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Die Affäre um falsch deklariertes Pferdefleisch zieht Kreise in ganz Europa. Die EU will in Zukunft die Kontrollen verschärfen.

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Update

Pferdefleisch-Skandal: Medikament in Pferdefleisch nicht harmlos

Die Bundesregierung drängt auf eine schnelle Aufklärung des Pferdefleisch-Skandals. Das in dem Pferdefleisch entdeckte Medikament kann nach Experten-Einschätzungen Allergien auslösen. In Berlin haben unterdessen die Analysen von Proben begonnen.

Die Bundesregierung dringt auf eine zügige Aufklärung des Skandals um falsch deklarierte Produkte mit Pferdefleisch in Europa. „Wir brauchen Klarheit, ob der aktuelle Fall nur ein Einzelfall war oder vielleicht sogar die Spitze eines Eisbergs“, sagte ein Sprecher des Bundesverbraucherministeriums am Freitag in Berlin. Dazu sollten auch die angestrebten Tests in allen EU-Staaten beitragen, mit denen in Deutschland nicht bis zum Stichtag 1. März gewartet werden solle. Die Kontrollen sollten feststellen, „in welchem Land in welcher Stelle der Bruch in der Kette war“. Der Sprecher betonte, vorerst gehe es nicht um eine Gesundheitsgefahr.

Das in Pferdefleisch entdeckte Medikament Phenylbutazon ist nach Experten-Einschätzung keineswegs harmlos. „Es ist ein stark wirksames Mittel gegen Entzündungen im Körper und keinesfalls total unproblematisch“, sagte die Fachfrau Petra Zagermann-Muncke von der Arzneimittelkommission Deutscher Apotheker in Eschborn der Nachrichtenagentur dpa. Als Nebenwirkungen seien schwere allergische Reaktionen - Hautausschläge oder Asthma - oder Blutbildschäden möglich, auch unabhängig von der Dosis. Der Wirkstoff werde gegen akute Schmerzen eingesetzt, etwa bei Rheuma oder Gichtanfällen, und maximal eine Woche verordnet. Wegen der Nebenwirkungen sei die Verordnung vor rund 20 Jahren eingeschränkt worden, das Mittel werde heute in Deutschland eher selten verschrieben. Phenylbutazon wird bei Pferden auch als Dopingmittel verwendet. Tests der britischen Lebensmittelaufsicht hatten ergeben, dass Fleisch von acht mit dem Medikament gespritzten Pferden wohl in die Nahrungskette geraten ist. Die britischen Behörden schätzten das Gesundheitsrisiko für Menschen nach eigenen Angaben als gering ein.

Das zuständige Labor in Berlin hat derweil mit der Analyse erster Proben begonnen. „Die Untersuchung läuft schon“, sagte Maren Fischer vom Landeslabor Berlin/Brandenburg am Freitag. Bis die Ergebnisse über die Herkunft des Fleisches vorliegen, dauere es zwei bis drei Tage. Bis zum 20. Februar sollen alle Bezirke je zwei Hackfleisch-Proben abliefern. Es kann aus Tiefkühlessen stammen, aber auch von Buletten, Nudelsoße oder Dönern. Supermarktketten in Deutschland hatten in Stichproben Anteile von Pferdefleisch in Tiefkühl-Lasagne gefunden.

Eine französische Firma wehrt sich unterdessen gegen den Verdacht, ihre Fleischprodukte falsch deklariert zu haben. “Ich weiß nicht, wer hinter all dem steckt, aber ich kann ihnen versichern, wir sind es nicht“, sagte der Chef der zu den Hauptverdächtigen zählenden Firma Spanghero, Barthelemy Aguerre, am Freitag dem Sender Europe 1. Frankreichs Verbraucherschutzminister Benoit Hamon wirft dem Unternehmen vor, wissentlich Pferdefleisch aus Rumänien verarbeitet und als Rindfleisch deklariert zu haben. Der Spanghero-Chef kündigte dagegen an, die Unschuld seiner Firma zu beweisen. “Ich glaube, die Regierung hat vorschnell gehandelt.“ Minister Hamon hatte dagegen erklärt, der Firma könne nicht entgangen sein, dass das aus Rumänien importierte Fleisch viel billiger als Rindfleisch gewesen sei. Zudem gebe es keine Hinweise darauf, dass der rumänische Exporteur das Fleisch falsch deklariert habe.

