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Panorama: Papst-Attentäter: "Ich bin wie ein Ufo" - Ali Agca sieht im Vatikan die Feinde Gottes am Werk

Niemand kann Mehmet Ali Agca vorwerfen, ein langweiliger Zeitgenosse zu sein. "Schon wieder eine Agca-Show", überschrieben die türkischen Zeitungen am Dienstag ihre Berichte über den Auftritt des 42-jährigen Papst-Attentäters vor einem Istanbuler Gericht.

Niemand kann Mehmet Ali Agca vorwerfen, ein langweiliger Zeitgenosse zu sein. "Schon wieder eine Agca-Show", überschrieben die türkischen Zeitungen am Dienstag ihre Berichte über den Auftritt des 42-jährigen Papst-Attentäters vor einem Istanbuler Gericht. Trotz der Sommerhitze mit Turnschuhen, Jeans und blauem Pullover bekleidet, verwandelte Agca den Gerichtssaal in eine Bühne. Der Attentäter mit dem wirren Blick richtete wüste Vorwürfe gegen den Vatikan, den er als "Hauptquartier des Teufels" beschimpfte.

Gleichzeitig forderte er seinen "lieben Bruder" Papst Johannes Paul II. auf, sofort zurückzutreten und nach Polen zurückzukehren, um sich nicht länger dem Schlangennest des Vatikan aussetzen zu müssen. Was Agca mit seinen wilden Attacken bezweckte, blieb sein Geheimnis. Doch von einem Mann, der sich schon einmal als Jesus Christus ausgab, ist möglicherweise noch mehr zu erwarten.

Agca, der vor vier Wochen nach 19-jähriger Haft aus Italien an die Türkei ausgeliefert worden war, steht in Istanbul wegen zwei Raubüberfällen aus dem Jahr 1979 vor Gericht. Schon seinen ersten Gerichtstermin wenige Tage nach der Ankunft aus Italien hatte er zu einem öffentlichkeitswirksamen Auftritt genutzt. Bei seinem zweiten Gerichtstermin setzte er jetzt noch eins drauf.

Der Vatikan sei der "Feind Gottes und der Menschheit", rief Agca im Gerichtssaal. "Ich werde es dem Vatikanischen Imperium heimzahlen." Der Richter, der sich die Aufführung des Angeklagten nicht bieten lassen wollte, erteilte dem Papst-Attentäter einen Verweis und schimpfte, der Gerichtstermin sei schließlich keine Pressekonferenz. Doch Agca hatte vorgesorgt. Über seinen Anwalt ließ er eine handschriftlich verfasste Erklärung an die wartenden Journalisten verteilen, in denen er dem Heiligen Stuhl vorhielt, dem "Pfad des Teufels" zu folgen. Der Vatikan habe sich vieler Verbrechen schuldig gemacht und die so genannten Weissagungen von Fatima nachträglich verfälscht, weil dort die Gier der Kirche nach politischer und wirtschaftlicher Macht vorhergesagt worden sei; nach Angaben des Vatikan wurde in Fatima 1917 unter anderem Agcas Attentat auf den Papst prophezeit.

In seiner Erklärung hatte Agca auch einige Botschaften für die Christenheit parat. Seinen "protestantischen Brüdern" versprach er, das Werk Luthers und Calvins zu vollenden. Die Katholiken rief er auf, sich vom Vatikan abzuwenden, denn schließlich habe der Heilige Stuhl selbst das Attentat auf den Papst von 1981 organisiert - eben jenen Anschlag, für den Agca 19 Jahre hinter Gitter wanderte.

Wunderliche Aussagen aus dem Mund Agcas sind nichts Neues. Die italienischen Behörden trieb er in Verhören und vor Gericht mit immer neuen Darstellungen zu den Hintergründen des Papst-Attentates zur Weißglut. Mitunter gab er offen zu, dass sich seine Angaben widersprachen. Ein italienischer Staatsanwalt kam resigniert zu dem Schluss, Agca habe alle manipuliert: die Justiz, die Polizei, den Papst "und selbst den lieben Gott". Es spricht einiges dafür, dass die Ausfälle Agcas eher Teil eines Kalküls als Ausdruck geistiger Umnachtung sind. Denn bisher sind - auch wegen der ständig wechselnden Angaben Agcas - alle Versuche gescheitert, das Papst-Attentat restlos aufzuklären.

Agca selbst scheint sich jedenfalls als Unschuldslamm zu sehen. Ihm würden plötzlich Straftaten vorgeworfen, mit denen er nichts zu tun habe, beklagte er sich im Gerichtssaal. Sogar in Deutschland werde gegen ihn ermittelt - "dabei bin ich noch nicht einmal im Traum in Deutschland gewesen". Überall wolle man ihn gesehen haben, sagte der international wegen Raub und Mord gesuchte Mann: "Ich bin wie ein Ufo."

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