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Peter Scholl-Latour.

© Mike Wolff

Interview mit Peter Scholl-Latour: "Ich verstehe mich gut mit Ganoven"

Im März hat Peter Scholl-Latour dem Tagesspiegel anlässlich seines 90. Geburtstags ein Interview gegeben, das großen Anklang bei den Lesern fand. Nun ist er gestorben. Lesen Sie hier noch einmal das Gespräch über Putin und die Krim, Martini Dry und durchgeschwitzte Matratzen.

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Herr Scholl-Latour, eigentlich mögen Sie keine Geburtstage. Nun sind Sie 90 geworden …

… und das habe ich gefeiert. Mein Verlag hat alles organisiert. Ich habe persönliche Bekannte eingeladen, und Helmut Schmidt hat sich bereit erklärt, ein Grußwort zu sprechen. Extrem liebenswürdig. Das ist man nicht so gewohnt bei ihm. Auch Angela Merkel hat mir einen sehr freundlichen Brief geschrieben. Dass sie meine Analysen schätzt.

Sie haben fast die ganze Welt bereist. Vor ein paar Jahren fehlten noch Ost-Timor und die Antarktis.

In die Antarktis habe ich inzwischen eine herrliche Schiffsreise unternommen, an Bord eines Eisbrechers mit einer ganz reizenden russischen Besatzung. Ich hatte einen Freund aus der ehemaligen DDR dabei, der perfekt Russisch sprach, nebenbei auch perfekt Mongolisch. Mit Schlauchbooten sind wir acht Meter an Seeleoparden und Wale herangefahren. In Ost-Timor fand ich es hochinteressant, wie tief die portugiesisch-katholische Prägung noch ist.

Jetzt haben Sie den Globus erledigt?

Vielleicht fehlen noch ein paar Riffe im Pazifik und ein paar kleine Inseln in der Karibik.

Sind Sie nach wie vor unterwegs?

Neulich war ich an der türkisch-syrischen Grenze. In Kürze werde ich nach N’Djamena aufbrechen, der Hauptstadt des Tschad. Ich bin lange nicht mehr dort gewesen, es hat sich alles total verändert. Das letzte Mal war es noch recht primitiv und chaotisch, jetzt gibt es ein Kempinski Fünf-Sterne-Hotel. Ich habe mit dem deutschen Botschafter telefoniert, der einen sehr netten Eindruck macht. Zu weit herumfahren werde ich nicht. Das alte deutsche Kamerun liegt gleich nebenan, da ist gerade jemand entführt worden.

Andere Leute in Ihrem Alter gehen auf Kreuzfahrt.

Habe ich auch mal gemacht. Ich hatte die Fahrt auf dem Bundespresseball gewonnen. Sie führte in die Ägäis, die kannte ich da noch nicht. Diese Veranstaltungen an Bord wie Captains Dinner waren der nackte Horror. Ich habe mit meiner damaligen Lebensgefährtin immer nur mit der Mannschaft zusammengesessen. Wir veranstalteten unsere Gelage in dem Raum, wo die Särge standen. Die Gäste auf Kreuzfahrten sind ja meist etwas älter, darauf hatten die sich vorsorglich eingestellt.

Was sagt Ihre Frau, wenn Sie nun in den Tschad fahren?

Sie akzeptiert das, was ich bewundere. Ich habe ihr gesagt: Hätte ich mich immer an die Vorsicht gehalten, die du verständlicherweise praktizierst, dann hätte ich mein Leben nicht führen können.

Begleitet sie Sie manchmal?

Ich habe sie in den Libanon mitgenommen und nach Zentralasien. Sie merkt halt nicht, wenn es gefährlich ist. Zum Beispiel in Georgien auf dem Rustaweli Prospekt: Auf der einen Seite stand die Partei Gamsachurdias und auf der anderen, ich glaube, das war schon die Partei Schewardnadses, mit Maschinengewehren. Da habe ich zu ihr gesagt: Wenn das hier anfängt, schmeiß dich sofort flach auf den Boden! Das hat sie gar nicht irritiert.

