zum Hauptinhalt

Panorama: "Paella"-Krise: Die Pizza überrollt das spanische Nationalgericht

Spanien befindet sich in der Krise. In der "Paella"-Krise.

Spanien befindet sich in der Krise. In der "Paella"-Krise. Das köstliche Nationalgericht dieses stolzen Volkes, eben die Paella, ist auf bestem Wege, auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden. "Dies kommt dem Untergang eines Kulturgutes gleich", trauert ein Kommentator, der daran erinnert, dass die Paella doch immer "ein Stück Spaniens" gewesen sei. Dieses Stück wird der Nation nun aus dem Herz gerissen. Bedrängt, besiegt, auf den Müllplatz der spanischen Konsumgeschichte geschoben.

Der Konkurrent ist ausgerechnet die Pizza, diese untertassenähnliche, zuweilen auch gummiartige Hefeteigscheibe, die sich aus ihrem Heimatland Italien aufmachte, die Welt zu erobern. Die Spanier, die in vielen gesellschaftlichen Angelegenheiten oft noch hinter dem Mond leben, ja geradezu eine konservative Bastion Europas sind, aber sich begierig auf alles Neue stürzen, lechzen nach der Pizza, als wären ihnen in den letzten 25 Jahren verboten worden, dieses banale italienische Teig-Tomaten-Schinken-Käse-Gebäck zu sich zu nehmen.

Tatsache ist, dass die Drähte der sich in Spanien epidemieartig ausbreitenden Pizza-Restaurants Tag und Nacht heißglühen. Wer in Mallorca, Marbella oder Madrid über die Straße läuft, muss aufpassen, nicht von der Armee der motorisierten Pizzaausträger über den Haufen gefahren zu werden. Schuld an dieser kulturellen und kulinarischen Krise hat das spanische Fast-Food-Unternehmen "Telepizza", das mit seiner intelligenten Marketing-Strategie die Spanier buchstäblich verrückt macht: "In spätestens in einer halben Stunde steht die Pizza bei ihnen zu Hause auf dem Tisch", heißt es. Ein wegen Arbeitsüberlastung oft unerfüllbares Versprechen.

Der Einzug der Pizza verändert in Spanien Welten. Etwa in der Familie Marias. Früher kam in ihrer Familie einmal in der Woche Paella auf den Tisch. Die raffinierte Reispfanne, die mit Meeresfrüchten, Fleisch- oder Gemüsevarianten traditionsreich und zeitaufwendig zubereitet wurde. Nicht selten am Wochenende, stand oft der Vater mit der Kochmütze an der offenen Butan-Gasflamme, vor der riesigen Paellapfanne, die große Familie erwartungsvoll drum herum. "Jagen, Barbecue und Paellakochen - das ist Männersache", pflegte Marias Vater zu sagen, der aus diesem Ereignis stets ein Fest zu machen wußte.

Diese Zeiten sind vorbei. Marias Vater ist tot. Und die 35jährige Maria, die sich eines Full-Time-Jobs bei der Verwaltung Madrids erfreut, hat weder Zeit noch Lust, sich über eine Stunde lang an den Herd zu stellen, um die Paella-Tradition hochzuhalten. "Ich weiß auch gar nicht mehr, wie es geht", sagt sie und gibt im gleichen Atemzug zu, dass sie ohnehin nicht gut kochen kann. Übrigens eine Volkskrankheit der verwöhnten jungen spanischen Generation. "Wenn ich Freunde einlade, bestellen wir lieber Pizza", lautet das Motto allgemein. Es lebe das Fastfood - adios, Paella.

Dank der neuen Pizzasucht der Spanier avancierte das Unternehmen "Telepizza" zum absoluten Marktführer im gesamten Gastronomiesektor. Nicht einmal die amerikanischen Hamburgerbrater, für die Spanien ebenfalls eine Goldgrube ist, kommen da mit.

Die Pizzainvasion kam übrigens über den Umweg Amerika nach Spanien. Der Amerikaner Leopoldo Fernandez Pujals, in Kuba geboren und mit spanischen Großeltern, machte 1986 seinen ersten Pizzaladen in Madrid auf. Schon zehn Jahre später brachte er sein Milliardenunternehmen an die Börse. Heute hat "Telepizza" in acht Ländern fast 800 Filialen und 20 000 Mitarbeiter.

"Kolonialisierung", schimpfen die Paella-Verteidiger, die freilich übersehen, dass sich die Esskultur Spaniens im letzten Jahrzehnt nicht nur in Sachen Paella und Pizza radikal gewandelt hat. Fleisch, Würste, Pommes und andere fetthaltige Speisen sind auf dem Vormarsch. Gerichte mit Reis, Kartoffeln, Gemüse und Brot sind als "Arme-Leute-Essen" verpönt.

Durch das Ende des Paella-Zeitalters und den Einzug der Fastfood-Kultur dürfte sich auch die bisherige überdurchschnittliche Lebenserwartung dieses quirligen Volkes ändern. Mit den bekannten Folgen: 20 Prozent der Spanier haben heute Übergewicht, 13 Prozent gelten gar als fettleibig - Tendenz steigend.

Ralph Schulze

Zur Startseite