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Oktoberfest 2012: Ab Samstag heißt es wieder "O'zapft is"

Die Münchner wollen ihr gutes altes Oktoberfest zurückhaben. Australier, Holländer und Norddeutsche in bayerischen Trachten belagern seit vielen Jahren die Zelte – aber man ist ja tolerant. Am Samstag geht es wieder los.

Es gibt kein Entrinnen. Von Samstag an wird die häufigste Frage im Bekanntenkreis wieder lauten: „Und wards ihr scho auf der Wiesn?“ Zwei Wochen lang hat das Oktoberfest dann die Stadt München wieder voll im Griff, bis zum Abschluss am 7. Oktober. Die Einheimischen haben ein zwiespältiges Verhältnis zu dem als weltweit größtes Volksfest ausgerufenen Treiben im Angesicht der Bavaria-Statue auf der Theresienwiese. Es reicht von Staunen und Schaudern angesichts der einfallenden Touristenmassen bis hin zum verzehrenden Bedürfnis, selbst auch wieder mit dabei zu sein, wenn die Olympia-Achterbahn ihre Loopings fährt und im Bierzelt das „Fliegerlied“ aufgespielt wird, bei dem die Besucher den simplen Refrain lautstark mitgrölen.

Am Samstag um zwölf Uhr geht es beim Fassanstich für den Oberbürgermeister Christian Ude um noch mehr als in den vergangenen 17 Jahren seiner Amtszeit. Der SPD-Politiker zapft nun als Herausforderer von Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) an, dem er auch traditionell die erste Maß reichen wird. Da sollte es Ude schon wie bisher auch routiniert schaffen, das Fass mit zwei gezielten Schlägen anzuzapfen und dann sein „O’zapft is!“ in die Menge zu brüllen. Das Grummeln der Bevölkerung zieht derweil der neue Wiesn-Chef Dieter Reiter auf sich. Der Leiter des städtischen Wirtschaftsreferates und potenzielle Ude-Nachfolger will nämlich beim Festumzug durch die Stadt in der ersten Kutsche gleich hinter dem Münchner Kindl fahren – und damit noch vor Ude.

Unglaublich. Über solche Oktoberfest-Themen können die Münchner ausgiebig diskutieren. Es gibt viele Debatten. Die meisten sind nicht neu, und weil sie nicht neu sind und trotzdem immer wieder angefacht werden, sagt das etwas aus über das Verhältnis der Münchner zur Wiesn. Da wird wieder die gnadenlose Kommerzialisierung und Abzocke angeprangert. Der traditionelle „Verein gegen betrügerisches Einschenken“ misst nach, dass mancher Krug mit deutlich weniger als einem Liter Bier gefüllt ist. Immerhin: Bis zu 0,85 Liter gelten als noch tolerabel. Ist noch weniger drin, dann ist es Betrug.

Der Bierpreis ist ein Politikum.

Und dann der Bierpreis. Jahr für Jahr wird er zum Politikum. Diesmal ist er um 35 Cent auf nun durchschnittlich 9,35 Euro für die Maß gestiegen. Das ist ziemlich satt, findet auch der Münchner. Und die Bedienungen grämen sich, denn die meisten Gäste bezahlen zehn Euro, stimmt so. Das Trinkgeld fällt also geringer aus. Allerdings ist „Oktoberfest“ eines der bekanntesten deutschen Wörter auf der ganzen Welt. Das darf sich dann schon auch im Preis widerspiegeln, schließlich ist man nicht auf dem Dingolfinger Volksfest.

Das Münchner Bier an sich, so wird geklagt, ist auch nicht mehr das, was es einmal war. Vier der sechs im Stadtgebiet angesiedelten Brauereien, die ausschenken dürfen, sind längst im Besitz internationaler Getränkemultis. Doch ob Paulaner, Spaten oder Hofbräu – der folkloristische Auftrieb mit Bierrössern und alten Holzfässern bleibt der gleiche.

Sehen Sie aktuelle Bilder vom Oktoberfest 2012 in unserer Fotostrecke:

Mit einer Mischung aus Nichtbeachtung und Mitleid reagieren die Einheimischen auf gewisse Zustände. Morgens um neun Uhr sind die U-Bahn-Stationen schon von Australiern, Holländern oder Norddeutschen in voller bayerischer Tracht belagert, die später ein Augustiner-Bier nach dem anderen kippen. Pünktlich zur Öffnung werden sie die Festhallen stürmen und dort alsbald auf den Tischen tanzen. Die Anwohner um die Theresienwiese treffen oft auf Bierleichen im Hauseingang, Wildpinkler oder Leute, die mit noch anderen Dingen beschäftigt sind.

Doch da die Münchner tolerant sind und glauben, dass sie sowieso das Glück haben, in der schönsten Stadt der Welt zu leben, regt sich angesichts der Touristenhorden auch das Mitgefühl – die Menschen wollen ja vor allem dahin, wo es am schönsten ist. Nach München eben. Mit wohligem Schauder liest man im täglichen Polizeibericht über die neuesten Schlägereien, Maßkrugattacken und minderjährigen Alkoholleichen. Kaum mehr gruseln könnte es einen da beim „Schichtl“ auf der Wiesn, wenn er seine Enthauptungs-Show vorführt.

Und doch befällt die Einheimischen das Bedürfnis, diese einst von König Ludwig I. dem Volk „geschenkte“ Wiesn wieder zu ihrem Volksfest zu machen. Da gehören die schlecht eingeschenkten Maßn genauso dazu wie die aufgespießten Hähnchenbatterien am Grill und der Andrang vor den Zelten. Die ewig gleichen Fahrgeschäfte, die die Eltern schon kannten, und der Geruch von Bier, Schweiß und Urin in den vollgequetschten U-Bahnen.

Mehr als 60 Prozent der sieben Millionen Oktoberfestbesucher sind Münchner. Sie gehen nicht gerade am Wochenende abends, sondern lieber unter der Woche, wenn sie eher unter sich sind und die Kinder nicht ewig an der Geisterbahn anstehen müssen.

Wards ihr scho auf der Wiesn? Nein, aber wir gehen noch.

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