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Panorama: Othello hat das Wort

Juli Zeh ist eine der gefragtesten jungen Autorinnen Deutschlands – jetzt lässt sie ihren Hund sprechen

Von Carsten Werner

Jetzt ist sie auch noch Tierschutzbotschafterin. Dieses Ehrenamt ist für Juli Zeh mit einem Stipendium im Tanzbärenpark Belitsa in Bulgarien verbunden: „Dort sind Tiere, die aus ihrem ziemlich qualvollen Leben als Tanzbär befreit und in einem artgerechten Lebensraum untergebracht wurden“, erzählt die 31-jährige Schriftstellerin. Ernannt wurde sie auf Sylt, im „Kunst-Raum“ der Sylt-Quelle – dort war sie gerade ein Jahr lang Inselschreiberin; auch dies ein Stipendium. Juli Zeh, eine der gefragtesten Autorinnen Deutschlands, ist viel unterwegs in diesen Tagen. Sie stellt in Lesungen ihre Bücher vor und mischt sich in die Politik ein. In ihrem Roman „Spieltrieb“ stellte die in Leipzig lebende Autorin „die Tradition der deutschen Schülertragödie auf den Kopf: Die Bestien sind nicht mehr die Lehrer, sondern die Schüler“, schrieb die „Zeit“. Es ist eine Geschichte, in der harmlose Schüler zu Terroristen werden, mitten in der Pubertät. Bis ihr Lehrer sich am Ende in einer Gewaltorgie rächt. Manchem Lehrer ist das wohl zu heikel, zu komplex, zu verstörend. Schüler und junge Studenten kommen trotzdem zu den Auftritten von Juli Zeh – oft so viele wie bei einer Pop-Combo. Werden die Plätze knapp, rückt Zeh ihr Stehpult zur Seite und bittet die Gäste neben sich auf die Bühne. Nach der Lesung plaudert sie geduldig übers Schreiben, gesteht ihre Liebe zu Metaphern: In ihrem Notebook hat sie eine „Metapherndatenbank“ angelegt – da speichert sie gute Sprachbilder für den späteren Gebrauch. Zum Glück habe sie aber einen guten Lektor, der ihr „die wildesten“ Exemplare dann wieder ausredet.

Das neueste Buch von Juli Zeh ist in der Literaturabteilung des Buchhandels schwer zu finden: Nach langem Suchen entdeckt man es bei den Geschenkartikeln – zwischen Comics, Postkarten und dem „kleinen Eisbär“: Zeh hat – als Ghostwriterin für ihren Hund Othello – ein „Kleines Konversationslexikon für Haushunde“ verfasst. Im Vorwort schreibt der: „Ich bin der Hund einer Schriftstellerin. Als solcher ist mir hinreichend bekannt, wie wichtig Sprache für die Geschöpfe auf unserem Planeten ist… Immerhin ernährt sie den Haushalt, in dem ich lebe.“ Andererseits: „Wer sprechen kann, hat Telephondienst. Wer sprechen kann, muss einkaufen gehen, die Post erledigen, sich entschuldigen und ohne Pause etwas lernen. Der Schweigende hingegen wird rundum bedient.“ Die menschliche Sprache nicht zu beherrschen, ist für Othello reine Existenzsicherung. Von A wie „Angstbeißer“ bis Z wie „Zeh, Juli“ gibt der Band „Hinweise für das Zusammenleben mit homo sapiens.“

Juli Zeh hat ihrem kleinen Verlag „Schöffling & Co.“ – für „spiegel online“ ist das „der Verlag, der maßgeblich Deutschlands literarische Zukunft bewegt“ – so eine kongeniale Brücke ins Programm geschrieben: Sichert der sein ambitioniertes Literaturprogramm mit überwiegend jungen Autoren doch auch durch besonders erfolgreiche Katzen-Kalender.

Juli Zeh hat das Schreiben am Deutschen Literaturinstitut Leipzig studiert. Gleichzeitig machte sie 1998 ihr erstes juristisches Staatsexamen und studierte und arbeitete bei den UN in New York und in Polen. Inzwischen promoviert sie im Völkerrecht.

Ihr erster Roman „Adler und Engel“ wurde in 25 Sprachen übersetzt und mit vielen Preisen ausgezeichnet. Danach fuhr sie – mit Othello – durchs vom Krieg zerstörte Bosnien, veröffentlichte 2002 die Reiseerzählung „Die Stille ist ein Geräusch“ – und ein juristisches Werk: „Recht auf Beitritt? Ansprüche von Kandidatenstaaten gegen die Europäische Union“. Dass sie sich politisch einmischt, ist für Zeh selbstverständlich. Sie hat sich Günter Grass angeschlossen und zur Wiederwahl von Rot-Grün aufgerufen: „Weil ich Gänsehaut kriege beim Gedanken an eine schwarz dominierte Regierung unter Frau Merkel.“ „Euer Sündenbock-Spiel nervt“, hatte sie andererseits im „Spiegel“ zum Höhepunkt der von Franz Müntefering begonnenen Kapitalismus-Debatte über „die zyklisch wiederkehrende Jammerei der Elterngeneration über den bösen Kapitalismus“ geschimpft.

Zurück zur Literatur: Juli Zeh bekommt demnächst wieder ein Stipendium, auf der Göteborger Buchmesse in zwei Wochen. Da wird ihr der erste Per-Olov-Enquist-Preis verliehen. Juli Zeh wird also weiter reisen. Wie Othello das findet? „Der findet das so mittel. Wenn er eine Kamera nur von Weitem sieht, legt er sich auf den Bauch und macht die Augen zu. Dadurch verwandelt er sich in einen konturlosen schwarzen Fleck, mit dem photographisch nichts mehr anzufangen ist.“

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