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Panorama: Pein für den Peiniger

Stephanies Entführer unterbricht die Anklageverlesung und randaliert

Staatsanwältin Liane Pospischil kommt nicht weit. Gerade hat sie begonnen, mit erstaunlich ruhiger und klarer Stimme die Anklage zu verlesen. Im Saal 0.84 des Dresdner Landgerichts trägt sie die schlimmen Vorwürfe vor, die dem Angeklagten vorgehalten werden. Sie spricht davon, dass der Täter schon lange vorher den Plan geschmiedet hat, ein Mädchen zu entführen, in seine Wohnung zu verschleppen und dort zu missbrauchen. Sie sagt, dass der Angeklagte das spätere Opfer bereits sechs bis acht Wochen vor jenem Tag im Januar beobachtet hat. Dass er schließlich der damals 13-jährigen Stephanie am 11. Januar in Dresden Striesen auflauerte. Dass er sie in seinen Kastenwagen zerrte, einen roten Renault Rapid, dass er ihr den Mund zuhielt und drohte, sie umzubringen. Und wie er sie zwang in eine Kiste zu klettern, die er später in seine Wohnung trug.

Es ist still im Verhandlungssaal, sehr still, als sie davon redet, wie er die entführte Stephanie in seiner Wohnung knebelte mit einem Socken und Klebeband. Wie er das Mädchen, das in Todesangst war, nach seinem Namen fragte und nach seinem Alter, bevor er es erst einmal in dem Holzgefängnis zurückließ. Und wie er Stephanie später das erste Mal sexuell missbrauchte. „Er hat wiederholt und mehrfach damit gedroht, sie umzubringen, um den Widerstand zu brechen“, sagt Pospischil. „Er drohte damit, sie an die Hunde zu verfüttern oder am Bett festzuschließen und verhungern zu lassen.“

Weiter kommt die Staatsanwältin nicht mit der Schilderung des Grauens. Fünf Minuten hat sie geredet, als der Angeklagte plötzlich mit rotem Kopf aufspringt. Es sieht aus, als wolle der kleine untersetzte Mann mit dem türkisfarbenen Hemd und der Glatze weglaufen aus diesem Saal, in dem er sich für eines der schrecklichsten Sexualverbrechen verantworten muss, das bisher in einem deutschen Gerichtssaal verhandelt wurde. Es sieht so aus, als passe es ihm nicht, dass ihm der Prozess gemacht wird. Als passe es ihm nicht, dass die Öffentlichkeit zugegen ist, wenn seine Taten geschildert werden. Sein Verteidiger Andreas Boine hat zuvor versucht, die Öffentlichkeit bereits während der Verlesung der Anklageschrift auszuschließen. Er sagt, dass es in der Anklageschrift detailliert um sexuelle Details geht. Er spricht in diesem Zusammenhang von schutzwürdigen Interessen des Angeklagten, von einem Kern des Persönlichkeitsrechts und von einer unzumutbaren Belastung für seinen Mandanten. Genützt hat das nichts. Das Gericht unter Vorsitz von Richter Tom Maciejewski lehnt den Antrag ab. Die Konfrontation des Angeklagten mit den Tatvorwürfen sei auch in öffentlicher Sitzung nötig.

Es dauert eine Weile, bis die Beamten den randalierenden Mario M. in Handschellen in den Haftkeller abführen können. Er wehrt sich zunächst dagegen, dass man ihm Fesseln anlegt. Er bleibt nicht still stehen, zappelt herum. Erst als ihn die Beamten in den Schwitzkasten nehmen, ist der Spuk vorüber.

Gesagt hat der Angeklagte zunächst kein einziges Wort. Auch später, als der Prozess weitergeht und er wieder im Saal sitzt, nachdem er sich beruhigt hat, bleibt er zunächst stumm und schaut meist nach unten auf den Tisch.

In Pausen stellt er sich mit dem Gesicht zur Wand. Er will sich nicht konfrontieren lassen. Es sieht aber auch nicht so aus an diesem ersten Prozesstag, als tue dem Angeklagten irgendetwas wirklich leid. Grinsend hat er am Morgen den Gerichtssaal betreten. Später sieht man ihn lachend in einem Vorzimmer zum Saal stehen. Fast eine Stunde dauert es nach der Unterbrechung noch, bis die Staatsanwältin fertig ist mit der Verlesung, mit der Chronik des Grauens.

Anschließend bekam der Angeklagte, was er wollte. Die Öffentlichkeit wurde ausgeschlossen. Hinter verschlossenen Türen legte er schließlich im Gericht ein umfassendes Geständnis ab, so wie es vorher angekündigt war.

Der Angeklagte hatte einen Teil seiner Taten mit der Videokamera aufgenommen. Deshalb haben die Ermittler zeitweise auf die Minute genau aufgelistet, was er der Schülerin angetan hat. Wie er das Kind zwang, vor ihm zu posieren. Wie er es missbrauchte, mehrfach täglich. Wie er etwa am 13. Februar 15.36 Uhr begann, sie hintereinander mehrfach zu vergewaltigen. „Der Angeklagte hat Stephanie als eine Art Sexsklavin betrachtet“, sagt die Staatsanwältin. Erst nach 36 Tagen konnte Stephanie endlich befreit werden. Die Schülerin hatte bei nächtlichen Spaziergängen mit ihrem Peiniger heimlich geschriebene Zettel fallen lassen, Hilferufe auf Papier. Ein Passant fand einen der Zettel und alarmierte die Polizei. Stephanie hatte nicht nur Hilferufe geschrieben, sondern auch heimliche Nachrichten an ihre Eltern, an ihren Bruder und ihre Schildkröte Ami. Sie schrieb, dass sie sie noch einmal wiedersehen wolle. Und dass ihre Kraft zur Neige gehe.

Ob das Mädchen am Donnerstag als Zeugin vernommen werden wird, ist noch nicht sicher. Der Anwalt der Familie von Stephanie, die als Nebenklägerin auftritt, sagte, dass das Mädchen froh sei, dass der Prozess jetzt beginne. Sie und ihre Familie würden abgeschirmt. Bei ihrer Vernehmung werde sie den AngeklagteDem Angeklagten droht eine Freiheitsstrafe von 15 Jahren und anschließende Sicherungsverwahrung. Er war bereits einmal wegen Kindesmissbrauchs in Haft, aber wegen eines psychologischen Gutachtens vorzeitig entlassen worden.

Lars Rischke[Dresden]

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