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Panorama: Piep, piep, piep, keiner hat uns lieb!

Berlin - Wir sind Papst, vielleicht sind wir am 9. Juli auch Weltmeister, den Eurovision Song Contest (ESC) aber werden wir in absehbarer Zeit nicht gewinnen.

Berlin - Wir sind Papst, vielleicht sind wir am 9. Juli auch Weltmeister, den Eurovision Song Contest (ESC) aber werden wir in absehbarer Zeit nicht gewinnen.

Immerhin brachte die 2006er-Ausgabe in Athen für Deutschland ein deutlich besseres Ergebnis als die letztjährige Katastrophe von Kiew: 15. statt 24. (und letzter) Platz, die Punktausbeute wurde gar verneunfacht. Sicher, das Ganze ist nur ein Pop-Wettbewerb – wenn auch der weltweit größte; es gibt Wichtigeres.

Man kann den Contest allerdings auch als einen alljährlichen Blick auf gesamteuropäische Befindlichkeiten sehen – jenseits von allfälligen Freundschaftsbekundungen auf offizieller Ebene. Und da sieht’s finster aus: Mag uns, mag die Deutschen wirklich niemand? Dieses Mal vergaben von 38 teilnehmenden Nationen zehn ein paar Punkte an Deutschland, 28 keinen einzigen. Die höchste Wertung für Texas Lightning kam dabei aus der Schweiz: Sieben Punkte hatten die braven Eidgenossen für uns übrig. Halbwegs gute Nachbarschaft also. Ein wenig guten Willen darf man auch den Dänen und Holländern (je drei) sowie den Belgiern (einen) nicht absprechen – wobei diese Wertungen natürlich auch von dort ansässigen Deutschen stammen könnten.

Bestens zahlten sich die Seilschaften der „Kleinen“ aus: Die skandinavischen Staaten, neuerdings ergänzt um das Baltikum, die Südosteuropa-Allianz und ganz besonders Russland und seine Anrainerstaaten (vormals: Sowjetunion) standen und stehen in Treue fest.

Das Rumsfeld’sche „Old Europe“ aber steckt in einer schweren Popularitätskrise. Das erkennt man daran, dass es ja nicht nur Deutschland getroffen hat; auch Frankreich, Spanien und England, die stets beim ESC gesetzten größten Gebührenzahler der Eurovision, wurden schwer gebeutelt. 2005 fanden sie sich geschlossen auf den letzten vier Plätzen wieder, 2006 leicht verbessert unter „ferner liefen“: 15., 19., 21., 23.

Ein Aufstand der Kleinen gegen die Großen also, der Armen gegen die Reichen und einer der Solidarität gegen die Vereinzelung. Mit der Qualität der Beiträge hat all dies nur am Rande zu tun. Es fällt allerdings auf, dass die westeuropäischen Eurovisions-Dickschiffe sich immer weniger Mühe geben, besonders im Vergleich zum auffallenden Ehrgeiz der anderen. Und so ist es dann möglich, dass ein schauderhafter Song aus – sagen wir Moldawien – mehr Punkte bekommt als ein mittelmäßiger aus Deutschland.

Trösten wir uns also: Das Lamento „Keiner kann uns leiden“ geht von falschen Voraussetzungen aus und ist natürlich Unsinn. Aber, und das ist ein mentalitätsgeschichtliches Axiom: den satten, selbstzufriedenen Mächtigen schlägt niemals uneingeschränkte Liebe entgegen. Auch nicht beim Eurovision Song Contest.

Jörn Wöbse

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