zum Hauptinhalt

Panorama: Plötzlicher Kindstod: Hoffnung im Kampf gegen SIDS

Es ist der Albtraum aller Eltern: Sie legen abends ihr Baby schlafen, hören nachts kein Schreien - und finden ihr Kind morgens tot in seinem Bettchen. Manchmal hat sogar eine erwachsene Person in dem Zimmer geschlafen, in dem das Kind starb, ohne etwas zu bemerken.

Es ist der Albtraum aller Eltern: Sie legen abends ihr Baby schlafen, hören nachts kein Schreien - und finden ihr Kind morgens tot in seinem Bettchen. Manchmal hat sogar eine erwachsene Person in dem Zimmer geschlafen, in dem das Kind starb, ohne etwas zu bemerken. Oder das Baby hörte im Kindersitz eines Autos auf zu atmen. Der Albtraum heißt "plötzlicher Kindstod". Neun von zehn der betroffenen Kinder sterben daran im zweiten bis sechsten Lebensmonat. Viele von ihnen waren Frühgeborene oder hatten ein niedriges Geburtsgewicht. Der plötzliche Kindstod (Sudden Infant Death Syndrome, SIDS) ist im Alter zwischen einer Woche und einem Jahr die häufigste Todesursache. Männliche Säuglinge sind häufiger betroffen als weibliche, im Winter gibt es etwas mehr Fälle als im Sommer.

Eltern als Infektionsherd?

In der Bezeichnung "plötzlicher Kindstod" spiegelt sich das Erschrecken der Angehörigen, aber auch die Ratlosigkeit von Medizinern hinsichtlich der Ursachen. Offensichtlich haben die Kinder aufgehört zu atmen, doch die Gründe für den Atemstillstand konnten bislang nicht genau ermittelt werden. Das Schlafen auf dem Bauch, zu warme Kleidung, die die Kinder leichter fiebern lässt, Passivrauchen und Ernährung mit der Flasche gelten inzwischen als gesicherte Risikofaktoren. Allein dadurch, dass den Eltern in großen Aufklärungsaktionen empfohlen wurde, ihre Säuglinge lieber in Seitenlage schlafen zu lassen als auf dem Bauch, wurde die Zahl der Fälle einer deutschen Studie zufolge im Zeitraum zwischen 1992 und 1994 schon um die Hälfte gesenkt.

Die Diagnose "plötzlicher Kindstod" wird bestätigt, wenn eine Obduktion, die den Eltern zur Aufklärung oft sehr wichtig ist, keine andere Todesursache ergibt. Bei diesen Untersuchungen haben Wissenschaftler von der Universität Manchester jetzt in den Mägen, den Bronchien und den Lungen der verstorbenen Säuglinge das Bakterium Helicobacter pylori gefunden. Möglicherweise - das könnte zu großer Hoffnung Anlass geben - liegt hier der Schlüssel zur Bekämpfung des plötzlichen Kindstodes.

Sollte in weiteren Studien bestätigt werden, dass dieses Bakterium die Ursache ist, dann könnte der plötzliche Kindstod in absehbarer Zeit wirksam bekämpft werden. Gegen das Bakterium gibt es bereits eine wirksame Kombinations-Therapie, allerdings nur für Erwachsene. Sie müsste für Säuglinge weiterentwickelt werden. Auch müssten alle Babys auf das Bakterium getestet werden. Solche Tests gibt es wie die Therapie bereits für Erwachsene, nicht aber für Babys. Sie sind zudem bislang sehr aufwendig. Wie die Forscher um Jonathan Kerr von der Manchester Royal Infirmary in der November-Ausgabe der Fachzeitschrift "Archives of Disease in Childhood" mitteilen, haben sie den Krankheitserreger bei 28 von 32 untersuchten Kindern nachgewiesen, die an plötzlichem Kindstod gestorben waren. Die durchschnittliche Rate an Infektionen liege in diesem Alter in westlichen Ländern aber nur bei etwa zwei Prozent. Die Ergebnisse liefern den wohl bisher deutlichsten Hinweis auf eine Beziehung zwischen SIDS und einem einzelnen Krankheitserreger. "Wir haben eine mögliche bakterielle Ursache für SIDS identifiziert", sagte Jonathan Kerr der "Times" am Dienstag. Er ergänzte jedoch zugleich: "Wir betonen, dass unsere Ergebnisse noch von anderen Forschern bestätigt werden müssen."

Die gewundenen Stäbchenbakterien mit dem Namen Helicobacter pylori sind erst Anfang der 80er Jahre entdeckt und als Ursache der chronischen Gastritis dingfest gemacht worden. Sie ist Grundlage des bisher häufigsten Form des Magengeschwürs. Die Entdeckung kam seinerzeit einer Revolution gleich, weil Magengeschwüre bei vielen Medizinern zuvor als typisch stressbedingte Krankheit galten. Auch mit Herzkrankheiten wird Helicobacter pylori in Verbindung gebracht.

Eine Ansteckung mit dem verbreiteten Bakterium erfolgt wahrscheinlich meist erst ab dem Kleinkindalter, vor allem durch Kontakt zu Spielkameraden. Wenn sich Säuglinge mit dem Bakterium infizieren, die meist nur wenige Kontaktpersonen haben, liegt es nahe, die Eltern als Infektionsquelle zu betrachten. Der Theorie der Kinderärzte zufolge übertragen sie Helicobacter pylori mit ihrem Speichel. Das Ablecken von Schnullern und Saugverschlüssen von Fläschchen könnte deshalb eine Gefahr bedeuten.

Die Forscher vermuten, dass die Babys sich infolge der Infektion erbrechen und das Erbrochene während des Schlafs in die Atemwege gelangt. Zudem sei das Erbrochene infolge der bakteriellen Infektion reich an Ammoniak, das zu Vergiftungen führen könnte. Diese Erklärung sei mit dem nachweislichen Risiko der Bauchlage vereinbar, die es wahrscheinlicher mache, dass Erbrochenes in die Atemwege gelange. Doch hier gibt es noch Erklärungsbedarf, denn Erbrechen spielt früheren Untersuchungen zufolge beim SIDS keine große Rolle.

Mechtild Fennemann von der Kinderklinik der Universität Münster, neben Magdeburg eines der beiden leitenden Zentren einer großen bundesweiten Studie zum SIDS, sieht auch nach Erscheinen der britischen Studie großen Forschungsbedarf. "Dem SIDS liegt wahrscheinlich ein Geschehen zugrunde, zu dem mehrere Faktoren beitragen." So gebe es seit einiger Zeit den Verdacht, dass auch Viren beteiligt sind.

Adelheid Müller-Lissner

Zur Startseite