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Panorama: Nördlich, östlich, köstlich

Die Klimaerwärmung macht saure Tropfen edel – und jetzt pflanzen schon die Dänen Reben an

Es war ein Jahr mit schockierendem Wetter. Nach dem regnerischen, schneelosen Winter kam ein heißes Frühjahr. Anfang März leuchteten in Basel die Kirschblüten, Anfang Juni verblühte der Wein, schon Anfang Juli waren die ersten Blauburgundertrauben reif, und das neue Getreide füllte die Scheunen.

Klimakatastrophe? Treibhauseffekt? Mag sein: Diese Berichte stammen allerdings aus dem Jahr 1473, das neben 1540 als das heißeste des vergangenen Jahrtausends gilt. Große Weinjahre, theoretisch. Ob es damals tatsächlich einen nach heutigem Verständnis guten Wein gegeben hat, lässt sich nicht mehr nachprüfen. Doch man weiß zumindest, dass es schon um das Jahr 1000 in Mitteleuropa ein Klimaoptimum gab, das Weinbau auch in Ostpreußen, Pommern und Dänemark möglich machte. Um 1560 folgte ein Kältesprung zur so genannten „Kleinen Eiszeit", die den Wein aus diesen Regionen wieder vertrieb und bis etwa 1850 andauerte. Seit 1988 mehren sich die Zeichen für einen auffälligen Anstieg, freilich noch weit entfernt von den extremen Verhältnissen des Jahres 1473. Bringt uns diese Entwicklung in Kürze Cabernet Sauvignon vom Havelufer und dänischen Spitzen-Riesling? Darüber darf allenfalls vage spekuliert werden.

Mehr Alkoholgehalt durch Turbo-Hefe

Kein Zweifel: Die Eckdaten in der Entwicklung der Weinreben in Deutschland sind im Vergleich zum Durchschnitt der letzten 40 Jahre weit nach vorn gerutscht: Nach einer Untersuchung der Lehr- und Forschungsanstalt Neustadt sind es derzeit sieben Tage beim Rebaustrieb, zehn Tage bei der Blüte, zwölf bei der Traubenreife und 15 bei der Lese. Das hat den Charakter der Weine deutlich verändert. Der Riesling, die deutsche Leitrebe, tritt im Glas seltener in seiner früheren, charakteristisch schlanken Form auf, als säurebetonter, frischer Zechwein. Stattdessen dominieren ebenso wie in Österreich und dem Elsass Spät- und Auslesen mit 13 Grad Alkohol und mehr, andere Sorten aus der Burgunderfamilie schaffen es auf noch höhere Werte. In gleichem Maße dringen Reben aus dem Süden vor, die in Deutschland früher nahezu unbekannt waren, Cabernet Sauvignon, Merlot, Syrah; sogar die italienische Sangiovese wird in der von der Sonne begünstigten Pfalz schon angebaut.

Das steht im Einklang mit den Kundenwünschen und wird von experimentierfreudigen Winzern nicht ungern gesehen. Weniger erfreut sind sie über die Tatsache, dass aus dem Süden auch einige bisher nicht aufgetretene Schädlinge und Pilzkrankheiten angekommen sind und bestimmte Zikadenarten aus dem Mittelmeerraum plötzlich in deutschen Weingärten zirpen. Auch das Phänomen des „Sonnenbrands", der die Oberfläche ungeschützter Trauben schädigt, ist relativ neu in Deutschland.

Andererseits: Dies sind Phänomene, die mehr als eine Ursache haben. Der anscheinend immer weiter steigende Alkoholgehalt im Wein ist auch die Folge eines Geschmackswandels zum Trockenen, wie beispielsweise Ernst Büscher vom Deutschen Wein-Institut meint. Während die Gärung besonders süßer Moste früher bei einer natürlichen Restsüße stehenblieb, gibt es heute spezielle Reinzuchthefen, die mit jedem Most fertig werden – und damit unweigerlich auch den Alkoholgehalt nach oben treiben. Außerdem verstehen es die meisten jungen Winzer, die Qualität ihrer Produkte durch verstärkte Selektion zu steigern. Sie haben keine Probleme mehr damit, unreife Trauben schlicht wegzuwerfen – für ihre Väter eine unverzeihliche Sünde. Es entstanden so ab Ende der 80er Jahre (ein wohl zufälliges Zusammentreffen mit der Erwärmungstendenz) immer mehr trockene deutsche Weine, die mit ihrer Fülle in professionellen Verkostungen brillierten, ihre Erzeuger zu Stars machten und die Hoffnung nährten, endlich ein Mittel gegen die scheinbar übermächtige Konkurrenz aus Übersee in der Hand zu haben. Doch in diesen Ländern versucht man inzwischen vermehrt, dem traditionellen, eher schlanken europäischen Geschmacksbild nachzueifern… Kein Problem bisher, meint der südsteirische Erfolgswinzer Erich Polz, der die immer breiter werdenden österreichischen Monster-Weine mit Skepsis sieht: „Wir können das gut steuern, indem wir einfach mehr Blätter am Stock lassen und die Trauben so stärker beschatten."

Auch das Vordringen der international besonders gefragten roten Reben hat durchaus auch andere als klimatische Gründe: Der Konsument will sie, die Winzer wollen sie, und selbst die Weinbürokratie hat ihren Widerstand gegen die früher als „gebietsuntypisch" verbotenen Sorten längst aufgegeben – nun dürfen sie kommen und tun es auch Trollinger-Fans müssen dennoch nicht verzweifeln, denn auf den gut 100000 Hektar deutscher Rebfläche stehen bislang nur 154 Hektar Merlot und und 135 Hektar Cabernet Sauvignon. Und der weiße Chardonnay? Manch badischer Winzer hat sich seinen Bestand der Sorte nicht etwa neu angelegt, sondern erntet von alten Reben, die er gegenüber den Bürokraten früher verschämt als „Weißburgunder" deklariert hatte.

Das Ende des Zechweins

Wenn es also wärmer wird in den Weinbergen, ändern die Weine unweigerlich ihren Charakter. Mehr Wärme: Das bedeutet automatisch höhere Mostgewichte bei geringerer Säure, und das könnte auf lange Sicht das Ende des schlanken, erfrischenden Zechweins sein. Auch der traditionelle Eiswein hätte es schwer, da er Nächte mit Temperaturen unter minus sieben Grad im Dezember oder Januar benötigt. Ferner müssen sich die Winzer darauf einrichten, dass es weniger kontinuierlichen Regen geben wird, dafür mehr lokal begrenzte, extrem starke Wolkenbrüche, die von den Rebwurzeln nicht aufgenommen werden können. Es könnte sich als notwendig erweisen, auch in Deutschland Weinberge künstlich zu bewässern, wie es in der Neuen Welt, aber auch in vielen Anbaugebieten Österreichs längst üblich ist; die gewaltigen Überschwemmungen des Jahres 2002 wirken da wie eine ironische Pointe. Doch es bleibt strittig, ob dies nun der Beginn einer unumkehrbaren Entwicklung ist oder nur eine weitere Klimaepisode. Noch muss niemand in der Berliner Umgebung nach geeignetem Rebland suchen. Immerhin: Die Vereinigung dänischer Hobbywinzer boomt mit rund 500 Mitgliedern. Und der süffige Rote, den Jens Michael Gundersen nördlich von Kopenhagen keltert, hat schon internationales Aufsehen erregt.

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