Im Moment schaut alle Welt auf die Krim. Wie verfolgen Sie das Geschehen dort, was sind Ihre Informationsquellen?

Ich bin selber eine Quelle. 70 Jahre bin ich aktiv, das war ein permanentes Studium. Abgesehen davon, dass ich einen Abschluss in Sciences Politiques in Paris habe. Als die Sudankrise hochkam, war von Stämmen im Süden die Rede, die sich bekriegen. Da wusste ich noch aus der Studienzeit, dass das die Dinka, die Schilluk und die Nuer sind. Auch die Ukraine kenne ich. Und was jetzt alles geschrieben wird, da stehen mir die Haare zu Berge.

Im Buch „Russland im Zangengriff“ von 2007 behaupten Sie, der Westen wolle Russland einkreisen. Der Investor George Soros und andere hätten die „Orange Revolution“ massiv finanziell unterstützt.

Ich weiß gar nicht, warum man Russland besiegen will. Es ist eine Groß-, aber keine Weltmacht mehr. Was soll der Quatsch? Wen will man denn an die Stelle von Putin setzen? Für die russischen Verhältnisse ist der sehr geeignet. Wir haben ja den Versuch der Demokratie dort erlebt unter Jelzin und dem in Deutschland so bewunderten Gorbatschow. Ich war damals in Moskau, so elend, arm und verkommen ist Russland nie gewesen.

Scholl-Latour über die Krise in der Ukraine und Edward Snowden

Peter Scholl-Latour.
Peter Scholl-Latour.

© Imago

Beim jetzigen Maidan-Aufstand sehen Sie wieder Europäer und Amerikaner als Hintermänner?

Da kann ich nur sagen: Fuck the EU! Jetzt reden sie nicht mehr nur von einer wirtschaftlichen Assoziierung der Ukraine, sondern von einem Beitritt. Rumänien und Bulgarien waren schon überflüssig, wir hätten an den Grenzen des alten Osmanischen Reiches Schluss machen sollen mit der Konstruktion Europas. Wenn die mal auf die Landkarte gucken würden! Ich war in der Ostukraine, bis zur russischen Grenze, da ist man noch 300 Kilometer von Stalingrad entfernt. Das sollte einem doch zu denken geben. Wenn Europa überleben will, muss es sich auf ein paar starke Staaten konzentrieren. Da die Engländer voll auf die Amerikaner ausgerichtet sind, gibt es drei Länder, die dafür infrage kommen: das sogenannte Weimarer Dreieck aus Deutschland, Frankreich, Polen.

Gerade die Polen unterstützen doch die Entwicklung in der Ukraine.

Sie haben 300 Jahre lang unter russischer Knute gestanden, da kann man ihnen das nicht übelnehmen. Was man von uns nicht behaupten kann. Im Gegenteil: Die Russen haben unter uns gelitten. Wäre ich Russe, hätte ich auch nicht gern die Amerikaner an meiner Südküste. Das ist eine strategische Position. Und da spielen die USA verrückt im Moment. Die führen den Kalten Krieg fort.

Es war Putin, der mit der Annexion der Krim das Völkerrecht gebrochen hat.

Die Amerikaner müssen vom Völkerrecht reden! Wer Leute mit Drohnen ermorden lässt! Die sind selber in genügend Länder einmarschiert. Und im Irak haben sie uns total angeschmiert. Putin hat hundertmal recht auf die Krim. Die Menschen dort sind prorussisch.

Besteht die Gefahr eines Kriegs?

Ernsthaft Krieg führen können die Amerikaner ja doch nicht. Seit Vietnam haben sie alles verloren. Und die EU? Ich bin oft in Afghanistan gewesen und habe die Bundeswehr aus der Nähe erlebt. Unter uns gesagt: Für die jetzige Form der Kriegsführung, für den asymmetrischen Krieg und die Counterinsurgency, ist sie nicht geeignet. Die Bundeswehr ist stehen geblieben bei den großen Abwehrschlachten in der norddeutschen Tiefebene.

Vor Jahren haben Sie den nun aus dem Amt gejagten ukrainischen Präsidenten Janukowitsch getroffen. Wie hat er auf Sie gewirkt?

