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Nadja Benaissa nach der Urteilsverkündung.

© dpa

No-Angels-Sängerin: Bewährungsstrafe für Nadja Benaissa

Die No-Angels-Sängerin Nadja Benaissa ist wegen Ansteckung eines Partners mit HIV zu 24 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden. Zuvor hatte sie in ihrem Schlusswort Einsicht gezeigt.

Noch ein Mal muss sie das Blitzlichtgewitter über sich ergehen lassen, als sie an diesem letzten Prozesstag den Sitzungssaal des Darmstädter Amtsgerichts betritt. Es ist Punkt 13 Uhr, die No-Angels-Sängerin Nadja Benaissa trägt ihr lockiges Haar offen, eine schwarze Bluse, Jeans. Stumm und mit starrem Blick erträgt sie es, noch einmal als Täterin abgelichtet zu werden, als eine Frau, die einen Mann beim Sex mit dem HI-Virus infiziert und mit zwei anderen Männern ungeschützen Sex gehabt haben soll – obwohl sie zum damaligen Zeitpunkt schon lange von ihrer Erkrankung wusste. Die Fotografen und Kameraleute ziehen sich zurück, der Richter Dennis Wacker betritt den Saal. Zwei Jahre Freiheitsstrafe lautet das Urteil. Der entscheidende Zusatz: „Die Strafe wird zur Bewährung ausgesetzt.“ Zudem muss die Sängerin 300 Stunden gemeinnützige Arbeit in einer Einrichtung für an Aids erkrankte Menschen ableisten und sich einer ambulanten psychotherapeutischen Behandlung unterziehen, um weiter aufzuarbeiten, was geschehen ist.

Regungslos und mit verschränkten Armen nimmt die 28-Jährige den Richterspruch zur Kenntnis. Zu diesem Zeitpunkt wirkt sie noch gefasst. Eine Überraschung ist das Urteil nicht, waren sich doch Anklage und Verteidigung am Vortag bereits großteils einig über dieses Strafmaß. Dann beginnt der Richter noch einmal, ihr Leben im Schnelldurchlauf zu rekapitulieren: Geboren im April 1982 in Frankfurt am Main als Tochter eines Marokkaners und einer Deutschen, gutbürgerliches Haus, anfangs eine gute Schülerin. Dann der Absturz, Drogensucht mit 14, Mutter mit 17, ein Jahr später die No Angels, deren Auflösung, Benaissas Solokarriere. Und natürlich noch einmal ihre sexuellen Beziehungen, die sie in den vor Gericht entscheidenden Jahren 1999 bis 2004 gehabt hat, die Jahre in denen die HIV-positive Sängerin wegen guter körperlicher Verfassung „keine die Viruslast senkenden Medikamente“ einnahm, wie der Richter erklärt. Manche ihrer damaligen Partner hat sie über ihre Krankheit aufgeklärt und peinlich auf Verhütung geachtet. „Sie ging mit ihrer Krankheit verantwortungsvoll um“, bescheinigte ihr Anfang der Woche ein in den Zeugenstand geladener Exfreund vor Gericht. Bei drei Männern unterblieb jedoch die Aufklärung über ihren Gesundheitszustand und das Kondom blieb während des Aktes in der Nachtischschublade. Einer davon, der 34-jährige Nebenkläger im Prozess, hat sich bei Benaissa angesteckt – ein virologisches Gutachten, das am Mittwoch vor Gericht präsentiert wurde, lässt daran keinen Zweifel.

Als der Richter nach einer knappen halben Stunde von den Ängsten, dem Schock und der Enttäuschung des Nebenklägers spricht und davon, dass nicht nachvollziehbar sei, warum sie die Krankheit gerade bei diesen drei Männern verdrängt habe, bröckelt die Fassade der Stärke bei Nadja Benaissa. Ihre Lippen sind geschürzt, sie senkt den Blick. Es folgen Tränen, sie schirmt ihr Gesicht mit der rechten Hand ab. Wenig später bringt ihr ein Saaldiener eine Packung Taschentücher. Der Richter trägt weiter vor. Benaissa schüttelt immer wieder ganz leicht den Kopf, was jedoch nicht so wirkt als ob sie anzweifelt, was sie da gerade hört, sondern eher dass sie selbst nicht verstehen kann, warum sie damals so gehandelt hat. Als der Richter in Bezug auf die Strafzumessung juristisch diffizil erklärt, warum in Benaissas Fall allgemeines Strafrecht und kein Jugendstrafrecht anzuwenden war, greift die Sängerin zum dritten Taschentuch. „Zugunsten der Angeklagten hat sich ausgewirkt, dass sie ihr Fehlverhalten zugegeben hat“, fährt er fort. Zudem habe die Sängerin die Möglichkeit, dass sich der Nebenkläger bei ihr angesteckt haben könnte, nie ausgeschlossen. Ausdrücklich erwähnt der Richter auch, dass jeder Partner beim Geschlechtsverkehr Verantwortung dafür trage, sich und den anderen zu schützen. Dies enthebe die Angeklagte zwar nicht aus der Verantwortung, müsse aber berücksichtigt werden. Dass die Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann, begründet der Richter mit den besonderen persönlichen Umständen, die bei Benaissa vorlägen. „Die Angeklagte hat gelernt, offen mit ihrer Erkrankung umzugehen und Verantwortung zu übernehmen“, sagt der Richter. Als er ihr daher nach einer knappen Stunde „eine günstige Zukunftsprognose“ attestiert, hat die 28-Jährige den Kopf aufgestützt, schirmt ihr Gesicht mit der Rechten ab und knetet Taschentuch Nummer vier in der Linken. Um 14 Uhr resümiert der Richter, dass das Verfahren gezeigt habe, dass nur Offenheit im Umgang mit dem Thema Aids, Fälle wie den vorliegenden vermeiden könne. Durch den Prozess habe keine Stigmatisierung von HIV-Infizierten hergestellt werden sollen, sagt er. „Es ging um das menschliche Versagen einer einzelnen Person.“ Nadja Benaissa atmet tief ein, blickt in die Ferne und nickt.

Alexander Günzler

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