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Das Wasser ist trübe, aber es tritt kein Öl mehr aus.

© AFP

Ölpest: Die ganz große Glocke

Noch hält die neue Abdeckung über dem Bohrloch im Golf von Mexiko – ein Berliner Forscher bietet ein alternatives Verfahren an.

Die Abdichtkappe über dem Bohrloch im Golf von Mexiko hält dem Druck stand – bis jetzt. Es fließt kein Öl ins Meer. Ob es wirklich ein Erfolg ist, muss sich aber in den nächsten Tagen erweisen. Die Angst sitzt tief, dass die Abdeckung die Belastung über längere Zeit nicht aushält. „Bei einem Blowout, dem explosionsartigen Entweichen des Öls, zerreißt es ohne Weiteres auch Stahlrohre“, sagt Wilhelm Dominik, Professor für Explorationsgeologie an der TU Berlin. „Bisher sahen wir nur das Öl oben aus der Bohrung heraussprudeln, wie stark und bis in welche Tiefen das Bohrloch beschädigt ist, weiß keiner.“ Wenn nun eine Kappe fest oben aufsitzt, könnte das Öl – getrieben von seinem gewaltigen Druck – aus Rissen in der Bohrlochwand ins benachbarte Sediment gedrückt werden, fürchten die Experten. Dort würde es sich neue Wege suchen und nahe der verstopften Bohrung nach oben drängen und am Meeresgrund diffuse Ölaustritte bilden. Und die wären weitaus schwieriger in Griff zu kriegen als das klar abgegrenzte Rohr, mit dem die Fachleute schon jetzt zu kämpfen haben. Um dieses zusätzliche Problem zu umgehen, hat der Berliner Wissenschaftler eine andere Methode ersonnen, mit der die Havarie bekämpft werden kann. „Ich habe sie schon Anfang Mai an BP in Houston geschickt“, berichtet er. Aber das Interesse war verhalten. Immerhin bekam er jetzt eine Mitteilung, dass das Verfahren für künftige Vorhaben berücksichtigt werden soll. Dominik wäre es am liebsten, wenn der gegenwärtige Versuch der letzte wäre. Aber der Mann, der früher selbst in der Ölbranche vor der US-Küste gearbeitet hat, traut dem beschädigten Bohrloch in den kaum verfestigten Sandmassen nicht.

Deshalb setzt sein Konzept, das ebenfalls in die „Deckel-drauf“-Kategorie fällt, nicht auf einen kleinen Stopfen über dem Blowout-Preventer. Stattdessen soll eine größere Glocke eingesetzt werden, die das Bohrloch und den umgebenden Meeresgrund bedeckt.

„Vielleicht 20 mal 20 Meter, mit je einer Öffnung oben und an der Seite“, sagt Dominik. Zunächst soll sie oben offen sein, damit sie sich leichter absetzen lässt. Während dieser Arbeit würden weiterhin jede Sekunde um die 100 Liter Öl ins Meer strömen. Dann sollte die obere Öffnung langsam geschlossen werden und in gleichem Maße die seitliche geöffnet, über die mit Hilfe einer starken Pumpe das Öl-Wasser-Gemisch abgesaugt und über eine kurze Pipelinestrecke am Meeresboden entlang transportiert wird. „Auf einem Tankschiff müsste man noch mindestens eine weitere Pumpe installieren, um die Ölmengen über ein Steigrohr bis ans Tageslicht zu bringen“, sagt der Wissenschaftler. Auf der anderen Seite würde die Pumpleistung innerhalb der Glocke einen relativen Unterdruck erzeugen. So würde sie noch fester über dem Bohrloch sitzen. „Anders als beim jetzigen Verfahren müsste man keine Angst haben, dass der gewaltige Öldruck die Kappe wegdrückt oder Öl durch die beschädigte Bohrlochwand in den Meeresgrund entweicht“, erläutert er. Stattdessen werde es aus der Gefahrenzone regelrecht weggesaugt. Er habe das Prinzip mit anderen Fachleuten diskutiert, berichtet Dominik. Sie teilten seine Meinung. „Die Physik spricht dafür.“ Unabhängig davon, ob die derzeit getestete Variante erfolgreich sein wird, oder Dominiks oder eine ganz andere. Aus Sicht des TU-Wissenschaftlers wird es an der Bohrung noch für einige Monate Arbeit geben. „Die Entlastungsbohrungen, die zeitgleich vorangetrieben werden, sind ähnlich riskant wie die Hauptbohrung“, sagt er. „Auch dort besteht die Gefahr eines Blowouts.“ Deshalb müsse man rechtzeitig Havarietechnik bereitstellen, um ein Desaster wie bei der Deepwater Horizon zu vermeiden. Notwendig sind die Entlastungsbohrungen aber in jedem Fall, um rasch den Druck in der Lagerstätte zu verringern. Erst dann wird es gelingen, die havarierte Bohrung vollständig mit Zement zu verschließen.

Was die derzeitige Lage im Golf angeht, präsentiert sich BP optimistisch. BP-Vizechef Kent Wells sagte, die Experten des Energiekonzerns hätten die Ölquelle rund um die Uhr überwacht. Die Kameraaufnahmen von Unterwasserrobotern, akustische Sensoren sowie Temperaturmessungen am Bohrloch deuteten allesamt darauf hin, dass der Ölfluss gestoppt sei. Es seien „keine Anzeichen“ für einen Ölausfluss gefunden worden, sagte Wells. US-Krisenkoordinator Thad Allen sprach von „guten Neuigkeiten“. „Wir müssen aber aufpassen, dass wir keinen Schaden anrichten oder eine unumkehrbare Situation schaffen“, sagte er.

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