Eine amüsante Episode. Ich war in Donezk und wohnte in einem Luxushotel, das natürlich Achmetow gehörte, dem reichsten Mann der Ukraine. Der fand mich sympathisch und hat mich an seinen Tisch gebeten. Ich bin in Bochum geboren, die haben eine Städtepartnerschaft mit Donezk. Da sagt der Achmetow: Mensch, werden Sie doch Mitglied in meinem Fußballklub Schachtar! Er hat mir gleich einen Trainingsanzug verpasst, hielt den an einen seiner Leibwächter, der so groß war wie ich. Und neben ihm stand ein Riesenkerl, der nicht besonders intelligent wirkte. Sagt Achmetow: Ich stelle Ihnen Herrn Janukowitsch vor, den künftigen Präsidenten der Ukraine. So läuft das da. Im Westen ist es nicht anders: Die Timoschenko, die Gasprinzessin, ist auch eine Oligarchin.

Den Trainingsanzug haben Sie noch?

Meine Frau hat ihn weggeschmissen. So wertvoll war das orangene Ding nicht.

Herr Scholl-Latour …

… eines will ich noch sagen. Wir regen uns zu Recht über die NSA auf. Aber man musste schon sehr naiv sein, um nicht zu wissen, dass diese Überwachung stattfindet. Das größere Problem sind Fabriken der Desinformation, ob sie sich nun in North Carolina, London oder Israel befinden. Die zielen auf deutsche und europäische Medien. Und das klappt. Von der „taz“ bis zur „Welt“ – ein Unisono, was die Ukraine betrifft. Oder Syrien: Als man die Aufständischen als die Guten und die anderen als die Bösen dargestellt hat. Dabei waren weder die einen noch die anderen gut oder böse. Wir leben mit so vielen Lügen. Wenn es heißt, Indien sei die größte Demokratie der Welt. Ja, Scheiße! Das Kastensystem ist schlimmer, als das Apartheidsystem in Südafrika je gewesen ist. Indien ist das grauenhafteste Land der Welt.

Ist Edward Snowden für Sie Verräter oder Held?

Der Begriff Held ist mir fremd. Als Verräter würde ich ihn auch nicht bezeichnen. Er ist ein Amerikaner, die haben manchmal ein sensibles Gewissen. Wahrscheinlich hat er das aus wahrer Überzeugung getan. Und dass er nach Russland gegangen ist – ja, wo sollte er denn sonst hin? Wenn die Deutschen ihm Asyl gewährt hätten, hätten ihn die Amis hier umgebracht.

Warum sind Sie mit Russland nachsichtig und gehen mit den USA so hart ins Gericht?

Ich bin auch mit den Amerikanern nachsichtig.

Lassen Sie uns zurückblicken auf Ihre 70 Jahre als Reporter, Reisender und politischer Beobachter. Was war die heikelste Situation in Ihrem Leben?

Ich stand mal an der Erschießungsmauer, das war nicht ganz ungefährlich. Vielleicht hatten sie gar nicht vor, uns abzuknallen, aber es sah so aus.

Scholl-Latour über seine Erfahrungen zur Nazi-Zeit, erotische Abenteuer und Diktatoren

Peter Scholl-Latour.
Peter Scholl-Latour.

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Das war in einem Prager Gefängnis zur Nazi-Zeit. Sie hatten aus dem Land fliehen wollen.

Ich hatte zwei Mal erfolglos versucht, an der Westfront durchzukommen. Dann wollte ich mich Titos Partisanen anschließen. Dabei habe ich mich nicht geschickt genug angestellt.

Sie sind katholisch erzogen, Ihre Mutter stammt aus einer jüdischen Familie. Haben Sie sich mal auf die Suche nach Ihren jüdischen Wurzeln begeben?

Überhaupt nicht. Meine Großmutter habe ich ungeheuer geliebt, sie war die warmherzigste Frau, die ich kannte. Aber ich habe sie nie in Zusammenhang mit dem Judentum gebracht. Unter den Nazis hat sie sich das Leben genommen.

1945 wurden Sie Soldat bei den Franzosen. Warum wollten Sie wieder in den Krieg?

