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Peru

© AFP

Peru nach dem Beben: Zwischen Trauer und Chaos

Bei dem stärksten Erdbeben der vergangenen 50 Jahre sind mindestens 337 Menschen ums Leben gekommen. Zehntausende Menschen verbrachten die Nacht im Freien, zahlreiche Gebäude sind zerstört.

Tourist Sandro war noch Stunden nach dem Erdbeben außer Atem. "Der Himmel fiel uns auf den Kopf, es regnete plötzlich Betonstücke und Glassplitter", erzählt der 25- jährige Brasilianer, der sich gleich am ersten Tag seines Peru-Urlaubs in sein Büro in Rio zurücksehnte. Das verheerende Beben der Stärke 7,9 hatte am Mittwoch Peru erschüttert und mehr als 300 Todesopfer gefordert. Sandro und seine vier Reisebegleiter tauschten danach die weichen Betten im Viersterne-Hotel in Lima gegen das harte und nackte Straßenplaster. Wie die brasilianischen Touristen verbrachten zehntausende Menschen in Peru aus Angst vor neuen Erschütterungen die Nacht im Freien.

In Lima brach während des etwa zweiminütigen Bebens, das viele Menschen als "unendliche Folter" bezeichneten, ein Feuer in einem großen Einkaufszentrum aus. Mitten im Feierabendverkehr liefen Menschen schreiend und weinend aus Läden, Wohnungen und Bürogebäuden. Ein Fußballderby im Municipal-Stadion musste kurz vor Anpfiff abgesagt werden. Panik brach aus. Der internationale Flughafen wurde geschlossen.

Schlimmste Beben in Zentralperu: "dramatische Situation"

Noch schlimmer war die Tragödie im Departement Ica etwa 300 Kilometer südlich von Lima. Am schlimmsten betroffen waren nach ersten Erkenntnissen die Städte Ica, Pisco und Cañete. In Cañete irrten Mütter mit ihren kleinen Kindern, Männer mit Opfern auf ihren Schultern und weinende alte Menschen hilflos umher, berichtete das peruanische Fernsehen. Die Krankenhäuser seien stark beschädigt und völlig überfüllt. Patienten würden auch auf der Straße behandelt.

Ica und Pisco sind vor allem wegen ihrer paradiesischen Strände bekannt. Medien berichteten von einer "dramatischen Situation". Einige wenige Angehörige suchten mit Hilfe von Freiwilligen im Dunkel der Nacht die Trümmerfelder nach Überlebenden ab. In beiden Städten fiel der Strom aus. Das Gesundheitsministerium schickte eine Wagenkolonne mit Ärzten und Krankenschwestern in den Süden, da die ohnehin schwache Infrastruktur in beiden Städten zerstört war.

"Hier geht nichts mehr, die Straßen sind mit Leichen übersät"

In der 170.000-Einwohner-Provinzhauptstadt Ica, die unter anderem ein bekanntes Museum für präkolumbische Mumien und Kunst beherbergt, wurde nach Medienberichten unter anderem die bekannte Kirche "Del Señor de Luren" stark in Mitleidenschaft gezogen. Sie ist jedes Jahr zu Ostern und am dritten Montag im Oktober Ziel von Tausenden von Pilgern, die auf Wunder hoffen. Zur Aufnahme hunderter Menschen, die durch das Beben obdachlos wurden, öffnete der Bürgermeister von Ica für die Nacht das städtische Fußballstadion.

In Pisco brach eine Kirche während eines Gottesdienstes wie ein Kartenhaus über hunderten Gläubigen zusammen. "Hier geht nichts mehr, die Straßen sind mit Leichen übersät. Ich habe meine Schwiegermutter verloren, jede Familie hat Tote", sagte Alberto Pradinet. Die meisten der knapp 60.000 Einwohner seien aus Angst vor Nachbeben zur Übernachtung in Parks geflüchtet, berichteten Medien. Die Gemeinde sei zu 70 Prozent zerstört, sagte Bürgermeister José Mendoza unter Tränen. Man benötige alles - von Ärzten, über Decken, Medikamente und Krankenwagen bis hin zu Zelten.

Einige versuchen Profit aus der Notlage zu schlagen

Das Unglück wurde von einigen schamlos ausgenutzt. Medien berichteten, Busunternehmen hätten die Preise für Fahrten in die am stärksten betroffenen Gebiete erhöht, weil viele Menschen sich am Unglücksort über das Schicksal von Verwandten und Freunden informieren wollten. Dutzende Häftlinge brachen aus einem Gefängnis aus, als eine Mauer der Haftanstalt in Chincha einstürzte.

Während die Peruaner auf ein Ende der Nachbeben und auf Nachrichten über das genaue Ausmaß der Tragödie warteten, erinnerten sich viele an das Beben vom 31. Mai 1970. Die Erschütterungen hatten damals eine ähnliche Stärke wie das Hauptbeben vom Mittwoch, töteten aber knapp 70.000 Menschen. Das Beben gilt als das schwerste der Nachkriegszeit auf dem amerikanischen Kontinent. "Wir beten darum, dass alles nicht noch schlimmer kommt", sagte im Radio eine ältere Dame, die sich auf die Nachtruhe unter freiem Himmel vorbereitete.

Emilio Rappold[dpa]

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