In Deutschland sagte der nordrhein-westfälische Verbraucherschutzminister Johannes Remmel, Eigenproben von Lebensmittelfirmen hätten bei den falsch deklarierten Produkten einen Pferdefleisch-Anteil zwischen fünf und 50 Prozent ergeben. Die amtlichen Prüfungen liefen noch und würden etwas länger dauern, sagte er im Deutschlandfunk. Die Untersuchungen seien komplex, da nach Erkenntnissen in Großbritannien die Produkte auch auf mögliche gefährliche Stoffe hin untersucht würden.

Die Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Renate Künast, hat eine „durchgehende Rückverfolgbarkeit“ von verarbeitetem Fleisch in Europa gefordert. „Das brauchen wir“, sagte sie am Freitag im ARD-"Morgenmagazin“. Es sei aber „immer schwierig“, auf EU-Ebene Mehrheiten zu organisieren. In Brüssel berät am Freitag ein Expertengremium über Vorschläge der EU-Kommission, als Reaktion auf den Skandal Fleisch-Fertiggerichte per DNA-Test zu prüfen.

Künast kritisierte im ARD-"Morgenmagazin“, die Lebensmittelwirtschaft unterstütze „noch nicht ausreichend“ eine Kennzeichnung, aus der hervorgeht, „was drin ist und wo es herkommt“. Die Anbieter müssten für Sicherheit sorgen und auch selbst „Kontrollen vornehmen“, sagte die frühere Bundeslandwirtschaftsministerin. Dies könne nicht allein der Staat leisten. Der europaweite Skandal um Pferdefleisch in Tiefkühlprodukten, das als Rindfleisch etikettiert worden war, hatte am Mittwoch Deutschland erreicht. In Lasagne-Produkten wurden Anteile von Pferdefleisch gefunden. Das französische Unternehmen Spanghero hatte das Fleisch nach Angaben der Regierung in Paris im Wissen um dessen Bestandteile aus Rumänien bezogen und die französische Firma Comigel in Metz beliefert, die europaweit zahlreiche Fertigprodukte verkauft.

EU-Staaten beraten über Gentests

Nach dem Bekanntwerden des Pferdefleisch-Skandals wollen die EU-Staaten am heutigen Freitag in Brüssel über die Einführung von europaweiten Gentests für verarbeitetes Rindfleisch entscheiden. Mit den Tests sollen die Aufsichtsbehörden feststellen, ob es sich bei den Proben um falsch deklariertes Pferdefleisch handelt. Unterdessen geht auch die Suche deutscher Behörden nach falsch deklarierten Fleischprodukten weiter. In zahlreichen Bundesländern wurden bereits tausende Tiefkühlprodukte aus den Regalen genommen. Die Metro-Tochter Real und die Supermarktkette Edeka haben bereits Fertiggerichten mit Pferdefleisch entdeckt, die eigentlich nur Rind enthalten sollten. Kaiser's Tengelmann rechnet für den heutigen Freitag mit Ergebnissen der eigenen Analysen für die aus dem Verkauf genommene A&P-Tiefkühllasagne. Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) hat die Justizbehörden zu Ermittlungen aufgefordert. Wichtig sei auch, dass alle falsch gekennzeichneten Produkte schnell vom Markt genommen und Proben in den Labors gründlich untersucht werden, auch auf Arzneimittelrückstände, sagte Aigner der „Saarbrücker Zeitung“ (Freitag) In London gab es erste Hinweise auf Rückstände von Medikamenten in Pferdefleisch. Im Zusammenhang mit dem Lebensmittelbetrug wurden in Großbritannien drei Männer festgenommen. Nach Erkenntnissen französischer Ermittler hat der Lebensmittelhändler Spanghero wissentlich tonnenweise als Rind gekennzeichnetes Pferdefleisch vertrieben. Nach dem Brüssler EU-Beschluss könnten es die ersten 2500 Gentests im März geben, etwa 200 davon in Deutschland. Ergebnisse sollen EU-Verbraucherkommissar Tonio Borg zufolge Mitte April veröffentlicht werden. Um sicherzustellen, dass Verbraucher kein mit Medikamente verseuchtes Fleisch zu sich nehmen, schlägt die EU-Kommission eine weitere Testreihe vor. Dabei sollen die Behörden Pferdefleisch auf mögliche Rückstände des Medikaments Phenylbutazon untersuchen. Das Mittel wird bei Pferden gegen Entzündungen eingesetzt. Es gilt auch als Doping-Mittel im Pferdesport. 1500 in die EU eingeführte Pferdekadaver sollten untersucht werden, zudem 2500 in Europa geschlachtete Tiere.

