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Pelikan in Not.

© AFP

Ölpest: Das große Sterben im Golf von Mexiko

Langsam wird deutlich, wie dramatisch sich die Ölpest auf die Tiere auswirkt – viele haben keine Chance, zu überleben.

Er sah die Gefahr nicht, die da unten, in seinen natürlichen Jagdgründen, wartete. Er tauchte wie immer im Sturzflug ein, von Hunger getrieben. Als er wieder auftauchte, war sein gesamter Körper von einer dicken schwarzen klebrigen Ölschicht überzogen. Verzweifelt schlug er mit den Flügeln, doch die trugen ihn nur noch wenige Meter. Immer wieder ging sein Schnabel ins Gefieder. Erfolglose Versuche, die fremde stinkende Masse zu entfernen.

So fanden Tierschützer vor wenigen Tagen den völlig erschöpften Braun-Pelikan in einer Bucht nahe Grand Isle. Todgeweiht wie Hunderte seiner Artgenossen, die bereits mit dem Öl der „Deepwater Horizon“ in Kontakt kamen. Rund 4000 Pelikane bevölkern die Marschen des Bundesstaates Louisiana, für den sie das Wappentier stellen. Vor 100 Jahren fast ausgerottet durch Jäger und Fischer und vor 40 Jahren Opfer eines Massensterbens durch DDT-verseuchten Fisch, zählen ihre überlebenden Kolonien nun – wie Fische, Schildkröten, Vögel und Delfine – zu jenen Opfern der Katastrophe, deren Leid meist nur in Statistiken auftaucht. Listen, die den Umfang der Tragödie nur in Bruchteilen erfassen können. 24 Delfine, 212 Seeschildkröten und über 400 Vögel sind dort seit dem 20. April aufgezählt – doch die Dunkelziffer dürfte weit höher sein. „Wer weiß schon, wie viele tote Tiere nie gefunden werden, nie mehr an die Meeresoberfläche kommen oder sterben, weil ihre Nahrungskette zerstört wird“, beschreibt Jay Holcomb vom „Wildlife Rehabilitation Center“ in Fort Jackson die Lage.

Holcomb und sieben Helfer führen dort, an der Südspitze des Mississippi- Deltas, einen Kampf, den Präsident Barack Obama als „unglaubliche Herausforderung“ charakterisiert. Schon nach dem Unglück der Exxon Valdez 1989 war Holcomb vor Ort in Alaska, behandelte rund um die Uhr und ein halbes Jahr lang ölverklebte Vögel. Es ist ein von BP bezahlter kräftezehrender Job, der Fingerspitzengefühl, Expertise und jede Menge Geduld verlangt, wie sich beim Reinigen des geretteten Pelikans von Grand Isle zeigt. „Wer zu schlecht dran ist und schwer atmet, weil bereits Öl inhaliert wurde, wird eingeschläfert“, sagt Tierärztin Erica Miller. Wer weiterleben darf, muss sich einem Baderitual aussetzen, das für das Tier höchsten Stress verursacht. Gut zwei Stunden lang wird geschrubbt – mit Pausen, damit das Tier nicht durch den Stress kollabiert. Erica Miller kontrolliert immer wieder die Atemfrequenz. Dann geht es in den Trockenraum, danach in ein Gehege mit Pool, wo bereits ein halbes Dutzend gereinigte Artgenossen warten. In sieben bis zehn Tagen wird man sie nach Florida fliegen und freilassen – in einem Gebiet, das bisher als sicher gilt. Es sei denn, die gewaltigen Ölschwaden werden, wie es Wissenschaftler befürchten, vom Golfstrom in Richtung Osten gezogen.

Das auf den ersten Blick nicht sichtbare Öl, aber auch das umstrittene – weil vermutlich für Organismen extrem schädliche – Dispersionsmittel Corexit 9500 lassen Experten wie Bob Love von der Fisch- und Wildbehörde Louisianas derzeit das Schlimmste fürchten: „Wir haben hier eine sehr, sehr ernste Situation.“ Auch, weil das Unglück die Lebensgewohnheiten der Tiere radikal verändert. „Die Haie und Delfine schwimmen bereits ganz hoch im Wasser und versuchen, dem tief liegenden Öl zu entkommen“, berichtet ein Kapitän. Andere Fischer haben bemerkt, dass ganze Fischschwärme plötzlich – offenbar ohne Orientierung – gegen den Rumpf ihrer Boote prallen. „Das“, sagen sie, „hat es hier noch nie gegeben.“

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