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Panorama: Parade des Todes

Panik, Schreie, Gedränge – am Ende sterben 15 Raver. Wie sich die Katastrophe von Duisburg ankündigte

Marc aus dem niederländischen Groningen steht unter Schock. Der 23-jährige Student stand etwa 50 Meter hinter dem Ort, an dem es zu der Panik kam. „Ich hörte so viele Schreie, waren soviele, bin dann einfach nur weg." Sarah hat gerade ihre Mutter beruhigt, die von der Tragödie gehört hatte. „Es geht mir gut, es geht mit gut", brüllt sie in den Hörer. Die Mutter der zierlichen 18-Jährigen aus Bochum hatte Angst um ihre Tochter, sie hatte sie zunächst vom Besuch der Loveparade abhalten wollen.

Überall klingeln Handys. Die besorgten Mütter und Väter und Freunde, die jetzt die Raver anrufen, machen sich nicht klar, dass sie damit möglicherweise eine weitere Panik auslösen könnten. Die Bässe der DJs hämmern unaufhörlich weiter, sie werden sogar noch lauter, sie müssen das tun, nicht auszudenken, was passiert, wenn jetzt 1,4 Millionen Menschen, eng konzentriert auf einem umzäunten Gelände, plötzlich alle anfangen, den Ort zu verlassen. Zehn Tote, 15 Tote, die meisten Raver auf dem Gelände haben zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht erfahren, was das ganze Land inzwischen weiß.

Es war der organisierte Alptraum. Wie kann man auf die Idee kommen, Hunderttausende Menschen durch einen engen Tunnel auf ein abgesperrtes Gelände zu führen? Der einzige Zugang – ein Tunnel? Schon früh wird es eng. Man musste die Nerven behalten, um in der Enge ruhig zu bleiben. Es gibt nur einen Eingang, wo das Sicherheitspersonal streng kontrolliert. Nur langsam füllt sich das Gelände, während von hinten Hunderttausende nachdrängen. Schon früh rufen einzelne Raver die Polizei an und weisen auf die Gefahr hin. Das berichtete der WDR in seiner Live-Berichterstattung. Offenbar passierte nichts auf diese Anrufe hin.

Wer früh da war, hatte noch Glück. Aber auch auf dem Gelände kommt es zu Zusammenballungen, es wird eng, Feuerwehr rückt an, um die Umzäunung zu durchschneiden, um Panik zu verhindern und die Menschen vom Gelände zu lassen.

Im Tunnel wird es derweil unerträglich. Wer nicht mittendrin ist, schafft es rückwärts noch raus. So wie Marc aus Groningen. Er steht unter Schock. Er ist mit dem Leben davongekommen.

Es hatte sich früh angebahnt, das Unglück. Von überall her, aus dem ganzen Ruhrgebiet, aus dem Rheinland, aus Westfalen, aus den nahen Niederlanden, überall da, wo die Loveparade noch eine magische Wirkung hat, strömen die Raver nach Duisburg. Mit der Bahn, die dafür auch noch mehrere Hundert Sonderwaggons eingesetzt hatte. Aber sie kommen auch mit Autos oder mit Nahverkehrsmitteln. Sie alle, Hunderttausende, kommen vom Bahnhof oder laufen am Bahnhof vorbei und müssen durch den Tunnel.

Schon auf dem Bahnhof verliert die Polizei die Kontrolle über die Menschenmassen. Es ist beängstigend. Wer selber in den Massen mitschwimmt, kann nicht anders als mitlaufen. Die Menschen bewegen sich über die offenen Gleise, die Bahnsteige können die Massen nicht mehr fassen, Bahn und Polizei müssen Züge noch vor dem Bahnhof anhalten, damit kein Unglück passiert. Viele Züge werden umgeleitet, fahren weiträumig an Duisburg vorbei, Menschen stranden plötzlich in Düsseldorf, das berichtet ein Tagesspiegel-Leser. Es ist nicht auszudenken, was passierte, wenn noch mehr Menschen in den Bahnhof Duisburg einfahren.

Es hat wohl niemand damit gerechnet, dass 1,4 Millionen Menschen zu dieser Love-Parade strömen würden. Das Modell Loveparade, es war ein bisschen aus der Mode gekommen. In Berlin wollte irgendwann niemand mehr etwas davon wissen. Alle dachten, das in Duisburg wird eine kleine überschaubare Veranstaltung, keine Parade mehr durch eine Großstadt, sondern eine Party auf einem alten Güterbahnhof, wo die Lautsprecherwagen um ein altes Gebäude gemütlich im Kreis fahren. Früher, im Tiergarten in Berlin, da tanzten die Raver auf einem weithin offenen Gelände. Auf der Straße des 17. Juni haben die Menschen links und rechts im Tiergarten viel Platz zum Ausweichen. Darauf wies am Samstag auch die Berliner Polizei hin. Auch der Zugang zum Tiergarten vom Bahnhof Zoo aus war offen.

Die Organisation der Loveparade in Duisburg lässt viele Fragen offen. Wie konnte so ein Konzept genehmigt werden? Warum gab es nur einen Zugang? Warum war alles schwer umzäunt? Irgendwie muss die Polizei schon vorher ein ungutes Gefühl gehabt haben. Warum sonst sperrte sie sicherheitshalber die neben dem Gelände verlaufende Autobahn, die A59? Als Sicherheitszone für solche Fälle? Aber warum durften die Leute dann nicht über die Autobahn auf das Gelände? Und warum hinderten Zäune die Menschen daran, auf die Autobahn zu kommen?

Es gibt ein Thema, das schon bei früheren Paraden akut war, aber in Duisburg spielt es eine noch größere Rolle. Es war auffallend, dass viele Raver schon am frühen Mittag betrunken waren. Es war auf dem Weg zum Gelände mehrfach zu sehen, dass sich Leute Pillen einwarfen. Ganz offen. Es gab Leute, die nicht nur ausgelassen waren, sondern auch feinnervig, man könnte sagen, angespannt, provozierbar. Aus nichtigem Anlass gab es plötzlich irgendwo Geschrei, eine Prügelei, der man ausweichen musste. Die Atmosphäre war gespalten. Da waren Friedliche, Fröhliche, und da waren Schwierige, auch Aggressive, Drängler.

Über alles legt sich eine tiefe Traurigkeit. Was als Fest der Liebe begonnen hat, endet in einem Desaster.

Gerd Schild[Duisburg]

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