Der Kolonialkrieg in Indochina war doch ein Abenteuer. Was sollte ich denn in Deutschland hängen bleiben, in diesem zerstörten Land, wo die Leute hungerten und traumatisiert waren? Und mich womöglich auf meine Leiden unter den Nazis berufen, um eine priviligierte Position zu bekommen? Das hätte ich als unwürdig betrachtet.

Auf der Überfahrt nach Indochina gab es viele SS-Männer an Bord.

Es waren ganz unterschiedliche Leute. Manche kamen aus französischer Kriegsgefangenschaft. Die Franzosen hatten selbst nichts, da sind die Kriegsgefangenen halb verhungert. Die haben sich deswegen gemeldet. Andere kamen aus dem Osten, hatten jeden Kontakt zu ihrer Familie verloren, ein Akt der Verzweiflung. Dann gab es Leute, die dachten: Wenn wir heimkommen mit unseren SS-Runen, könnten wir Schwierigkeiten bekommen. Ich habe viel mit denen zusammengesessen. Manche waren mythoman: Jeder Dritte war angeblich U-Boot-Kapitän oder Ritterkreuzträger gewesen.

Sie haben Indochina mal als ein großes erotisches Abenteuer beschrieben.

Es war eine der angenehmsten Facetten meines Lebens. Das vermisst man ein bisschen mit 90.

Sie waren Fallschirmjäger. Ein amerikanischer MG-Schütze, der sich während des Massakers in My Lai seinen Kameraden entgegenstellte, hat erzählt, dass er nach dem Vietnamkrieg zehn Jahre brauchte, um wieder für ein bürgerliches Leben zu taugen.

Das ist eben eine sehr sensible Natur gewesen. Solche Probleme hatte ich nie. Ich habe ja auch keine My Lais veranstaltet! Auf wehrlose Frauen und Kinder hätte ich nie geschossen.

Später, als Reporter, haben Sie viele Staatschefs getroffen. Darunter auch Diktatoren. Wer war der schlimmste?

Ich habe das Talent, mich mit den Ganoven ganz gut zu verstehen.

Keiner, wo Sie dachten: Widerwärtig!

Laurent-Desiré Kabila, den die Amerikaner auf dem Gewissen haben, war eine fiese Type. Charakterlos. Che Guevara wollte mit ihm einen Partisanenkrieg führen, aber Kabila hat sich dauernd nur besoffen und Puffs besucht. Persönlich habe ich ihn nicht als unangenehm empfunden, aber das ist jemand, den ich nicht besonders schätzte.

Scholl-Latour über seine Zeit in Afghanistan, beim Stern und internationale Küche

Peter Scholl-Latour auf seiner Terrasse in Berlin-Charlottenburg.
Peter Scholl-Latour auf seiner Terrasse in Berlin-Charlottenburg.

© Mike Wolff

Und Papa Doc in Haiti, dessen Regime 30 000 Menschen zum Opfer gefallen sein sollen?

Der hatte mich irgendwie ins Herz geschlossen. Ich zeige Ihnen was. Hier, er hatte so ein kleines rotes Büchlein verfasst, primitiv halt, so wie Gaddafi sein grünes Buch herausgebracht hat. Er hat mir eine sehr lustige Widmung hineingeschrieben: „A mon éminent collègue, le professeur Pierre Scholl-Latour de la France immortelle“, und dann seine Unterschrift.

1981 haben Sie sich, als Mudschahed verkleidet, ins sowjetisch besetzte Afghanistan eingeschmuggelt.

Ich war nicht verkleidet, die haben von mir verlangt, dass ich deren Kluft anziehe. Dass ich mir einen Bart wachsen ließ. Das war ein bisschen seltsam, wenn wir anhielten, mein Bart war auch schon grau, dann kamen die alten Männer und wollten mit mir reden, und da sagten wir: Der ist aus Nuristan und kann Paschtu nicht verstehen.

An der pakistanisch-afghanischen Grenze haben Sie mal vier Esel und sechs Pferde für das Kamerateam gekauft. Wie macht man das?