Auf der Suche nach verstecktem Pferdefleisch in Tiefkühlware verstärken die Behörden jetzt deutschlandweit ihre Kontrollen. Auch in Berlin will Verbraucherschutzsenator Thomas Heilmann (CDU) die Lebensmittelketten stärker überprüfen. „Auch Berliner Märkte sind sehr wahrscheinlich mit Pferdefleisch-Lasagne beliefert worden“, sagte Heilmann am Donnerstag nach einer Telefonkonferenz mit Berliner Handelsunternehmen.

Verdächtige Ware ist nach Einschätzung der Senatsverwaltung in Berlin nicht mehr im Handel.

Pferdefleischfunde mussten bereits Real und Edeka eingestehen, bei Kaiser’s, Eismann und Rewe hat man vorsorglich Waren aus den Regalen genommen. Real-Sprecher Markus Jablonski bestätigte, dass die pferdefleischhaltige „Tip“-Lasagne, die die Kette bereits am Mittwoch zurückgerufen hatte, bundesweit in allen Real-Märkten verkauft worden ist, also auch in Berlin. Hinweise auf eine Medikamentenbelastung lägen aber nicht vor.

Die Billigsupermarktkette Lidl ist vom Pferdefleisch-Skandal eigenen Angaben zufolge bislang nicht betroffen. Lidl Deutschland habe bislang „keine Ware aus dem Sortiment genommen“ wie etwa Tiefkühllasagne, erklärte das Unternehmen am Freitag am Firmensitz Neckarsulm auf Anfrage der Nachrichtenagentur AFP. Es lägen Lidl Deutschland auch „keine Hinweise von Behörden oder Lieferanten vor“, dass Produkte im Sortiment vom Skandal betroffen seien und neben Rindfleisch auch Anteile von Pferdefleisch enthielten. Lidl arbeite mit keinem der aktuell im Zusammenhang mit dem Skandal genannten Lieferanten zusammen, erklärte das Unternehmen. Lidl beobachte die Entwicklung dennoch „sehr aufmerksam“.

Verdächtige Ware ist nach Einschätzung der Senatsverwaltung in Berlin nicht mehr im Handel. In den Supermärkten seien diese Produkte schon in der vergangenen Woche abgeräumt worden. Berliner, die schon vorher Tiefkühllasagne gekauft haben, könnten diese in den Laden zurückbringen und sich den Kaufpreis erstatten lassen, betonte Heilmann.

Nach dem Pferdefleischskandal bemüht sich die Politik darum, den Schutz der Verbraucher zu verbessern. Am Freitag stellt die EU-Kommission Eckpunkte eines gemeinsamen Aktionsplans vor, der verstärkte Kontrollen von verarbeiteten Lebensmitteln und von Pferdefleisch vorsieht. Neben möglicher Falschdeklaration sollen die Tests auch Rückstände von Arzneimitteln aufdecken. „Wir müssen alles tun, um die Verbraucher zu schützen und diesen Betrugsfall aufzuklären“, sagte Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU). Dazu brauche man ein europaweit einheitliches Vorgehen.

In den Bundesländern sieht man flächendeckende Routinetests, bei denen die Tierart mithilfe von DNA-Analysen bestimmt wird, jedoch skeptisch. „Wir haben im vergangenen Jahr 158 solcher Tests durchgeführt, alle waren negativ“, sagte Frank Seidlitz, Sprecher des Düsseldorfer Verbraucherministeriums. Auch in Bayern sind in den vergangenen drei Jahren routinemäßig rund 600 Fertiggerichte auf ihren Pferdefleischgehalt überprüft worden – auch hier ohne Ergebnis. Dennoch will man jetzt auch in Berlin solche DNA-Kontrollen ausbauen.

Unterdessen geht in Großbritannien die Suche nach der Herkunft der Pferde, in deren Fleisch das Schmerzmittel Phenylbutazon gefunden wurde, weiter. Nach Medienberichten hat einer der diese Woche durchsuchten Schlachthöfe ein Abkommen mit der Rennbahn Aintree, um gestürzte und getötete Rennpferde zu „entsorgen“. Dort starben allein beim letzten „Grand National“ vier Pferde oder wurden nach Stürzen getötet.

Schlachthofbesitzer Peter Boddy und die Rennleitung von Aintree bestreiten, dass diese Tiere in die Lebensmittelkette gelangt sind. Die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch hält das aber für möglich. „Sport- und Rennpferde erhalten dieses Mittel häufig“, sagte Vize-Geschäftsführer Matthias Wolfschmidt. Dass Fleisch solcher Tiere nach Deutschland gekommen ist, sei „denkbar“, konkrete Hinweise gebe darauf es aber nicht. (mit dpa)

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