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Organisierte Kriminalität: Mafia mit begrenzter Macht

Die Mafia ist auch in Deutschland - aber nicht so stark, wie viele meinen. Auch für Experten ist die Lage unübersichtlich.

Nach Erkenntnissen der Ermittler handelt es sich im Mordfall von Duisburg um das Ergebnis einer Blutfehde zweier verfeindeter Clans aus dem italienischen Dorf San Luca. Die Clans gehören zu der kalabrischen Mafia-Gruppe 'Ndragheta, deren Mitglieder auch in Deutschland aktiv sind. Allerdings weist die jüngste Bluttat nicht auf ein generelles Erstarken der italienischen Mafia in Deutschland hin - diese Meinung vertritt Klaus von Lampe, Mafia-Experte an der FU Berlin. Klaus von Lampe arbeitet derzeit an einem EU-Forschungsprojekt über Organisierte Kriminalität. "Das Massaker von Duisburg war irrational. So ein spektakulärer Mordfall bringt die Polizei und die Öffentlichkeit auf die Barrikaden, und das will ich als Krimineller nicht", sagte von Lampe. Ein solches Blutbad sei schlecht für das Geschäft. "Wenn man in der Logik der Mafia denkt, ist es systemwidrig."

Daher sehe er in der Tat keinen Anhaltspunkt dafür, dass die italienische Mafia in Deutschland ihren Einflussbereich ausweiten möchte, sagte er dem Tagesspiegel. Die Morde hätten nur deshalb in Deutschland stattgefunden, weil die Mafiosi hierzulande keine derartig harte Strafverfolgung wie in Italien zu befürchten hätten. "Hierzulande gibt es keine mafiosen Strukturen wie in Italien." Die italienische Mafia habe keine soziale oder kulturelle Verankerung in Deutschland. "Es gibt kein Bedürfnis auf Seiten der wirtschaftlichen und politischen Eliten in Deutschland, sich mit solchen Leuten einzulassen." Die 'Ndraghenta sei allenfalls ein regionaler Machtfaktor "auf kleinem Niveau", der zudem mit anderen kriminellen Gruppen konkurrieren müsse. Ein bislang noch unveröffentlichter Lagebericht aus dem Bundeskriminalamt (BKA) zur organisierten Kriminalität weist auf einen leicht gestiegenen Einfluss der italienischen Mafia hin. Im Jahr 2006 hatten danach 15 kriminelle Gruppen Verbindungen zu den Mafia-Familien Cosa Nostra, Camorra, 'Ndragheta und Stidde. Im Jahr zuvor waren es noch 13 Gruppen gewesen.

Während diese Zahlen allenfalls einen zaghaften Aufwärtstrend andeuten, attestiert der Mafia-Experte und Buchautor Jürgen Roth der italienischen Mafia in Deutschland schon jetzt erheblichen Einfluss. Roth schätzt, dass in Deutschland rund 2000 bis 3000 Personen zum harten Kern der italienischen Mafiosi gehören, dazu kämen weitere Familienangehörige als Handlanger. Die kalabrische 'Ndrangheta, die für die Morde in Duisburg verantwortlich gemacht wird, schätzt Roth in Deutschland auf 1200 Mitglieder. In Nordrhein-Westfalen soll die 'Ndrangheta neben Duisburg auch in Essen und Dortmund aktiv sein. In Baden-Württemberg reiche der Einfluss der Mafiosi angeblich bis in hohe Politikerkreise. "Die starke Konzentration der Mafia in diesen Bundesländern hat damit zu tun, wie die Bundesrepublik seinerzeit die italienischen Gastarbeiter verteilt hat", sagte Roth dem Tagesspiegel. Heute sei die 'Ndrangheta vor allem in den Bereichen Geldwäsche und Drogenhandel aktiv.

Besonders der lukrative Kokain-Handel spült gewaltige Summen in die Kassen der Italiener. Im Jahr 2004 soll die 'Ndrangheta allein mit Kokain 22 Milliarden Euro umgesetzt haben, dazu rund fünf Milliarden mit Unternehmensbeteiligungen und vier Milliarden mit Schutzgelderpressungen. Investiert wird das Geld in den Bau von Restaurants und Hotels. In Ostdeutschland soll die 'Ndrangheta ganze Häuserblocks aufgekauft haben, wie der italienische Staatsanwalt Nicola Gratteri der "FAZ" sagte.

Ein Schwerpunkt der 'Ndrangheta im Osten wird in Leipzig vermutet. Schon im Juli hatte der Tagesspiegel aus Akten des sächsischen Landesamts für Verfassungsschutz berichtet. Dokumentiert werden darin Aktivitäten der 'Ndrangheta in Leipzig in Sachen Drogenhandel und Geldwäsche. Mafia-Experte Jürgen Roth bestätigte diesen Verdacht gestern: "In Leipzig betreiben die Clans Romeo und Nitra Immobiliengeschäfte und Restaurants, daneben ist übrigens auch Erfurt betroffen."

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) ist besorgt über die Entwicklungen. Der GdP-Vorsitzende Konrad Freiberg sagte: "Die Italiener tragen aber dafür Sorge, dass ihre Verbrechen nicht an die Öffentlichkeit kommen. Offene Schießereien sind selten." Auch Berlin sei ein wichtiges Zentrum der organisierten Kriminalität. Inwieweit dabei italienische Gruppen eine Rolle spielen, sei aber unklar.

Mafia-Experte Roth bestätigt, dass die Mafiosi ihre Konflikte meist nur untereinander austragen. "Der Deutsche bekommt im italienischen Restaurant eher eine Fischvergiftung als eine Kugel verpasst."

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