Wir hatten vorher Kontakt aufgenommen mit der Organisation Hezb-i Islami, die haben ihre Leute in Deutschland und kannten mich vom Fernsehen, und da hatte ich im Allgemeinen deren Unterstützung. Ich bin dann nach Peschawar und habe mit diesen frommen Leuten gesprochen. Da gibt es einen entsprechenden Preis, nicht furchtbar teuer.

Sie haben stets Dollar in kleinen Scheinen dabei?

Auf der ganzen Reise habe ich keinen Dollar mehr ausgegeben. Das entspricht einer Frage der Ehre und Anständigkeit.

Beim „Stern“ sind Sie gescheitert, nicht mal ein Jahr sind Sie dort Chef gewesen. Was bereuen Sie?

Die „Stern“-Leute hatten eine ganz andere Mentalität als ich. Damals ging es um die Frage der Nachrüstung. Ich war dafür, 300 Mann waren dagegen. Und dann gab es viele in gestörtem Zustand. Niklas Frank, der Sohn des einstigen deutschen Generalgouverneurs von Polen, saß da zum Beispiel. Ich habe zum Vorstandsvorsitzenden Gerd Schulte-Hillen gesagt: Ich habe den Eindruck, ich bin hier nicht Chefredakteur, sondern Vorsitzender einer psychiatrischen Anstalt. Eines Tages kam er zu mir und machte mir folgenden Vorschlag: Sie bleiben Herausgeber und im Vorstand und kümmern sich um die neuen Medien. Da ging es um die privaten Sender …

… also die Gründung von RTL. Obwohl Sie ein erklärter Gegner der Spaßgesellschaft sind.

Helmut Thoma hat das mit großem Pragmatismus gemacht. So habe ich das eben entstehen sehen. Zu meinem Missvergnügen, wie ich ehrlich sagen muss. Mich erregt es aber viel mehr, dass sich die Öffentlich-Rechtlichen auf das Niveau der Privaten begeben haben. Das ist die Schande!

Von all den Orten, die Sie besucht haben: Welcher war der schönste?

Hanoi hat seinen alten Charakter bewahrt. Dort bin ich vor ein paar Jahren wieder gewesen und war hellauf begeistert. Es waren keine Touristen da, was ganz wesentlich ist. Die Vietnamesen haben das alte koloniale Zentrum der Franzosen wieder originalgetreu aufgebaut. Es gibt da so einen kleinen runden See. Der Sage nach lebt auf dem Grund eine riesige Schildkröte, in die ist ein Schwert eingepflanzt – das, mit dem die Vietnamesen vor 1000 Jahren die Chinesen zurückgeschlagen haben. Abends bin ich an den Teich gegangen, da saßen nur alte Männer. Die sprachen weder Englisch noch Französisch. Also haben wir, wie das bei alten Männern so passiert, freundlich nebeneinandergesessen und uns angelächelt.

Welche Küche hat Sie am meisten beeindruckt?

Das ist mir egal. Ich esse gern, aber ich bin nicht übermäßig verfressen.

Dem Tierfotografen Frans Lanting wurde in Kirgisistan mal eine Augensuppe angeboten. Die konnte er kaum ablehnen. Ist Ihnen so was auch passiert?

Äthiopien ist sehr gefährlich in der Beziehung. Dort wird viel rohes Fleisch gegessen. Sie können sich vorstellen, was da alles drin ist. Ich hatte einen Kollegen vom Bayerischen Rundfunk, der, kaum angekommen, schon tot auf der Matte lag.

Scholl-Latour über Gebrechlichkeit im Alter, Opium und politische Prognosen

Peter Scholl-Latour.
Peter Scholl-Latour.

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Haben Sie sich eine Tropenkrankheit eingefangen?

In der Armee haben wir dauernd Fieber gehabt. Vor allem Amöbenruhr und solches Zeugs. Am Ende war die Mannschaft auf ein Drittel reduziert. Ich habe Gott sei Dank nie eine richtige Malaria gehabt, nur sehr schwere Anfälle bis 1968, so, dass ich die Matratzen durchgeschwitzt habe. Das muss irgendein Denguefieber gewesen sein.

Die beste Hotelbar?

