied anders: Nur wenn Einzelheiten der Taten und das Sexualleben des Angeklagten erörtert werden, soll das Publikum draußen bleiben. Die Lebensgeschichte Diesterwegs dagegen läßt der Vorsitzende Richter Rolf Otterbein öffentlich ausbreiten: "Der Angeklagte hat sich ja selbst schon an Presse und Fernsehen gewandt, um sich zu äußern." Eine Ermahnung muß sich der Stiefvater Kim Kerkows gefallen lassen, der als Nebenkläger auftritt.Gemeinsam mit dem Vater der ebenfalls ermordeten Natalie war er nach Horumersiel zur Pension der Eltern Diesterwegs gefahren.Dort soll er massiv den Vater des Angeklagten angegangen sein.Der Anwalt des Nebenklägers bittet das Gericht um Verständnis und verweist auf einen Brief, den Diesterwegs Familie an Kims Eltern geschrieben habe."Sicherlich hat Gott die Macht, ein solches Unglück zu verhindern", heißt es darin."Daß er es nicht tut, muß einen Sinn haben, auch wenn es für uns schwer zu verstehen ist." Schwer verständlich sind offenbar auch dem Angeklagten seine Taten."Ich möchte erst mal sagen, daß ich sehr durcheinander bin.Deshalb kann ich immer noch nicht begreifen, was ich getan habe", leitet Diesterweg seine Lebensbilanz ein."Ich möchte meine Taten nicht damit entschuldigen, daß ich eine schwere Kindheit hatte", beteuert er, führt dann aber doch Erfahrungen an, die ihn als Opfer darstellen sollen.Besonders habe er darunter gelitten, daß seine Mutter ihn im Alter von vier Jahren für einige Wochen in einem Heim untergebracht habe, weil sie mit der Erziehung ihrer vier Kinder überfordert gewesen sei."Da ist es sehr schlimm zugegangen.Die Kinder mußten ihr Erbrochenes wieder vom Boden auflecken." Für Diesterweg ein "sehr, sehr traumatisches Erlebnis", wie er im Psychologenjargon feststellt."Seitdem fühlte ich mich von meiner Mutter ungeliebt." Nie habe er ein Gefühl von Geborgenheit gegenüber seinen Eltern aufbauen können.Immer wieder habe seine Mutter auf ihn eingeprügelt, erzählt er bedrückt."Und wenn ich dann nackt über ihren Knien lag, dann habe ich tiefen, tiefen Haß empfunden." Sein Vater habe ihn dagegen mehr mit Worten gequält, berichtet Diesterweg.

HEINRICH THIES

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