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Organspende: Entscheidung fürs Leben

Manche Eltern bereuen die Organspende ihrer Kinder. Das Entscheidung über die Organentnahme sollten Angehörige gar nicht treffen dürfen, fordert ein Verein.

„Es gibt Schlimmeres als den Tod“, meint Renate Focke aus Osterholz-Scharmbeck. Noch schlimmer als den Tod findet die 62-Jährige das Sterben von Organspendern: „Sie werden wehrlos auf den OP-Tisch geschnallt, ihnen werden bei lebendigem Leib die Organe herausgeschnitten.“ Die 67-jährige Gisela Meyer aus Bad Bodendorf teilt diese drastische Sichtweise: „Es ist ein menschenunwürdiges Sterben, ein Tod ohne Abschied.“ Die beiden Frauen sind Mütter, die ihr jugendliches Kind nach einem Unfall für eine Organspende freigegeben haben – und ihre Entscheidung inzwischen bereuen.

Sie sind nicht die Einzigen hier, die der Organspende kritisch gegenüberstehen. Vor allem betroffene Angehörige sind auf Einladung des Vereins KAO („Kritische Aufklärung über Organtransplantation“) nach Bonn gekommen, aber auch Personal aus Kliniken und Mitarbeiter aus Hospizen hat sich bei der Tagung versammelt. Als Experten geladen sind die, die schon vor zehn Jahren das Transplantationsgesetz kritisiert haben, darunter Linus Geisler, Internist und Sachverständiger für bioethische Fragen, und der Stuttgarter Kardiologe Paolo Bavastro. Einhellige Haltung der Tagungsteilnehmer: „Der Hirntod ist nicht der Tod des Menschen.“ Es ist eine Diskussion, die immer noch nicht verstummt ist und Mediziner wie Theologen beschäftigt: Wann ist der Mensch tot? Wenn das Gehirn ausfällt oder erst, wenn Herzschlag und Atmung aufgehört haben?

Das sind Fragen, über die die meisten Menschen kaum nachdenken. Nur eine Minderheit der Bundesbürger hat einen Organspendeausweis, gerade einmal 12 Prozent treffen zu Lebzeiten ihre Entscheidung. Die Konsequenz: In den meisten Fällen müssen Angehörige entscheiden, und das innerhalb weniger Stunden. Weniger als sechs Prozent aller Organspenden kommen, kritisiert die KAO, auf direkten Wunsch der Spender zustande. Die Last der Entscheidung liegt bei den Familien, und das findet die KAO unzumutbar: Menschen stünden beim Tod eines geliebten Angehörigen unter Schock. In dieser Situation verbiete sich die Frage nach einer Organentnahme eigentlich.

„Es ging schon über meine Kraft, dass mein Sohn im Sterben lag“, erzählt Renate Focke. Auch Gisela Meyer hat sich in dieser Situation überfordert gefühlt und hat nicht einmal glauben können, dass ihr Sohn tot sein sollte: „Wie schlafend lag er da. Zwar wurde er beatmet, doch er bewegte sich auf Berührung.“ Für Gisela Meyer war das unbegreiflich: „Ich hielt seine warme Hand und glaubte keinen Moment, dass er tot ist.“

Dieses Problem haben viele Angehörige, weiß man bei der Deutschen Stiftung für Organtransplantation: „Die intensivmedizinisch aufrechterhaltene Herzaktion und Körperwärme des hirntoten Patienten wird von vielen Angehörigen auf der Gefühlsebene als Lebenszeichen gedeutet.“ „Es war unerträglich“, erinnert sich Gisela Meyer. „Und dieser Druck: Wenn du dich nicht entscheidest, dann bist du auch noch schuld am Tod derer, die ein Organ brauchen.“ Sie stimmte also einer Organspende zu. Sie dachte, die Maschinen würden nun abgestellt. Dass eine Entnahme nur bei schlagendem Herzen möglich ist und ihr Sohn dabei beatmet werden musste, wusste sie nicht. Sie fragt sich, was er noch empfunden haben mag. In den Krankenhausunterlagen fand sie später, dass er eine Lokalanästhesie bekam: „Wenn er tot sein soll, wieso kriegt er dann eine Lokalanästhesie?“ Ein Albtraum. Sie schämt sich, fühlt sich schuldig: „Ich muss damit leben, mein Kind im Sterben verlassen zu haben.“

Die KAO will eine Gesetzesreform und plädiert für die enge Zustimmungsregelung: Nur erklärten Spendern sollen Organe entnommen werden, Angehörige sollen das nicht entscheiden dürfen. 16-Jährige können in Deutschland einen Organspendeausweis haben, schon 14-Jährige können widersprechen. „Menschen müssen wissen, worauf sie sich bei einer Organentnahme einlassen“, fordert die KAO. Ethische Themen dürften bei der Werbung für Organspenden nicht vernachlässigt werden.

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