Die vom Oriental in Bangkok. Als ich Reporter war, hatten wir dort unser Hauptquartier. Wenn wir aus Vietnam oder Kambodscha zurückkamen, war das die große Entspannung. Wenn es kalt ist, trinke ich mehr Wodka, wenn es warm ist, Whisky. Und Martini Dry, den gibt es im Berliner Kempinski sehr gut.

Herr Scholl-Latour, Sie leben unglaublich aktiv. Haben Sie Angst, eines Tages gebrechlich zu sein?

Ich habe keine Angst, ich weiß, dass es passieren wird. Ich kann morgen einen Schlaganfall bekommen, oder man kann bei mir in einer Woche Demenz diagnostizieren.

Gunter Sachs hat sich beim ersten Anzeichen von Alzheimer erschossen.

Ich verstehe das. Ich möchte auch gern in Würde sterben. Aber wenn es nicht sein soll: Ich bin sehr katholisch erzogen, Selbstmord würde mir schwerfallen. Ich habe eine Patientenverfügung. Jahrelang an Schläuchen zu hängen, das ist auch nicht der Wille Gottes, das kann man mir nicht einreden.

Wir treffen uns in Ihrer Wohnung über den Dächern Charlottenburgs. Ikonen an der Wand, orientalische Teppiche, chinesische Möbel – alles Souvenirs?

Ja. Meine schönste Ikone liegt in Moskau, die habe ich noch nicht rausbekommen. Zwei Drittel, von dem, was Sie hier sehen, müsste weggeschmissen werden. Ich will Ihnen zeigen, woran ich hänge. Die Kalligrafie hinten an der Wand stammt vom Bruder des letzten Kaisers von China, Pujie. Da steht mein Name drauf, auf Chinesisch, das kann ich natürlich nicht lesen. Chinesen, die hier waren, haben das Gedicht sofort erkannt. Es stammt aus der Tang-Zeit, also der Zeit Karls des Großen.

Die Seidentücher, die Sie um den Hals tragen, sind ein Markenzeichen von Ihnen. Woher haben Sie die?

Die holt meine Frau irgendwo. Krawatten zu tragen, ist ja spießig geworden. Außerdem hat der Hals, wenn man 90 ist, nicht mehr die gleiche Glätte wie mit 30. Im Grunde gibt es zwei Leute, die die heutige Männermode geprägt haben. Der eine ist Arafat mit seinem Bart – es muss ja jeder heute mit so einem Bart rumlaufen. Der andere ist Ben Gurion, der trug diesen offenen Kragen.

Und was ist das für ein Armreif, den Sie da haben?

Das ist eine Art Ehering. Den habe ich von meiner Frau geschenkt bekommen. Ein Meo-Ring. Er stammt von einem schamanistischen Gebirgsstamm in Laos. Sie haben aufseiten der Franzosen gekämpft, deshalb kenne ich sie gut. Später waren sie mit den Amerikanern verbündet und jetzt, nach dem Sieg der Kommunisten, leben sie über die ganze Welt verstreut. Ein unglückliches, wackeres Volk. Opiumproduzenten.

Haben Sie Opium geraucht?

Ich habe es ein paar Mal versucht, ohne große Wirkung. Vielleicht habe ich es nicht richtig gemacht. Es ist nicht so, dass da erotische Zauberwelten entstehen. Man entspannt sich. Auch ganz schön.

Ihre politischen Prognosen wirken sehr düster.

Geben Sie mir einen Grund zu großer Heiterkeit, ich will gerne einstimmen.

Sehen Sie eine positive Entwicklung?

Was in China passiert ist, ist ein Wunder. Das ärmste Land der Welt ist zu einer wirtschaftlichen Macht herangewachsen. Den Leuten geht es besser und besser, entgegen den Behauptungen unserer Medien. Verglichen mit der Industrialisierung Großbritanniens, die grauenhaft war, ging die in China sehr human vonstatten.

Was war Ihr größter politischer Irrtum?

Ich habe gedacht, dass die Fußball-WM in Südafrika im Chaos enden würde. Und die verlief fabelhaft. Sonst erkenne ich keinen Irrtum an.

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