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Kartoffelbrei mit Wurstbrei. Jürgens Mittagessen.

© privat

Update

Pflegeheim in Nürnberg: Frührentner Jürgen und sein Ärger ums Essen

In Nürnberg hat Frührentner Jürgen das schlechte Essen in seinem Pflegeheim mit Fotos bei Facebook dokumentiert. Die Einrichtung reagiert verwundert und bestreitet, ihm den Platz gekündigt zu haben.

Von Katrin Schulze

Es sieht geschmacklos aus. Und das ist es größtenteils auch. Ein großer Klecks pürierte Wurst liegt auf dem Teller neben einem kleinen Haufen Kartoffelpüree aus der Packung, dazu zwei trockene Scheiben Toast und ein kleines Schälchen mit Kompott. Das gab es bei Jürgen zuletzt in seinem Nürnberger Altersheim zum Mittag. Seit einer Weile hat er sich angewöhnt, seine Mahlzeiten zu fotografieren und sie über das soziale Netzwerk Facebook verbreiten zu lassen. Die Kommentare, die er daraufhin bekommt, fallen nicht viel besser aus als das Essen. „Da ist man im Knast besser dran“, schreibt einer. „Ekelhaft. Mein Kater würde das erst gar nicht probieren“, heißt es von einem anderen.

Zig tausend Menschen hat es schon auf die Seite „Jürgen fotografiert sein Essen – Residenz Seniorenheim“ gezogen. Binnen einer Woche hat der Mann mehr als 26.000 Follower gewonnen. Viele können es nicht fassen, was sie da sehen, einige bieten ihre Hilfe an und ein paar halten die Aktion sogar für einen Schwindel. „Die Sache ist zu ernst, um damit zu spaßen“, entgegnet ihnen Eva Patricia Rußegger. Da Jürgen selbst zunächst anonym bleiben will, hat sie es in seinem Auftrag übernommen, über sein Schicksal zu sprechen. Die Bekannte von Jürgen war es auch, die auf die Idee kam, die Geschichte öffentlich zu machen, weil sie die Zustände, von denen ihr Freund auf seiner privaten Facebook- Seite berichtete, für untragbar hielt.

Das Abendessen. Brot mit Belag.
Das Abendessen. Brot mit Belag.

© privat

Angefangen hat Jürgen mit der Aktion, nachdem ihm ein Nachschlag mit dem Hinweis verweigert worden war, dass es für alle reichen müsse. Jürgen war nicht satt, aber er hatte es in diesem Moment satt. Seither hat es jeden Tag neue Fotos gegeben. Vom Frühstück, Mittag, Kaffee und dem Abendbrot. Mal Würstchen in Essig mit einer Scheibe Mischbrot, mal trockener Kirschkuchen ohne Kirschen, mal Brot mit Käse oder Mett; immer viel Püree: aus Erbsen, Möhren, Kartoffeln, Leber oder Fisch. Ganz normales Essen – aus Sicht der Heimleitung. „So sieht Seniorenkost aus“, heißt es in einer Stellungnahme. Und dass Jürgen wegen seines gesundheitlichen Zustands gar nicht vernünftig kauen könne. Man versuche mit allen Mitteln zu verhindern, dass er noch weiter abnimmt. 45 Kilogramm wiegt Jürgen bei einer Größe von 1,80 Meter nur noch, was aber wohl nicht nur am schlechten Heimessen liegt.

Ausziehen oder nicht?

Eine Lungenkrankheit hat ihn früher zum Pflegefall gemacht, als er sich das jemals hätte vorstellen können. Er ist jetzt 63. Früher war Jürgen mal Künstler, stellte Prospekte her und arbeitete als DJ. So erzählt es Eva Patricia Rußegger. Als den Behörden die Wohnung von Jürgen, der auf Sozialhilfe angewiesen und alleinstehend ist, zu teuer wurde, blieb nur noch das Heim. „Da will er nun unbedingt raus“, sagt seine Freundin. Sie hofft, dass Jürgen – auch mit Hilfe der neuen Öffentlichkeit – bald woanders landet, vielleicht in einer WG oder wenigstens einem Heim, in dem er sich wohler fühlt.

Würstchen und Brot: Ein Mittagessen im Heim.
Würstchen und Brot: Ein Mittagessen im Heim.

© privat

Seit Mittwoch scheint für Jürgen klar zu sein, dass er nicht nur ausziehen will, sondern muss. Die Leitung der Nürnberger Seniorenresidenz habe ihm mit einer Klage gedroht und den Platz gekündigt, lässt er wissen. Die Einrichtung bestreitet das. Begeistert war sie von der Foto-Aktion aber natürlich nicht. Dabei hatte Jürgen den Namen der Unterkunft gar nicht verraten. Nur so viel berichtete er: „Die Pflegeheimkette ist eine der größten in Deutschland, 17.000 Betten bundesweit.“ Mittlerweile hat der Betreiber Pro Seniore den Fall aber selbst bestätigt. Auf seiner Internetseite wirbt das Unternehmen für „professionelle Pflege mit Herz“ und für ein „Leben, wie Sie es sich wünschen“.

Jürgen hat davon nicht viel gespürt. Und er ist offenbar nicht der Einzige. „Uns erreichen viele Nachrichten von Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben“, heißt es auf der offiziellen Facebook-Seite von Jürgen. Tatsächlich hört man öfter von Missständen in Heimen. Enthüllungs-Reporter Günter Wallraff etwa hat vor gut einem Jahr zusammen mit seinem Team über die teilweise miserablen Verhältnisse und das noch miserablere Essen in Heimen berichtet. Passiert ist seither nicht viel. Das wollen Jürgen und Eva Patricia Rußegger jetzt ändern. Künftig wollen die beiden auf ihrer Seite auch Fotos aus anderen Heimen veröffentlichen, bekommen haben sie davon zuletzt schon einige. Damit die Senioren aber nicht mit einer ähnlich Reaktion wie im Fall Jürgen rechnen müssen, sollen die Namen der Einrichtungen diesmal wirklich geheim bleiben.

Jürgen selbst will sich wegen der ihm angeblich angedrohten Klage zunächst allerdings zurückhalten. Mehr Fotos von den Geschmacklosigen wird es von ihm erst einmal nicht geben.

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