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Panorama: Noch immer Anlaß für Spekulationen

Den Qumran-Rollen haftet Mysteriöses an / Höhlenbesichtigungen und Ausstellungen 50 Jahre nach dem Fund MÜNCHEN/JERUSALEM (KNA/rtr).Als ein junger Beduine vor 50 Jahren in der Nähe des Toten Meeres nach einem entlaufenen Schaf suchte, konnte er nicht wissen, daß er etwas viel Wertvolleres finden würde.

Den Qumran-Rollen haftet Mysteriöses an / Höhlenbesichtigungen und Ausstellungen 50 Jahre nach dem Fund MÜNCHEN/JERUSALEM (KNA/rtr).Als ein junger Beduine vor 50 Jahren in der Nähe des Toten Meeres nach einem entlaufenen Schaf suchte, konnte er nicht wissen, daß er etwas viel Wertvolleres finden würde.Die von ihm in einer Wüstenhöhle entdeckten Schriftrollen sind einer der sensationellsten und rätselhaftesten Funde.Diesem Schatz, den Qumran-Rollen, haftet auch jetzt noch etwas Mysteriöses und Geheimnisvolles an.Einige Inhalte, die angeblich christliche Parallelen aufweisen, gaben fortwährend Nahrung für Spekulationen.Auf einer Tagung der Katholischen Akademie in Bayern am Wochenende in München zur Bilanz von 50 Jahren Forschungsgeschichte machten Qumran-Experten deutlich: Etwas Sensationelles, das die Geschichte des Christentums umstülpen würde, kann ausgeschlossen werden.Sicher ist, daß die Qumran-Rollen ein einzigartiges und neues Bild über das Judentum jener Zeit des zweiten Jahrhunderts vor Christus bis ins erste Jahrhundert nach Christus ergeben.Allein die Materialfülle der Pergamentrollen, an denen ganze Forschergenerationen fieberhaft arbeiten, ist enorm.Von den 900 auf dünne Lederbögen geschriebenen Texten sind neun mit mehr als der Hälfte ihres ursprünglichen Umfangs vorhanden.660 der Handschriften sind für die Wissenschaft aufschlußreich. In rund 14 000 Publikationen haben sich Wissenschaftler inzwischen mit den Problemen von Qumran auseinandergesetzt.Und doch ist die Liste dessen, was Forscher heute mit Sicherheit über die Texte wissen, kürzer als die der noch offenen Fragen, wie der Jerusalemer Bibelwissenschaftler Shemaryahu Talmon deutlich machte. Weitgehend einig sind sich die Wissenschaftler auch darüber, daß die meisten Rollen aus vorchristlicher Zeit stammen.Das haben Radiokarbonanalysen an den Tierhäuten ergeben.Damit seien alle Theorien hinfällig, die die Qumran-Gemeinde mit dem Christentum identifizieren wollten, so Talmon.Auch dem Christentum ähnliche Vorstellungen erweisen sich bei näherem Hinsehen als nicht christlich.Das läßt den Schluß zu, daß die frühen Christen nicht einfach aus Qumran-Schriften kopiert haben, wie es sensationsheischende Bücher glauben machen wollen.Der Bonner Alttestamentler Heinz-Josef Fabry wies darauf hin, daß die in den Schriften erwähnten rituellen Waschungen der Qumraner zwar eine Art sakraler Akt der Reinigung gewesen seien, die aber jeder an sich selbst vollziehen konnte.Genau darin liege der Unterschied zur christlichen Taufe, die als Sakrament gespendet werde und einen Akt der Aufnahme in die neue Heilsgemeinschaft der Christusgläubigen darstelle.Auch die Vorstellung über den Messias im Christentum sei radikal anders als bei der Qumran-Gemeinde.Die Qumran-Leute müssen nach dem Kenntnisstand der Forscher eine Gruppe gewesen sein, die die Priesterschaft im Jerusalemer Tempel ablehnte und auch auf die Teilnahme am dortigen Tempelkult verzichtete.Grund dafür war vermutlich, daß die Qumraner gemäß den Vorgaben der alten Schriften dem Sonnenkalender folgten, während am Tempel die Feste nach dem ihrer Meinung nach nicht legitimen Mondkalender gefeiert wurden.Allerdings gehen die Meinungen über die Position der Gemeinde im Judentum unter den Qumran-Experten auseinander.Hier beginnt die lange Liste der Ungewißheiten über die Funde. Einige wollen die Qumran-Leute mit den "Essenern" gleichzusetzen.Diese waren eine vom offiziellen Judentum abgetrennte, sektenartige Gruppe der damaligen Zeit, die man nicht mit der Qumraner Gemeinde gleichsetzen könne, warnte Talmon.Die Qumran-Gruppe habe sich als "letzte legitime Gruppe im Bund mit dem Gott des Alten Testaments" verstanden und sei wohl die "Spitze einer breiten Bewegung im jüdischen Volk" gewesen.Daß das Judentum damals nicht wie bisher angenommen als homogenes Gemeinwesen bestand, und viel breitere Auslegungsmöglichkeiten der Thora kannte, belegen die Schriften Qumrans deutlich.Die Vielfältigkeit in der Auslegung der Thora bezeugt ein Schriftwechsel der Qumran-Leute mit dem Jerusalemer Hohepriester.Damit ist auch erstmals belegt, daß große Teile des von Jesus verkündigten Ethos ebenfalls in diesen vorhandenen Rahmen möglicher Auslegungen fällt.Die Qumran-Gruppe und das frühe Christentum befanden sich also lediglich in einer gemeinsamen geistigen Umgebung mit einer Vielfalt von Vorstellungen, die damals in der jüdischen Gesellschaft verbreitet gewesen sein müssen.Die Qumran-Rollen, so der Jerusalemer Wissenschaftler, spiegelten ein "geistig-religiöses Ferment" und eine Situation wider, in der alle Möglichkeiten offen standen.In dieser Zeit war noch offen, welche Interpretation des gemeinsamen biblischen Erbes die geistige Ausstattung der Zukunft bestimmen würde. Auch ein großes Publikum soll neue Auskünfte über die Qumranfunde erhalten.Israels Ministerium für Tourismus hat zum 50jährigen Jubiläum des Fundes zahlreiche Ausstellungen organisiert.In Qumran selbst können Besucher die kalten Höhlen besichtigen, in denen der Fund gemacht wurde.Außerdem sind die Überreste eine Steingebäudes zu sehen, in dem Mitglieder der Qumrangemeinde lebten und ihre Schriften verfaßten.

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